von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 29.01.2025
Sehen und gesehen werden
Sind Werkschauen noch zeitgemäss? Oder brauchen wir nicht längst ganz andere Ausstellungsformate? Darum drehte sich beim „Heimspiel“ eine Podiumsdiskussion im Kunstmuseum St. Gallen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Vielleicht ist es am Ende ganz einfach. Jeder Mensch will gesehen werden. Will spüren, dass das, womit man sich den lieben langen Arbeitstag so abrackert, sich irgendwann in so etwas wie Anerkennung ummünzt. Warum sollte das bei Kulturschaffenden anders sein? Eben.
Wer Kunst macht, der will das sie gesehen wird. Dafür macht man das alles ja. Weil man eine Dringlichkeit verspürt, die eigene Perspektive auf die Welt mit anderen zu teilen. Ohne Publikum stellt sich da schnell die Sinnfrage. Insofern war es nicht überraschend, dass an der Podiumsdiskussion im Kunstmuseum St.Gallen am vergangenen Donnerstag recht schnell das Wort „Sichtbarkeit“ fiel.
Das Kunstmuseum hatte gemeinsam mit Visarte Ost zu dem Gespräch anlässlich des grenzüberschreitenden Festivals „Heimspiel“ eingeladen. „Mit diesem Abend sammeln wir Stimmen von Kunstschaffenden, Verbänden, Institutionen und den Trägerschaften, um über die Chancen und Herausforderungen von Werkschauen am Beispiel des Formats Heimspiel zu diskutieren. Mit dem Ziel eure Visionen in die Diskussion zu künftigen Heimspielen einbringen zu können“, hatten die Initiator:innen in der Einladung formuliert. Richtig gross war das Interesse nicht, rund 20 Zuschauer:innen lauschten der von Céline Gaillard (Kunst(Zeug)Haus, Rapperswil) moderierten Debatte im Museumscafé.
Diskussion innerhalb der Bubble
Dabei hätte es sich durchaus auch für das breite Publikum gelohnt der Diskussion zu folgen. Schliesslich gab es Einblicke in die Entstehung eines solchen ortsübergreifenden Festivals. Es wäre zudem der Ort gewesen an dem man als Kunstbetrachter:in eigene Wünsche und Vorstellungen hätte platzieren können. So blieb es zwar eine eher kunstbubbelige Veranstaltung, interessant war es phasenweise trotzdem.
Das lag auch an den verschiedenen Vertreter:innen, die auf dem Podium ihre Perspektive auf Ausstellungsformate erläuterten: Michelle Geser vom Kulturamt Thurgau, Barbara Kiolbassa, Assistenz Kuratorin Kunst Halle St. Gallen, Sarah Kirsch, Berufsvereinigung Bildender Künstler:innen Vorarlbergs und im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis Bregenz für Kommunikation und Vermittlung zuständig sowie Stefan Rohner, Künstler aus St. Gallen.
Der Ort ist die Botschaft
Das mit der Sichtbarkeit brachte Michelle Geser als Erste in die Debatte ein. Moderatorin Céline Gaillard hatte sie zuvor nach den wichtigsten Errungenschaften von Ausstellungen wie dem Heimspiel gefragt. „Austausch, Vernetzung und Sichtbarkeit“, antwortete Geser vom Kulturamt Thurgau.
Die weiteren Gäste des Podiums nickten eifrig dazu, so dass dies als gesetzte Erkenntnis gelten durfte. Der Künstler Stefan Rohner fügte noch hinzu, dass nicht nur die Sichtbarkeit an sich zählt, sondern die Sichtbarkeit „in einem offiziellen Kunsthaus, es ist wichtig, dass es nicht irgendein Off-Space ist, sondern ein renommierter Kunstort.“
Der Anspruch war damit gesetzt und sollte sich im Verlauf des Abends fortsetzen. Es wurde auch immer wieder deutlich, dass lokale Kulturschaffende sich manchmal vernachlässigt und eher nicht gesehen fühlen von diesen renommierten Kunstorten. Das „Heimspiel“ kann da durchaus als Beispiel dienen. Aus fast 500 Einreichungen wurden am Ende 75 Positionen ausgewählt. Da ist die Zahl der Enttäuschten naturgemäss grösser als die Zahl der Künstler:innen, die zufrieden sind.
Offene Ateliers gegen den Unmut
Beim „Heimspiel“ war man darauf vorbereitet und auch deshalb hatten die Initiator:innen vorsorglich zwei Wochenenden mit Offenen Ateliers ins Programm eingepflegt bei dem sich alle Künstler:innen beteiligen konnten. Es war ein Trostpflaster, das den Unmut eindämmen sollte. Offenbar mit Erfolg: Viele Kulturschaffende nahmen das Angebot dankbar an. Die Reaktionen (auch von Publikumsseite) auf diese Tage zeigen, dass dieser Schachzug der Veranstalter:innen klug war.
Gleichwohl diskutierte die Runde im Kunstmuseum St. Gallen auch die Frage, ob es nicht mehr unjurierte Ausstellungen bräuchte, um dem regionalen Kunstschaffen gerecht werden zu können. Sarah Kirsch vom Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis Bregenz erzählte an dieser Stelle von ihren Erfahrungen mit einer regelmässig stattfindenden Mitgliederausstellung.
