von Jürg Schoop (1934 - 2024), 01.06.2016
Jazz im SIX - ein Geheimtipp
Jürg Schoop
Hans-Peter Vianden, Besitzer des Hotels SIX in Kreuzlingen, ist ein einfallsreicher Kreuzlinger Geschäftsmann, der nicht in das Gejammer über die Frankenstärke einstimmt. Doch thurgaukultur.ch interessiert sich weniger für Viandens Gastro-Konzepte. Ein Highlight für solche, die nicht unbedingt an der Hamsterei orientiert sind, sich aber für Jazz interessieren, sind die Donnerstagabend-Jazz-Konzerte - im Rahmen der MusicNights - im „SIX“. Da treten ausgezeichnete Jazz-Solisten aus dem Konstanzer und Süddeutschen Raum auf, manchmal solo, manchmal im Duo oder Trio. Und das mit Gratiseintritt! Das folgende Video vermittelt einen Eindruck.
Und die Besucher? Rennen sie die Bude ein, möchten sie all die Fingerfertigkeit der mehr oder weniger alten Saiten-Jungs erleben? Nein, liebe Jazzfreunde, in der 20'000-Einwohner-Stadt, die hauptsächlich als Schlafstadt gewählt wird, raffen sich gerade mal, wenns hoch kommt, 4 bis 6 Leute in die SIX-Café-Bar auf, wenn moderner Jazz auf dem Programm steht. Da ist es kaum verwunderlich, wenn der Veranstalter auch mal zu publikumsträchtigeren Events greift, einem unterhaltsamen Country-Sänger, der die Bar in ein Festungswall verwandelte, in dem es kaum ein Durchkommen gab, oder zu sogenannten Jazz-Friends, die dem Klamauk nicht fremd gegenüber stehen.
„Thats life!“
Auf die Frage, ob es gemütsmässig nicht etwas schwer zu ertragen sei, wenn zu einem Konzert mit ausgezeichneten Solisten wie Jörg Enz oder Joe Kenney nicht mal ein halbes Dutzend Zuhörer erscheinen, antwortet Hans-Peter Vianden nur mit der Feststellung „Thats life!“ Es gebe auch besser besuchte Veranstaltungen. Zur ziemlich konventionellen Kreuzlinger Jazz-Meile - ein alljährlicher Event, der vorab jene herbei lockt, die nebst der Musik gerne Bekannte treffen - hat der Hotelier ein gespaltenes Verhältnis. Sein Lokal liege zu weit ab, die Jazz-Meile sei auch weder räumlich noch inhaltlich definiert, die bisher einzige Teilnahme habe nichts gebracht.
Hausgitarrist Jörg Enz
Den Radolfzeller Gitarristen Jörg Enz kann man gut und gerne als Hausgitarristen des Café SIX bezeichnen. Manchmal spielt er solo, das noch nicht allzu lange, hin und wieder mit kongenialen Mitmusikern im Duo. Er wurde schon gehört zusammen mit dem einfühlsamen und versierten Vibraphonisten Joe Kenney, ein Amerikaner aus New Jersey in Deutschland. Auch das Gitarren-Zusammenspiel mit dem in guter Kollegschaft verbundenen Rumänen Rares Popsa harmonierte auf hohem Niveau und gefiel den Kennern.
Gitarrist Jörg Enz. Bild: Jürg Schoop
Jeglichen Grenzen abhold, konzertiert Enz sowohl im süddeutschen Raum wie eben jetzt in Kreuzlingen. Die Jazzbaragge in Zürch und die Esse-Bar in Winterthur kennt er aus eigener Erfahrung, die Beziehungen zur Schweiz ergänzen sich durch seine Lehrtätigkeit an der Swiss Jazz School in Bern, an der auch der Pianist und Organist Stewy von Wattenwyl tätig ist.
