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von Judith Schuck, 28.03.2022

Zerbrechlich und doch haltbar

Zerbrechlich und doch haltbar
Freuen sich auf die gemeinsamen Aktionen: Markus Landert, Gabriele Keck, Urs Leuzinger, Daniela Nafzger und Michael Mente mit der Thurgauer Glaskarte. | © Judith Schuck

Nachdem die Uno im Jahr 2022 dem Werkstoff Glas ein Denkmal setzt, schliesst sich der Thurgau den Feierlichkeiten an. Aus einer Zusammenarbeit von Museen, Denkmalpflege und Thurgau Tourismus entstand ein breites Programm. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Jedesmal wenn Urs Leuzinger einen bestimmten Gegenstand aus der Vitrine nimmt, treten ihm die Schweissperlen auf die Stirn: «Ich möchte sie nicht fallen lassen und als derjenige in die Geschichtsbücher eingehen, der diese komplett erhaltene römischen Parfümflasche kaputt gehen liess!» Der Flakon war eine Grabbeigabe, gefunden auf dem Kastellfriedhof in Pfyn-Adelberg. Bei den Römern hiess die Siedlung Ad Fines.

Auch in Arbon (Arbor Felix) und Eschenz/Stein am Rhein (Tasgetium), wo ebenfalls ab dem 3. Jahrhundert nach Christus Kastelle errichtet wurden, stiessen die Archäologen auf Keramik, Knochen, Stein, Eisen, Holz und eben Glas aus der Römerzeit.

Dieser Werkstoff steht für den Kurator des Museums für Archäologie Thurgau dieses Jahr im Mittelpunkt, denn eine Kooperation aus den Museen Thurgau, Denkmalpflege und Thurgau Tourismus widmet sich anlässlich des Internationalen Jahr des Glases diesem transparenten und doch widerstandsfähigen Material.

 

Römisches Parfümfläschchen. Bild: Judith Schuck

Der römische Schweisskreis

Das Parfümfläschchen beinhaltete sicherlich eine stark duftende Mixtur aus Öl und Blüten oder Kräutern, vermutet Urs Leuzinger, «denn um den Schweissgeruch zu überdecken, wird ein intensiver Duft schon nötig gewesen sein». Und hier schliesst sich der römische Schweisskreis.

Aber im Thurgau gibt es schon deutlich ältere gläserne Funde: Die ältesten Glasobjekte im Kanton stammen aus der Bronzezeit (2200 bis 800 vor Christus). Bei Grabungen in Arbon und Uerschhausen entdeckten die Archäolog:innen türkis-/blau oder schwarzbraune Fayenceperlen.

Gläserne Spuren der Kelten

Lange Zeit gingen die Forscher davon aus, dass diese wertvollen Schmuckstücke aus Nahost oder dem Mittelmeerraum an den Bodensee transportiert wurden. Nach neuerem wissenschaftlichen Stand könnte aber auch eine Herkunft aus dem oberitalienischen Frattesina wahrscheinlich sein.

In einer bronzezeitlichen Siedlung im deutschen Hagnau am Bodenseeufer weisen Funde aus einer Glasschmelze darauf hin, dass sogar eine regionale Produktion möglich gewesen sein könnte.

 

Mittelalterliche Glasfunde aus Thurgauer Boden. Bild: Judith Schuck

 

Die Kelten hinterliessen im Thurgau ebenfalls ihre gläsernen Spuren. Im Gräberfeld Langdorf im heutigen Industriegebiet von Frauenfeld kam es durch Kiesabbau im 19. und 20 Jahrhundert immer wieder zu Entdeckungen.

In den hier aufgefundenen Kinder- und Frauengräbern aus der jüngeren Eisenzeit (3. und 2. Jahrhundert vor Christus) kamen vier Armringe aus Glas zum Vorschein. «Die Frauen, die diese trugen, mussten höchstwahrscheinlich wenig schaffen», ein Indiz für ihren Status, so Urs Leuzinger.

Schätze im Fäkalienschlamm

Auf den Reichtum des frühmittelalterlichen Steckborns weisen ebenfalls Grabbeigaben aus Frauengräbern aus Steckborn-Obertor hin. Die Perlen zeigen, wie ausgereift das Glaskunstwerk im 5. bis 8. Jahrhundert nach Christus bereits war. Ebenfalls am Untersee, in Diessenhofen, sorgte Fäkalienschlamm aus Latrinen dafür, dass Noppengläser aus dem 16. und 17. Jahrhundert bestens erhalten blieben.

In der Kabinettsaustellung im Obergeschoss des Museums für Archäologie in Frauenfeld wird ein kleiner, eindrücklicher Querschnitt dieser Thurgauer Glasschätze gezeigt.

