von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 28.04.2017
Ringen um die Zukunft
Während sich die Regionen gerade um die grossen Museen streiten, stellt sich noch eine ganz andere Frage: Wie geht es eigentlich den kleineren Häusern im Kanton? Sie ringen um zeitgemässe Vermittlungsformen. Ein Besuch in Romanshorn
Ein Dienstagmorgen in Romanshorn. Die Sonne kommt langsam durch die Wolken. Die Möwen ziehen kreischend ihre Bahnen über dem Hafenbecken, in der Hoffnung, etwas zum Fressen zu finden. Und Max Brunner steht vor dem alten Zollhaus mit einem Schlüssel in der Hand. „Herzlich willkommen", sagt er und lächelt. Den Schlüssel, den er in der Hand hält, eröffnet eine ganz spezielle Welt. Das alte Zollhaus ist heute teilweise ein Museum: Das Museum am Hafen. Seit Sommer 2009 befindet es sich hier, es ist ein regionalgeschichtliches Haus und zeigt etwas vereinfacht gesagt, vor allem eines - wie es dazu kam, dass Romanshorn so aussieht, wie es eben aussieht. Betrieben wird es von der Museumsgesellschaft Romanshorn. Max Brunner ist ihr Präsident. Im Ehrenamt. Im Wesentlichen ist der 74-Jährige eine Institution in der Bodenseestadt. Er war erst Lehrer, später auch Kantonsrat und zwischen 1999 und 2007 Romanshorner Gemeindeammann. Der CVP-Mann ist bestens vernetzt in der Region, wann immer was läuft rund ums Städle, Brunner gehört immer noch zu den Ersten, die es wissen.
Wer in diesen Wochen über Museen redet, der spricht vor allem über das Gerangel zwischen den Regionen um das Historische Museum des Kantons oder über die geplante Sanierung und eventuelle Erweiterung des Kunstmuseums. Über die sehr, sehr differenzierte Lage in der Museumslandschaft im Thurgau sagt das allerdings wenig. Das Historische Museum und das Kunstmuseum sind nur zwei von rund 70 Museen im Thurgau. Wer wissen will, wie es jenseits von Sonntagsreden und politischen Prozessen den Museen wirklich geht, der muss raus in den Kanton. Zum Beispiel eben nach Romanshorn zu Max Brunner.
Wie Hafen und Bahnhof die Stadt prägten
Das Museum am Hafen ist vor allem eine Dauerausstellung. Titel: „Die Geschichte eines Aufschwungs". Das macht schon klar, worum es hier geht - die Entwicklung eines kleinen Bodenseedorfs zu einer 11 000-Einwohnerstadt. Wer beispielsweise mit der Bahn nach Romanshorn reist, kann sich fragen, weshalb diese kleine Stadt einen solch überdimensionierten Bahnhof und Hafen hat. Die Antwort darauf, kann man zum Beispiel in Brunners Museum bekommen. Die Bahn kam in der Hoffnung auf Geschäfte mit den angrenzenden Ländern und da es nun schon mal einen schönen Bahnanschluss nach Friedrichshafen gab, dachte man sich, bauen wir doch auch noch einen grossen Hafen. Er ist 12 Fussballfelder gross und gilt noch immer als der grösste vom Bodensee. Ab 1847 wurde er errichtet, „von 1850 bis zum Ersten Weltkrieg ging es hier immer nur bergauf", erklärt Max Brunner. Der Besucher kann diese Entwicklung an verschiedenen Siedlungsmodellen der Stadt selbst erkennen. Romanshorn steht da gewissermassen prototypisch für den Wandel vieler Städte durch die Industrialisierung. Das macht die Schau auch interessant für Auswärtige. Eng verbunden mit der Stadtgeschichte sind auch Schifffahrts- und Eisenbahngeschichte. Deshalb bekommt man in einigen Vitrinen auch hierzu Wissenswertes geliefert. Ein eigener Bereich ist auch Traditionsunternehmen wie Max Seller (Pharmaunternehmen) oder Fatzer (Drahtseilfabrik) aus der Gegend gewidmet.
