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von Kirsten Astor, 27.03.2018

Ein Baumeister mit Biss

Ein Baumeister mit Biss
Museumsleiterin Ursula Steinhauser und Experte Wolf-Dieter Burkhard (mit Biber Haakon in der Hand) geben einen Einblick in die Ausstellung im Gewölbekeller. Hier ist zu sehen, wie die Nagetiere auch dicke Bäume fällen. | © Kirsten Schlüter

Er fällt Bäume, baut Staudämme und verändert so stark seine Umgebung, dass mancher Landwirt ihn gern vertrieben hätte. Doch heute steht der Biber unter Schutz. Eine Ausstellung im Kreuzlinger Seemuseum widmet sich dem Nager mit dem kraftvollen Kiefer, der seit 50 Jahren wieder den Thurgau bevölkert.

Von Kirsten Schlüter

Wenn er zubeisst, sind die Tage selbst kräftiger Bäume gezählt. Ein Biber kann innerhalb einer Woche bis zu 50 Zentimeter dicke Stämme durchnagen, die er für den Bau von Staudämmen braucht. Diese wiederum benötigt das Tier, um den Eingang zu seinem Bau stets unter Wasser zu halten. Weil die Nagetiere ihre Umgebung stark verändern, waren sie früher nicht überall gern gesehen. Die Folge: Ausrottung. Doch zwei Brüdern aus Bottighofen ist es zu verdanken, dass Biber seit 50 Jahren wieder den Thurgau besiedeln und er heute der Kanton mit der größten Population in der gesamten Schweiz ist.

Das Kreuzlinger Seemuseum nutzt dieses Jubiläum, um sich dem spannenden Tier von Ende März bis Mitte November zu widmen. „Baumeister Biber – Rückkehr mit Nebengeräuschen“ lautet der Titel der Ausstellung im Gewölbekeller des Museums. „Der Biber hat überall im Thurgau Spuren hinterlassen, auch 200 Meter von uns entfernt im Seeburgpark“, erläutert Museumsleiterin Ursula Steinhauser. Sie freut sich besonders, die WWF-Ortsgruppe Thurgau als Partner der Ausstellung gewonnen zu haben, denn Vorstandsmitglied und Biber-Experte Wolf-Dieter Burkhard hat die Wiederansiedelung der Tiere miterlebt. Entsprechend begeistert berichtet der 75-Jährige von den damaligen Anstrengungen, das Nagetier wieder heimisch werden zu lassen. „Die Brüder Anton und Hannes Trösch aus Bottighofen spielten als Kinder am Stichbach und hatten sich in den Kopf gesetzt, hier eines Tages Biber auszusetzen“, berichtet Burkhard.

Biber wachsen ihr ganzes Leben lang und können so gross und schwer werden wie ein Reh.

Biber wachsen ihr ganzes Leben lang und können so gross und schwer werden wie ein Reh. Bild: Kirsten Schlüter

Doch woher sollten sie die Tiere nehmen? Schliesslich waren sie in der Schweiz ausgerottet. Stapelweise Briefe an Zoos in der Schweiz, Deutschland und Frankreich zeugen von den zunächst fruchtlosen Bemühungen der Brüder. Endlich kamen sie an die Nager Olaf und Haakon aus dem Nürnberger Zoo und setzten sie im November 1966 im Stichbach aus. Dort blieben die Tiere allerdings nicht lange, wie Wolf-Dieter Burkhard berichtet: „Vor allem Haakon gefiel es dort nicht, er haute gleich ab und wurde in Bregenz, Lindau und Immenstaad, dann im Konstanzer Ortsteil Wallhausen gesichtet und schliesslich nach Bottighofen zurückgebracht. Er wanderte gleich wieder weg, bis er im Bündnerland überfahren wurde.“

Wie der Biber zur Gründung des WWF in Kreuzlingen beitrug

Aus dem ersten Versuch der Ansiedelung wurde also nichts – auch deshalb, weil Olaf und Haakon beides Männchen waren, was die Trösch-Brüder anfangs nicht wussten. Sie gaben aber nicht auf, sondern wandten sich an den Schweizer WWF, den es seit 1961 gab. Tatsächlich sicherte die Organisation Geld zu, wenn die Brüder im Gegenzug eine Kreuzlinger WWF-Ortsgruppe gründen. „Der Biber ist also Schuld daran, dass es die Tierschutzorganisation hier seit 1968 gibt – und dass ich seit einem halben Jahrhundert im Vorstand sitze“, erzählt Burkhard schmunzelnd. Für 11.000 Franken kaufte der WWF neun Biber aus Norwegen und siedelte sie im Nussbaumersee an. „Sechs von ihnen überlebten. Auf sie geht die gesamte Biberpopulation der Ostschweiz zurück, die heute 600 Tiere zählt“, so der Experte. Nach zwei Jahren kam der erste Nachwuchs, nach drei Jahren wurden die geschlechtsreifen Jungtiere verstossen und verbreiteten sich im Thurgau. „Das waren turbulente Zeiten, denn vor allem Landwirte litten unter den Einflüssen des Bibers“, sagt der 75-Jährige. Inzwischen ist die Tierart streng geschützt, allenfalls Umsiedelungen seien tolerierbar. „Ausserdem kann jede Stadtverwaltung bestimmen, welche Bäume die Nager nicht anknabbern dürfen, indem sie Metallmanschetten um diese Bäume legen. Stämme, die sowieso gefällt werden müssten, überlässt man den Bibern. So haben beide Seiten etwas davon“, sagt Wolf-Dieter Burkhard. Er findet die Nagetiere faszinierend: „Sie haben mein Leben verändert.“

