von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 16.10.2024
Was hält uns zusammen?
Die dritte Thurgauer Kulturkonferenz begibt sich auf die Suche nach Zukunftsmodellen für unser Zusammenleben. Die grosse Frage dabei: Welche Rolle kann Kultur in Gemeinschaften spielen? (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Was hält Gemeinschaften zusammen? Geteilte Werte? Gemeinsame Interessen? Solidarität? Und geht es eher um räumliche oder gefühlte Nähe? In Zeiten von polarisierten und zersplitterten Gesellschaften werden solche Fragen dringlicher. Wissenschaftler:innen beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit der Suche nach Antworten, und nun beteiligen sich auch die Kulturstiftung, das Kulturamt und die Kulturkommission des Kantons Thurgau an der Debatte.
Bei der dritten Thurgauer Kulturkonferenz steht am Samstag, 26. Oktober, das Thema Gemeinschaft im Mittelpunkt (hier geht’s zur Anmeldung). „Vor welchen Herausforderungen stehen Gemeinschaften heute? Viele zerfallen in kleinere Teile, manche entstehen aber auch neu. Was bedeutet dieser gesellschaftliche Wandel für die Kultur?“ umreien die Veranstalter:innen die Idee zur Konferenz in ihrer Einladung. Einen halben Tag lang sollen sich die Teilnehmer:innen in der Frauenfelder Theaterwerkstatt Gleis 5 mit dem Thema auseinandersetzen.
Ein Städter:innen-Verschickungsprogramm aufs Land
Eines der Projekte, das vorgestellt wird, ist der sogenannte „Summer of Pioneers“. Kernidee des Projektes, das bereits in mehreren Orten durchgeführt wurde, ist, digital und kreativ arbeitende Menschen aus Städten für sechs Monate aufs Land zu bringen und dort den Austausch zu fördern. Im Untertitel heisst das Projekt „Probewohnen und Coworking auf dem Land“. Das Ziel dabei: Beide Seiten sollen am Ende profitieren – die Orte von den Ideen der Gäste und die Gäste von den Gestaltungs- und Erlebnismöglichkeiten in der Provinz.
Das Unternehmen Neulandia hat das Ganze entwickelt und bemüht sich um eine Versöhnung von digitaler und analoger Welt. Enttäuscht von der Entwicklung des Internets zur „weltweiten Shopping-Mall“, wollen sie den Aspekt sozialer Innovationen mithilfe von Digitalisierung betonen: „Wir wollen Veränderungen anstossen, die grösser sind als wir, daher setzen wir auf Zusammenarbeit. Wir setzen dabei auf ländliche Räume, weil dort Veränderungen schneller möglich sind als in Metropolen. Es braucht dafür ‚nur‘ visionäre Gemeindevertreter:innen, eine aufgeschlossene Bürgerschaft und Experimentierfreude“, heisst es auf der Neulandia-Website.
SRF-Beitrag über Summer of Pioneers
Lichtensteig hat vorgemacht, wie es gehen kann
Im vergangenen Jahr lief das Projekt auch in Lichtensteig. 18 Kreative und Digitalarbeiter:innen zogen für ein halbes Jahr in die kleine Stadt. Rund um den Bahnhof ist ein Begegnungs- und Kulturort entstanden, der eine Bühne bieten möchte für neue Wohnmodelle und soziale Innovationen. Die Stadt Lichtensteig hatte mit der Stiftung zukunft.bahnhof den Teilnehmer:innen aus dem In- und Ausland ein Rundum-Sorglos-Paket offeriert: möblierte, vergünstigte Wohnungen mit Nebenkosten und Internet-Flat sowie kostenlosen Zugang zu einem Arbeitsplatz, einem Coworking-Space im ehemaligen Postgebäude. Im Gegenzug haben sich die 18 Personen ehrenamtlich mit ihrem Know-how und Netzwerk in der Stadt engagiert.
Das Projekt wurde am Ende von allen Seiten als Erfolg gewertet. Sechs Teilnehmende blieben sogar in Lichtensteig wohnen. Angelina Eckert ist eine von ihnen. Sie war im Mai 2023 von Berlin ins Toggenburg gezogen. Jetzt habe sie kein Interesse, zurück nach Berlin zu fahren, sagte sie gegenüber dem Tagblatt: „Nach dem ersten Schock hatte ich schnell das Gefühl, angekommen zu sein.“ Auch in der Gemeinde selbst ist der Summer of Pioneers so gut angekommen, dass in diesem Jahr eine Neuauflage lief. Das könnte auch ein Modell für andere Kommunen sein, die offen für neue Ideen sind.
Projektgründer hält Impulsreferat
Initiiert wurde das Projekt „Summer of Pioneers“ von Frederik Fischer. Der Gründer und Geschäftsführer von Neulandia wird bei der Thurgauer Kulturkonferenz ein Impulsreferat über seine Ideen halten. Er sagt unter anderem: „Die wirklich aufregenden Zukunftsentwürfe entstehen heute in der Provinz.“ Wie nachhaltig ein auf sechs Monate befristetes Programm wirklich sein kann, auch dieser Frage wird sich Fischer während der Kulturkonferenz stellen müssen.
Fischers Projekt ist aber nicht die einzige Idee, die während der Konferenz diskutiert werden soll. In Workshops werden unter anderem auch zwei Thurgauer Initiativen im Fokus stehen: Mitglieder des Frauenfelder KAFF berichten darüber, wie man junge Menschen zu Engagement in der Kulturarbeit aktivieren kann, und Pascal Leuthold, einer der Initianten des Festivals „Kultur im Tankkeller“, gibt Einblicke, wie es ihnen gelungen ist, Jodlerverein und Experimentalmusik zusammenzubringen.
Video: arttv.ch über den Tankkeller Egnach
Praktische Übung: Wie Gemeinschaften entstehen
Zwei weitere Workshops gibt es zudem. Der Impact Hub Zürich beleuchtet den Begriff des Netzwerks und warum das wichtig ist für Gemeinschaften. Die beiden Kulturvermittlerinnen Miriam Sutter und Kathrin Sauter wollen in einem praktischen Workshop zeigen, wie Gemeinschaften mit den Mitteln des Improtheaters entstehen können.
Wer Lust hat, bei der Thurgauer Kulturkonferenz dabei zu sein: Die Veranstaltung ist kostenlos, Anmeldungen sind bis zum 21. Oktober möglich über die Internetseite der Kulturstiftung des Kantons Thurgau.
9:30 Uhr
Saalöffnung
10 Uhr
Begrüssung und Einführung, Stefan Wagner, Kulturstiftung des Kantons Thurgau
Grussworte von Regierungsrätin Denise Neuweiler
10:15 Uhr
Impulsreferat Frederik Fischer, Summer of Pioneers,
anschliessend Diskussion Frederik Fischer und Stefan Wagner
10:50 Uhr
Pause
11 Uhr
Workshops
LAND, Kultur im Tankkeller, Pascal Leuthold und Phlipp Schubiger
JUGEND, Team KAFF
GEGENÜBER, Miriam Sutter und Katrin Sauter, Kulturschaffende und -vermittlerinnen
NETZWERK, Impact Hub Zürich
12:15 Uhr
Podiumsdiskussion mit den Workshopleitenden
12:40 Uhr
Offene Diskussion
12:55 Uhr
Schlussworte
Ab 13 Uhr
Mittagessen
14 Uhr
Veranstaltungsende
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