Glasmalereien als mittelalterlicher Comic

Die Ausstellung «Glas & Gloria» im Historischen Museum im Schloss Frauenfeld läuft bereits. Aus dem umfangreichen Bestand an Glasmalereien von Mittelalter bis Neuzeit entstand diese Prunkschau, die sich den Wappenscheiben, Fensterstiftungen und Allianzgläsern aus dem Thurgau widmet, die meist Geschenke der damaligen gesellschaftlichen Eliten untereinander waren, die diese detailreichen Scheibchen nutzen, um mit ihrem Reichtum zu protzen. Sie könnten wie eine Art Comic gelesen werden, sagt Gabriele Keck, die Museumdirektorin.

Speziell für die Ausstellung ist der Audio-Guide «Ach du Scheibe!», bei dem die Besucher:innen zwischen verschiedenen Erzählperspektiven wählen können: möchten sie die Darstellungen in einem romantischen Licht, in Gruselatmosphäre oder rein faktenbasiert erklärt bekommen? «Dieser Zugang zu den Werken aus den drei Prespektiven wirft Fragen auf, auf die wir Kunsthistoriker:innen gar nicht kommen würden», sagt Gabriele Keck.

Diese Herangehensweise gewährleiste einen unverstellten Blick auf die Sujets, aber erleichtere auch den Selektionsprozess. «Heute gibt es so eine Fülle von Infos, dass wir auswählen müssen, was uns interessiert.» Bisher sei die Audio-Führung sehr gut angekommen bei den Museumsgästen.

 

Glasmalerei mit dem heiligen Michael als Seelenwäger auf Schloss Frauenfeld. Bild: zVg

Zwei Publikationen im Frühsommer

«Glas & Gloria» entstand aus einem Forschungsprojekt, das 2016 in Zusammenarbeit mit dem Vitrocentre Romont startete und 2022 zum Abschluss kommt. Neben der Erstellung eines digitalen Katalogs sämtlicher Thurgauer Glaskunstwerke werden im Juni noch zwei Publikationen vorgestellt: «Die Glasmalereien vom Mittelalter bis 1930 im Kanton Thurgau» von Sarah Keller und Katrin Kaufmann sowie «Licht- und Farbenzauber – Glasmalerei im Thurgau», der 23. Band der Reihe «Denkmalpflege im Thurgau».

Michael Mente vom Amt für Denkmalpflege verweist auf einige darin enthaltene «Leckerbissen», wie der 1890 auseinandergerissene Renaissancezyklus des Klosters Tänikon, der erstmalig in einem grossformatigen Katalog präsentiert und wissenschaftlich besprochen wird, oder ein Glaszyklus im maurischen Stil im Castell Tägerwilen. Die Publikation sei noch nie so dick und farbig dahergekommen, sagt Michael Mente über diese Entdeckungsreise durch den gläsernen Thurgau.

Markus Landert, Museumdirektor vom Kunstmuseum Thurgau und dem Ittinger Museum hat in seinem Bestand ebenfalls ein Dutzend Scheiben aus der Klosterzeit in ihrem Originalumfeld. Kurator Felix Ackermann spricht am 21. April um 19 Uhr im Ittinger Museum über die Bedeutung dieser unter Klöstern ausgetauschten Glasbilder und Carl Roesch gibt im Ittinger Musem ab Mitte April Einblicke in die Galskunst der Moderne.

Auf Entdeckungstour im gläsernen Thurgau

Insgesamt gebe es im Thurgau «einen Haufen Scheiben» in Museen, Kirchen und öffentlichen Orten. In Kooperation mit der Denkmalpflege und Thurgau Tourismus entwickelten die Thurgauer Museen die Karte «Gläserne Welten. Exkursionen im Thurgau.» (hier als PDF-Download) Rund 25 Orte sind darin aufgelistet, die Sehenswürdiges rund ums Glas zeigen. Sie liegt in Kirchen und Museen aus.

Gerade in Kirchen finden sich durch alle Epochen eindrucksvolle Glaskunst vom Mittelalter über Jugendstil Expressionismus und abstrakte Motive der 1960er Jahre. Für Einheimische und Touristen, die sich intensiv auf  Entdeckungstour begeben möchten, enthält die Karte noch zweitägige Ausflugstipps: «Frauenfeld, Zentrum des Glases» und «Heilige Frauen der Glasmalerei». Bei den Frauen steht vor allem die Heilige Ida von Fischingen im Zentrum, verrät Daniela Nafzger von Thurgau Tourimus. Zu Unrecht des Ehebruchs bezichtigt, wird die im Thurgau speziell verehrte Nonne schliesslich heilig gesprochen.

Die Zusammenarbeit der Institutionen zur Huldigung des Glases in diesem Jahr, sei extrem entspannt und effizient verlaufen, sagt Urs Leuzinger. «Die Idee dahinter ist, dass das Programm noch wachsen kann. Wenn jemand noch einen Glasfund bringt, könnten wir den anhängen.» Darüber würde sich der Archäologe ganz bestimmt freuen!

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