Museumsleiterin Ursula Steinhauser ist stolz darauf, dass der präparierte Haakon Teil der Ausstellung im Seemuseum ist. „Unglaublich, welch lange Reise er lebend hinter sich hat und toll, dass wir ihn nun bei uns haben“, sagt sie über die Leihgabe des Bündner Naturmuseums in Chur. Noch steckt Haakon in einer Kiste. Doch einen Tag vor der Vernissage darf er sich zu den anderen Exponaten gesellen.

Wer schafft es, mit viel Kraft die Zange so weit zusammenzudrücken, bis das Bibergebiss sich schliesst? Die Nager erzeugen rund 80 Kilogramm Kaukraft pro Quadratzentimeter. Menschen schaffen höchstens die Hälfte.

Wer schafft es, mit viel Kraft die Zange so weit zusammenzudrücken, bis das Bibergebiss sich schliesst? Die Nager erzeugen rund 80 Kilogramm Kaukraft pro Quadratzentimeter. Menschen schaffen höchstens die Hälfte. Bild: Kirsten Schlüter 

Die Ausstellung

„Baumeister Biber – Rückkehr mit Nebengeräuschen. 50 Jahre Biber im Thurgau“ wurde 2006 von den Naturmuseen Thurgau und Olten (Kanton Solothurn) konzipiert und ist seitdem auf Wanderschaft. Im Kreuzlinger Seemuseum (Seeweg 3) ist sie von Mittwoch, 28. März, bis Sonntag, 18. November, zu sehen. Auf 240 Quadratmetern erfahren die Besucher, wie Biber leben, sehen einen Biberbau und können durch Drücken einer Feder selbst ausprobieren, welch kräftigen Kiefer die Nager haben. Ergänzt wird die Ausstellung durch 14 Bibergemälde mit Erläuterungen des Künstlers Ueli Iff.

Begleitend finden einige Veranstaltungen statt, hier die Termine für Frühjahr und Sommer:

-    Mittwoch, 28. März, 19 Uhr: Eröffnung mit Dr. Hannes Geisser, Direktor Naturmuseum Thurgau, sowie Wolf-Dieter Burkhard, WWF-Vorstandsmitglied Thurgau

-    Sonntag, 22. April, 14 bis 17 Uhr: Biber – mehr als ein Schädling (Familiensonntag)

-    Sonntag, 29. April, 14 bis 17 Uhr: Feier 60 Jahre Seeburgpark (Kinderschminken und Fotospaziergang durch den Park)

-    Mittwoch, 2. Mai, 16 Uhr: Als der Fischer und seine Frau am Bodensee lebten (Erzählnachmittag mit Yvette Padovan; für Kinder ab fünf Jahren)

-    Sonntag, 6. Mai, 14 Uhr: Öffentliche Führung durch die Ausstellung

-    Sonntag, 13. Mai, 14 bis 17 Uhr: Kreuzlinger Museumstag (buntes Programm mit Tombola)

-    Mittwoch, 30. Mai, 15 Uhr: Natur(S)pur Biber (mit Biberfachfrau Manuela Bissegger; für Kinder ab sechs Jahren, Anmeldung erwünscht)

-    Mittwoch, 6. Juni, 19 Uhr: Wie der Biber in den Thurgau kam (Referat mit Wolf-Dieter Burkhard)

-    Mittwoch, 20. Juni, 15 Uhr: Bereit für die Sommerferien? (Kindernachmittag für Kinder ab sechs Jahren, Anmeldung erwünscht).

 

Der Museums-Umbau

Museumsleiterin Ursula Steinhauser freut sich, dass das Seemuseum demnächst den heutigen Anforderungen gerecht werden kann: Das Kreuzlinger Parlament bewilligte jüngst einen Kredit über 800.000 Franken. Damit sollen der Eingangs- und Bürobereichs inklusive Cafeteria sowie der Gewölbekeller modernisiert werden. Die Brandschutzvorschriften werden dann erfüllt, ausserdem wird das denkmalgeschützte Gebäude durch den Einbau einer Rampe oder eines Lifts barrierefrei. Auch Beleuchtungs- und Schallprobleme werden gelöst. Baubeginn ist laut Steinhauser im kommenden Winter, nach maximal einem Jahr Bauzeit soll das Seemuseum runderneuert sein. (kis)

 

 

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