Einblick in die Ausstellung des Museums. Bild: Michael Lünstroth
Bis zu 3000 Besucher kommen pro Jahr in das Museum am Hafen, „aber das hängt auch immer vom Programm ab", sagt Max Brunner. Und das mit dem Programm ist so ein bisschen auch der Kern des Problems von Museen dieser Art. Der Betrieb wird ehrenamtlich von einer rührigen Museumsgesellschaft gestemmt, es läuft halt so viel, wie die engagierten Lokalhistoriker Zeit haben. Rund 30 Leute bezeichnet Brunner als regelmässige Helfer, die anfallende Arbeit wird verteilt. Jeder bringt ein, was er am besten kann. Die Miete der Räume, rund 46 000 Franken im Jahr übernimmt die Stadt, den Betrieb des Museums (rund 20 0000 Franken) stemmt der Verein aus eigener Kraft - über Führungen, Vermietungen und Mitgliedsbeiträge. „Wir kommen zurecht", sagt Brunner nur knapp dazu. Die finanzielle Ausstattung ist der Grund dafür, dass die Ausstellung ist wie sie ist. Viele Vitrinen, Modellbauten, kaum Gewichtungen in den Exponaten. Deshalb ist das Gezeigte nicht uninteressant. Zum Beispiel, dass der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt, auch negative Folgen für das Stadtbild hatte: „Der Bevölkerungswachstum von 1850 bis 1915, das dringend Schulen und Wohnungen gebaut werden mussten", erklärt Brunner, „gebaut wurde, wo Platz war, deshalb gibt es hier auch nicht so etwas wie einen historischen Stadtkern", fügt er an. Aber die Art der Vermittlung ist eben doch nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit.
Die Dauerausstellung soll überholt werden. Es wäre ein Anfang
Max Brunner weiss das alles ja selbst. Die Dauerausstellung wurde 2009 erstellt, sie soll mittelfristig überarbeitet werden. Es soll weitere Veranstaltungsangebote geben, um mehr Leute ins Museum zu locken, auch an die Schulen will der Verein nochmal ran, „da läuft noch zu wenig", findet Brunner. Manches dauert auch ihm zu lang, aber es ist, wie es ist, sagt er dann. Denn andererseits ist es ja auch so: Ohne die ganzen Ehrenämtler würde gar nichts passieren, also darf man auch niemanden überfordern. Fragt man ihn, ob er glaubt, dass das Museum eine Zukunft hat, dann nickt er sehr energisch. „Davon bin ich überzeugt", sagt er. Ein wichtiger Schritt dafür wird sein, die Museumsgesellschaft zu verjüngen. Im Moment sind die meisten Aktiven im Pensionsalter.
Aber es gibt auch Hoffnung: Vielleicht spielt dem Museum die Entwicklung der Stadt ein bisschen in die Hände. Romanshorn steht gerade vor einem nächsten Schritt. Direkt gegenüber vom Museum am Hafen, im alten Lagerhaus am Fähranleger sollen Luxuswohnungen, Hotel, Gastronomie und weitere Museen entstehen, andere Pläne sehen ein Luxushotel in der Nähe vor. Neue Gäste dort könnten auch neue Besucher des regionalgeschichtlichen Museums sein. Die Pläne werden zwar kontrovers diskutiert, aber sollte sich die Stadt dem Tourismus weiter öffnen, könnte auch das kleine Museum am Hafen profitieren.
Weiterlesen:
Einen kurzen Rundgang durch das Museum gibt es hier: https://www.museumromanshorn.ch/rundgang/
Die Öffnungszeiten: Das Museum am Hafen ist jeden Sonntag von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Führungen kann man über die Internetseite des Museums buchen: https://www.museumromanshorn.ch/informationen/führungen/
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