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von Barbara Camenzind, 09.09.2024

Heiliges Theater!

Heiliges Theater!
Theodora und Irene, ausdrucksstark in Szene gesetzt von Julia Hagenmüller und Eva Marti. (Foto: ) | © zVg/Eveline Gasser, Märstetten

Mit dem dramatischen Oratorium „Theodora“ von Georg Friedrich Händel wagt sich das Vokalensemble Praetorius  in der Kleinen Oper Märstetten an die Grenzen des Musiktheaters. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Die Oper war schon immer eine Grenzgängerin. Wie Friedrich Nietzsche es beschrieb, in „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Das Rezept für den absolut bezaubernden Opernabend in dem von Dirigent und Gastgeber Jürg Trippel liebevoll in ein „Opernhüsli“ umgebauten Pferdestall, ist so bestechend symmetrisch, wie die Paläste aus der Zeit Händels.

Man nehme: Einen genialen Barockkomponisten wie Georg Friedrich Händel einer war, der als gewiefter Theatermann erst die auf griechisch-mythischen Vorbild - in italienischer Sprache - die Oper mit ihren Kastratenstars und dem perspektivischen Bühnenzauber nach London brachte. Um 30 Jahre und zwei Pleiten später zu realisieren, dass den Engländern, deren König deutsch sprach, das italienische Koloraturen-Wettsingen, die ewig streitenden Sängerinnen und das ganze heidnisch-ausländische Trallala irgendwann nicht mehr amüsierte.

Sie wollten Musikvergnügen mit gesitteter geistlicher Erbauung, in englischer Sprache und please, fromme Helden im Gegenwind von Sex and Crime. Eine Erbauung für alle Interessengruppen also, in London um 1750 und nach dem ersten  Erfolg von „Messiah“.

Eine schrumme Heiligenlegende als Vorlage

Händels Librettist, der Geistliche Thomas Morell, schrieb sein Libretto auf der Vorlage einer reichlich schrummen Heiligenlegende aus dem 3. Jahrhundert nach Christus. Darin erscheinen: Die Märtyrerin Theodora, die nicht dem römischen Kaiser huldigen will und die zusammen mit dem christlichen Römersoldaten Didymus ein tragisches Liebespaar abgibt.

Dazu ihre standhafte, auf das Gute hoffende Gefährtin Irene, der zwischen den Fronten hin und her gerissene Soldatenfreund Septimius und der römische Statthalter Valens, ganz absolutistischer Machtmensch. Sie stehen als archetypische Figuren im Zentrum, um die herum der Chor sich als Kommentator ex tempore choreographiert, ganz wie in einer griechischen Tragödie.

Theodora, die für ihre Weigerung, den alten Göttern zu huldigen, vergewaltigt und getötet werden sollte, findet in Märstetten in der Sopranistin Julia Hagenmüller eine wunderbare stimmliche, wie figürliche Verkörperung. Das perfekte Englisch, die leuchtende Höhe und sorgfältige Anwendung der barocken Diminuition, sowie das unaufgesetzte Spiel verzauberten das Publikum, das ihr buchstäblich vor den Füssen lag. Wie schnell würde aus der frommen Theodora eine schreckliche Frömmlerin, ohne diese Echtheit. Julias Theodora ist die Heldin des Abends.

 

Tragische Helden, lächelnd: Stefan Kahle als Didymus und Sören Richter als Septimius. Bild: zVg/Eveline Gasser, Märstetten

Grosse Fussstapfen

Der Altus Stefan Kahle, der als Theodoras Liebster und Retter Didymus mit seiner grossen Stimme einigen Herausforderungen in dem kleinen Raum ausgesetzt war, überzeugte in seiner versierten Gestaltung der Rezitative im Zusammenspiel mit der Cembalistin Marie-Louise Dähler und dem Continuo-Part. Er musste in grosse Fusstapfen treten. Kein Geringerer als der berühmte, wie künstlerisch sehr progressive Alt-Kastrat Guadagni, der auch Opernreformers Glucks „Orfeo“ aus der Taufe hob, sang damals die Titelpartie.

Didymus, wie die Figur der Irene, verkörpert durch die hochexpressiv agierende Eva Marti, die mit warmen Klängen und grosser Demut ihre Rolle verkörperte, hätten noch ein paar Tage szenische Proben gut getan um sich körperlich - gestisch mit der Figur noch etwas besser zu vereinen. Peter Walser als Statthalter Valens ist optisch eine Augenweide… Und mit gewissen Peter-Ustinov-Anleihen aus dem Film „Quo Vadis“ und einem so charmanten helvetischen Akzent, der der musikalischen Darbietung eine liebenswürdige Bodenständigkeit verlieh.

Tenor Sören Richters Septimius musste in der ganzen Geschichte die grösste Verwandlung durchmachen. Vom loyalen staatstreuen Römer zum verständnisvollen Freund. In seiner Figur steckt sehr viel Aufklärungsgeist, dem der 64jährige Händel mit seiner Musik bereits vorspurte. Und wie gerne würde man diese schöne, sensible Stimme mal als Mozarts Titus hören, in ein paar Jahren.

Chor ba-rockt die Bühne

Das 15-köpfige Ensemble Praetorius, die sowohl Chor, wie als Bühnenarbeiter mit Leuchtweste auftreten und mit ihren schwarzen „Roma caput mundi“- Shirts zeitlos das Drama illustrieren und konterkarieren, machen einfach Spass. Super Klang, gut eingespielt und locker ba-rocken sie im wahrsten Sinne des Wortes die Bühne.

Das Opernorchester Märstetten, das buchstäblich jeden noch verfügbaren Winkel des „Opernhüslis“ besetzt, ist trotz tropischer Temperaturen ein Genuss für alle Barockmusikfan-Ohren. Dirigent Jürgen Trippel hat sie alle bei sich und reagiert sensibel und formschön auf Übergänge von Bühne, Continuo und Chor. Keine leichte Aufgabe bei den überall verteilten Musizierenden und Singenden.

Barbara Sturzeneggers Inszenierung hatte in den vier Probentagen nicht viel Zeit, zu wachsen. Aber das feine Spiel funktionierte im Wesentlichen sinngemäss zusammen mit dem schönen Bühnenraum.

Etwas mehr Probentage hätten gut getan

Das Gute an barocken Stücken: Die Rollen sind sehr artifiziell angelegt, wie eine Art übergeordnetes Muster. Jeder Figur liegt ein Gestus zugrunde. In so einem kleinen Theater, das aber durch das traditionelle Guckkastensystem, den Schnürboden und die Seitengassen, viel grösser wirkt, sind die Gänge wie gegeben. Vertrauten Regie und die Sänger auf diese alten Gesetzmässigkeiten, ist das Spiel organisch, dort wo nicht, wirkt es etwas aus der Zeit gefallen, aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

Zum Glück haben weder Regisseurin noch Darstellende versucht, die Geschichte zu paraphrasieren. Zum grundsätzlichen Glück wird in einer barocken Oper, sowie im Oratorium „nur“ in ornamentaler Form von Mord, Totschlag und Vergewaltigung gesungen und nicht so direktbrutal. Vorhang auf- Musik - Verwandlung - Vorhang zu. Denn unsere Gegenwart, in der Femizide und religiös begründete Ehrenmorde immer wieder die Schlagzeilen füllen, ist Händels „Theodora“ inhaltlich wirklich nur noch als pietistisch angehauchtes Zeitzeugnis zu ertragen.

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