Mit diesem und dem Drummer Patrick Manzecchi zusammen wurde 2012 ein Live-Konzert inszeniert, das vom Südwestrundfunk aufgenommen zum ersten Album führte. Eine besondere Angelegenheit ist für Jörg Enz das von ihm gegründete Organic Trio, das in der BesetzungGitarre, B3-Orgel und Drums vielleicht auch als Reminiszenz an seine New-Yorker Zeiten gesehen werden kann. Dokumentiert auf einer CD, produziert vom SWR Tübingen und Jörg Enz.
New York: Vom Dampfhammer getroffen
Eines Nachts rief vor vielen Jahren ein Freund aus New York an, der soeben aus einem Konzert mit Kenny Burrell, einem der Altmeister der Jazzgitarre kam und ganz aufgeregt darauf pochte, dass die wahre Gitarre in New York stattfinde. Jörg Enz konnte diesem Ruf nicht widerstehn, er hörte sich diese angesagten Instrumentalisten an und war - wie er selber sagt - wie vom «Dampfhammer» getroffen. Seine Gefühlswelt als Gitarrist brach angesichts der Meisterschaft der obersten Liga fast zusammen. Es gab zwei Möglichkeiten: die Gitarre wegzulegen oder sich noch einmal richtig hineinzuknien.
Jörg Enz wählte den härteren Weg, nahm bei diversen New Yorker Aufenthalten Unterricht beim renommierten Peter Bernstein, der bei uns vor allem durch das Bernstein-Goldings-Stewart Trio bekannt geworden ist. Dazwischen galt es, in Freiburg den Abschluss als Musikpädagoge zu machen. Ein zweites Standbein anzustreben, ist für einen Jazzer vorteilhaft.
Feinsinnig und kraftvoll
Wir sind glücklich, dass Enz seine Gitarre nicht in eine Ecke gestellt hat. Er hat sich zu einem feinsinnigen und doch kraftvollen Musiker entwickelt. Ein Rezensent hat ihn als introvertiert bezeichnet, was sich vielleicht auf die fein gesponnenen melodischen Linien bezieht, rauhe Akkordeinwürfe, wie sie Bernstein liebt, finden sich bei Enz weniger, diese überlässt er wahrscheinlich lieber dem ihn begleitenden Organisten.
Den lieben Jazzfreunden, die vermutlich doch irgendwo vorhanden sind, kann man nur sagen, wenn euch die Café-Bar nicht gefällt, sollen dafür die hervorragenden Musiker büssen? Und es erwarten Euch keine wilden und lauten Experimente, nein - ideenreich interpretierte Standarts und Eigenkompositionen, moderner, gut gewürzter Mainstream-Jazz!
***
Weitere Beiträge von Jürg Schoop (1934 - 2024)
- «Jazz ist die beste Form der Demokratie» (13.05.2020)
- Die Hierachie ist tot, es lebe das Kollektiv (29.01.2018)
- Auf dem Weg zum Dreamteam (05.12.2017)
- Gerechtigkeit an der Grenze (29.07.2015)
- Wo Tradition auf Gegenwart trifft (23.06.2016)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Musik
Kommt vor in diesen Interessen
- Jazz
Ähnliche Beiträge
«Eine Knochenarbeit, die mich bereichert!»
Wie wir arbeiten (4): Andrin Uetz ist unser Experte für Pop- und Jazzmusik. Hier beschreibt er nach welchen Kriterien er Projekte bewertet und was das mit seiner eigenen Erfahrung zu tun hat. mehr
Eisenwerk startet in die neue Saison
Im Frauenfelder Kulturhaus läuft's rund. Die Veranstaltungen sind gut besucht, das neue Programm kann sich sehen lassen und der lange geplante Umbau hat bereits angefangen. mehr
Zehn Bands, zehn Stil-Richtungen
Die Jazzmeile Kreuzlingen präsentiert am 23. und 24. August Musiker, die nicht von weit her anreisen müssen, für Zuhörer, die es zum grössten Teil ebenfalls nicht weit nach Hause haben. mehr