Jede:r Künstler:in darf hier mitmachen, der Vorstand übernimmt die Hängung. Das führt aber teilweise zu eher absurden Auswüchsen: Aufgrund des Andrangs und des begrenzten Platzes mussten auch WC-Räume bespielt werden. Und um Ärger aus dem Weg zu gehen, gab es im Künstlerhaus auch schon mal eine alphabetische Reihenfolge der Hängung.
Wünsche des Publikums vs. Wünsche der Künstler:innen
Spätestens hier stellt sich dann die Frage, wer, ausser der jeweiligen Fan- und Familienbubble sich das eigentlich noch anschauen soll? Ohne Auswahlprozesse wird Kunst schnell beliebig und kontextlos. Gleichberechtigte Teilhabe und Kunstgenuss gehen eher selten Hand in Hand. Der Wunsch der Kulturschaffenden nach Sichtbarkeit kreuzt sich in diesen Fällen nicht selten mit den Wünschen des Publikums nach Einordnung, Übersicht und Vermittlung. Einen Weg aus diesem Dilemma konnte das Podium in St.Gallen nicht aufzeigen.
Möglicherweise ist das Heimspiel selbst ein Ausweg. Bis 2018 gab es eine auswählende Jury, seither entscheiden die Kurator:innen der beteiligten Häuser selbst über die Teilnehmer:innen. Sie setzen sich ein Thema und wählen auf dieser Basis aus den Bewerbungen die passenden Positionen aus. „Das Problem der Hierarchie in solchen Prozessen haben wir damit nicht gelöst, aber durch die zusätzlichen Zugänge über die Offenen Ateliers und die Dokumentation aller Bewerbungen in der Dokustation sind wir offener geworden“, sagt Barbara Kiolbassa von der Kunsthalle Sankt Gallen.
Ein Heimspiel alle drei Jahre reicht nicht
Der Künstler Stefan Rohner beurteilte dies jedenfalls positiv: „Die Kurator:innen sind näher dran am lokalen Kulturschaffen und können das besser einschätzen als externe Juroren, deshalb ist diese Änderung gut.“ Ein Heimspiel alle drei Jahre sei in Sachen Sichtbarkeit aber zu wenig. Lokale Künstler:innen sollten auch in anderen Ausstellungen regelmässiger eingebunden werden, kritisierte Rohner. „International bekannte Künstler:innen mit lokalen Künstler:innen in den Dialog zu bringen, das könnte ein Erfolgsmodell sein“, so Rohner weiter.
Kunst lebt allerdings nicht nur vom Gesehenwerden, sondern auch davon, was man sehen kann. Mit anderen Worten: Ist das, was in solchen Ausstellungen zu sehen ist, überhaupt relevant? Welchen Bezug zeigen die Werke zu der Welt in der wir leben auf? Stehen sie nur für sich? Oder haben sie einen wie auch immer gearteten Impact auf die Menschen, die sie betrachten?
Herausragendes neben Mittelmass
Aufs „Heimspiel“ gemünzt, müsste die ehrliche Antwort lauten: „Es kommt darauf an.“ In fast allen Ausstellungsorten gibt es herausragende Arbeiten. Wie zum Beispiel Mirijam Spendovs Stickereien im Werk Zwei in Arbon, die auf fantastische wie berührende Weise mit dem Thema Erinnerung spielen. Oder Isabelle Kriegs wuchtige „Urschnur“ im Kunstmuseum St.Gallen. Bei den Videoarbeiten überzeugen vor allem Sarah Hugentobler und Katja Schenker.
Daneben gibt es überall aber auch Mittelmass. Wie in jeder Ausstellung. Trotzdem ist das „Heimspiel“ ein Gewinn. Weil es überblicksartig das Kunstschaffen aus unserer Region abbildet, weil es ein beinahe spektakulär vielfältiges Vermittlungs- und Erlebnisprogramm bietet und auch den Mut hat, sich selbst mit solchen Podiumsdiskussionen in Frage zu stellen. Bleibt aus Thurgauer Sicht am Ende fast nur ein Wunsch übrig: Die Verlegung des Festivals ins Frühjahr. Dann müsste auch im Arboner Werk Zwei niemand mehr Erfrierungsängste durchbibbern.
Das Heimspiel läuft noch bis zum 2. März
«Bei Heimspiel 2024 legen die beteiligten Häuser grossen Wert darauf, nicht nur eine gute Auswahl, sondern auch in sich stimmige und griffige Ausstellungskonzepte zu präsentieren», schrieben die Veranstalter in einer Medienmitteilung im Sommer. Während in Arbon das Motto laute «Der Stoff, aus dem die Gegenwart besteht», setze der Kunstraum Dornbirn beispielsweise bildhauerische Positionen unterschiedlicher Generationen in einen Dialog mit Ort und Raum.
Das Kunstmuseum St. Gallen wiederum inszeniert im Untergeschoss ein Reservoir der Kunst als Quelle der Ideen und Zuflucht für die Zukunft. Das Kunsthaus Glarus lotet anhand des Begriffs der «Gestalt» die Grenzen zwischen Vorstellung und Wirklichkeit aus. Und: Die Kunst Halle Sankt Gallen feiert unter dem Titel «Uncanny Unchained: The Power of Weird» das Absonderliche und hinterfragt damit gesellschaftliche Normen.
Heimspiel 2024 findet noch bis zum 2. März 2025 statt. Alle Daten zum Programm auch auf der Website des Festivals.
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