von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 15.03.2022
Gefährlicher Kurzschluss
Wenn wir jetzt die kriegskritischen russischen Künstler:innen kalt stellen, hat Putin gewonnen. Warum die Absage des Konzertes von Anastasia Kobekina in der Kartause Ittingen falsch ist. Ein Kommentar. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Was hat die Kartause Ittingen wirklich dazu getrieben, das Konzert mit der jungen russischen Cellistin Anastasia Kobekina abzusagen? Selbst, wenn man sich eine Weile mit Heinz Scheidegger, dem Prokurator der Stiftung der Kartause, unterhält, wird es nicht wirklich nachvollziehbarer.
Man habe ein Zeichen setzen wollen in Zeiten des Krieges, sagt Scheidegger. Nun, das ist ihnen gelungen. Es wurde nur leider ein Zeichen für Rassismus, für Diskriminierung und für Ausgrenzung.
Wenn man es gut meint mit der Kartause, ist diese Entscheidung wohl eine Mischung daraus, sich zu den schrecklichen Bildern aus der Ukraine irgendwie verhalten zu wollen und einem eher gefühlten als tatsächlichen Drang sich positionieren zu müssen. Wenn man es nicht so gut meint mit Ittingen, dann könnte man das Ganze auch für einen Mix aus Hilflosigkeit und hyperaktivem Opportunismus halten.
Kultur soll doch Brücken bauen und nicht zerstören
Die Entscheidung ist aber unter dem Strich auf so vielen Ebenen falsch, dass man gar nicht weiss, wo anfangen mit der Aufzählung. Es trifft mit einer erklärten Kriegsgegnerin die falsche Person. Kultur soll Brücken bauen und nicht zerstören. Man darf Bürger:innen eines Landes nicht pauschal für die Taten eines autokratischen Herrschers in Haftung nehmen.
Nationalität darf niemals einziges Ausschlusskriterium sein. Es gab überhaupt keine Not, diese Entscheidung jetzt in dieser Härte durchzudrücken. Es wird ein angebliches Exempel statuiert, ohne auf die Details zu achten. Um es auf den Punkt zu bringen: Diese Entscheidung der Kartause ist ein gefährlicher Kurzschluss.
Der Autokrat im Kreml lacht sich ins Fäustchen
Denn er verkennt vor allem eines: Wenn jetzt Konzertveranstalter und Opernhäuser im Westen, kriegskritische russische Künstler:innen canceln, dann hat der Machthaber im Kreml schon gewonnen. Denn dann bringen wir ausgerechnet die Menschen zum Schweigen, die sich noch trauen die Gräueltaten des Diktators Putin als das zu benennen, was sie sind: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Und der Autokrat in Moskau lacht sich ins Fäustchen, weil wir klammheimlich und in der Überzeugung einer vermeintlich guten Tat seine Agenda erfüllen - kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Dazu kommt: Während sich die weltpolitische Lage durch diese zeitweise Verbannung russischer Künstler:innen aus der Kartause nicht verändern wird, hat die Entscheidung natürlich Konsequenzen für die Stiftung.
Die Idee mit dem Benefizkonzert wäre eine galante Lösung gewesen
Viele Fragen sind weiterhin nicht richtig beantwortet: Wann endet der Bann russischer Künstler:innen in der Kartause? Und wer entscheidet darüber auf welcher Grundlage? Die Entscheidungswege in der Stiftung sind oft zäh, warum musste es jetzt so schnell gehen? Warum hörte man nicht mehr auf den langjährigen und erfahrenen Konzertmanager Jürg Hochuli? Was bedeutet das für die künftige Zusammenarbeit? Und warum zum Geier nahm man nicht die Idee auf, aus dem Konzert ein Benefizkonzert für die Opfer des Ukraine-Krieges zu machen? Viel galanter wäre man aus dieser Zwickmühle nicht gekommen.
Die Stiftung wollte es anders und wählte den unklugen Weg. Mit dem Ergebnis, dass es am Ende dieser überhasteten Entscheidung fast nur Verlierer gibt. Ausser Putin. Der schickt Liebesgrüsse aus Moskau nach Ittingen.
Mehr Hintergründe: Russische Künstler:innen müssen draussen bleiben. Die Kartause Ittingen sagt ein geplantes Konzert der Cellistin Anastasia Kobekina ab. Weil sie Russin ist. Wie konnte das passieren? Eine Rekonstruktion.
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