von Barbara Camenzind, 28.11.2022
Ein Abend voller Stimm-Magie
Die Sängerin Irina Ungureanu gastierte mit ihrer Band Grünes Blatt im Eisenwerk Frauenfeld. Ihr schöpferischer Umgang mit der Stimme, sowie die groovige, avantgardistische Interpretation rumänischer Volksmusik zauberten den Zuhörenden ein farbiges Klangfeuerwerk in die Ohren. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Da stand sie, die Frau in den roten Ballerinas, mit ein paar Akkorden an der Gitarre flog Irina Ungureanu schon im ersten Stück durch zarte Tongirlanden, perfekt unisono mit der Trompete, um aus hohen, obertönigen Trillern durch einen Klangwasserfall in die erdige Bruststimme zu stürzen.
Wer sich für Stimmen begeistert, fiel beim ersten Stück schon fasziniert der Kiefer herunter. Matthias Spillmann an Trompete und Flügelhorn, Dominique Girod, Kontrabass und Kompositionen, sowie Vera Kappeler an den Tasteninstrumenten agierten als perfekt eingespielter Klangkörper für diese vokalen Ausflüge.
Wie es zum Grünen Blatt kam
Der Begriff „Foaie verde - Grünes Blatt“, so wurde das Publikum aufgeklärt, ist eine rumänische Formel, die oft am Anfang von Volksliedern steht. Sie hat meistens gar nicht wirklich etwas mit dem danach folgenden Text zu tun.
Vielleicht entfernt ähnlich zu verstehen, wie die deutsche Wendung „Es war einmal“ bei Märchen, wobei die rumänische Variante dadaistischer und charmanter wirkt, was der in Bukarest geborenen Sängerin sehr gefällt, wie sie erzählte. Daher wurde die Band so benannt.
Eine archaische Note
Zarte Liebeslieder wechselten sich beim Konzert in Frauenfeld ab mit ungestümen Rhythmen, der fast impressionistisch wirkende Einsatz von Melodicas gaben den Melodien und improvisatorischen Ausflügen eine zusätzlich archaische Note. Zum Beispiel bei Bradule, das Lied über den Brauch, bei einer Totenzeremonie eine Tanne aus dem Wald aufs Grab zu pflanzen.
Dominique Girod am Kontrabass entwickelte Rob-Wasserman-Qualitäten, während Irina Ungureanu diese betörend schönen Vorschlagtriller in die Melodiebögen einbaute, kehlig, dann wieder gross, mit zarten Reibungsflächen. Emotion pur. Mein absolutes Lieblingstück.
Muttersprache-Vatersprache-Herzenssprache
Als die Sängerin ein altes Volkslied aus Siebenbürgen, der deutschsprachigen Minderheit (Siebenbürger Sachsen) anstimmte, war eine gewisse Erleichterung im Publikum zu spüren. „Jetzt verstoht mer mol öppis“, flüsterte jemand.. Äh ja, „öppe viel“ verstand man auch bei den rumänischen Liedern, nur anders.
Singen in der Muttersprache, oder Vatersprache gibt der Stimme einen ganz eigenen Flow. Es ist die Herzenssprache. Es war eindrücklich zu erleben, wie der Gesang viel körperlicher und facettenreicher wirkte, verbunden mit Ungureanus plastischer Interpretation.
Musik mit Suchtfaktor
Das deutsche Lied über das Vögelein auf dem Zweig, ebenfalls sehr schön gesungen, bediente das eher konventionelle Klangrepertoire der Sopranistin. Wenn Irina auf Rumänisch singt, dann versteht das zuhörende Herz sofort.
Wie schön, dass Irina Ungureanu, die in und rund um Frauenfeld aufgewachsen ist, nach 20 Jahren endlich wieder einmal im Eisenwerk auftrat. Künstlerisch, stimmlich und musikalisch sind sie und ihre Band Grünes Blatt ein ganz heisser Tipp in Sachen zeitgenössischer Weltmusik, Improvisation/Jazz. Das ist echte Musik mit Suchtfaktor.
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