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von Sharon Rieser, 25.04.2022

Alte Ruine neu entdeckt

Alte Ruine neu entdeckt
Blick ins Tal: Die Ruine Neuenburg bei Weinfelden ist frisch saniert. | © Sharon Rieser

Wenn Steine Geschichte erzählen: Die Ruine Neuenburg bei Weinfelden ist nach jahrelanger Sanierung nun wieder eröffnet. Archäologische Funde lassen auf einen gehobenen Lebensstandard der einstigen Burgbewohner schliessen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

So manch einer blickt im Sommer 2021 verdutzt zum Himmel über den Burgstogg in Weinfelden. Begleitet vom monoton Brummen der Propeller schwebt dort nämlich ein gelber Kleinbagger in der Luft. Ein Helikopter lädt die Maschine vorsichtig auf dem Hügel ab, gleich neben den Überresten der Ruine Neuenburg.

Hier findet der Bagger seine nächste Mission, denn er ist Teil der aufwändigen Sanierung, die seit 2019 geplant ist. Im April 2022 ist das aufwändige Projekt vollendet und die Ruine erstrahlt in neuem Glanz.   

Aufnahmen aus der Bauphase (11. Juni 2021). Bild: Amt für Archäologie Thurgau

Wilde Hecken statt steinerne Mauern

Bisher hüllte sich die Ruine in rätselhaftes Schweigen, denn über ihre Vergangenheit ist wenig überliefert. Von ihrer einstigen Pracht hat sich einzig der südliche Teil der Ringmauer erhalten. Doch Zeit und Vegetation überwucherten den Stein so dicht, dass die Mauern mehr wilden Hecken glichen.

In diesem Zustand geriet sie in das Visier des kantonalen Amtes für Archäologie. Um die Ruine vor weiterem Verfall zu schützen, die Mauern wiederherzustellen und das Plateau für Besucher herzurichten, reifte 2019 das Vorhaben, die Ruine Neuenburg zu sanieren. Die Besitzerin der Anlage, die Bürgergemeinde Weinfelden, sowie die Stadt Weinfelden unterstützten das Projekt.

 

Kantonsarchäologin Simone Benguerel präsentierte die spannenden Ergebnisse der archäologischen Dokumentation. Bild: Sharon Rieser

Stein für Stein wurde dokumentiert

Die ersten Arbeiten begannen im Winter 2020 mit der Ausforstung rund um den erhaltenen Mauerabschnitt. Im April 2021 startete ein Team des Amtes für Archäologie mit Verfahren, um die Ruine Stein für Stein zu dokumentieren. Dafür mussten die Mauern zunächst vom Pflanzenbewuchs befreit werden.

Kantonsarchäologe Hansjörg Brem betonte an der Eröffnung der Ruine die mühevolle Arbeit, die dahintersteckt: «Das Team leistete harte Arbeit, um den Bewuchs zu entfernen. Die hartnäckigen Wurzeln konnten grösstenteils nur von Hand herausgezogen werden.»

Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg

Generell erwies sich die Sanierung als Herausforderung. Das bebaute Umfeld und hügelige Terrain erschwerten die Arbeit der Fachkräfte. Die Komplett-Sanierung der Ruine Neuenburg dauerte bis zum September 2021 und forderte interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Grabungstechniker untersuchten das Erdreich, Archäologen interpretierten die Fundstücke, Baumeister sicherten und rekonstruierten das Mauerwerk denkmalgerecht und ein Forstteam kümmerte sich um die Bepflanzung.

Nistplatz für einheimische Vögel

Etwa 40 Tonnen Baumaterial, Werkzeug und Maschinen wurden per Helikopter eingeflogen. Darunter befand sich auch der eingangs beschriebene Kleinbagger. Bei der teilweisen Wiederherstellung der Ringmauer achteten die Spezialisten darauf, wo immer möglich, originale Mauersteine zu verwenden, um den historischen Wert der Ruine zu erhalten.

Das ergänzende Baumaterial wurde an die historische Substanz angepasst. Die Öffnungen und Löcher im Gemäuer, die einst als Balken-Vertiefungen oder Wasserdurchläufe dienten, wurden bewusst offengelassen. Sie bieten optimalen Nistplatz für einheimische Vögel und Kleintiere. 

 

So sieht es an der Ruine Neuenburg nach der Sanierung aus. Bild: Sharon Rieser

Einige Teile der Burganlage sind in die Erde versunken

Während der Bauferien im August setzte ein Team von Archäologen mehrere Sondierschnitte auf dem Burghügel. Mit diesen wollten sie den weiteren Verlauf der Aussenmauer, sowie Hinweise auf mögliche Innenbebauungen ausfindig machen. Einige Erhebungen auf dem Plateau lassen im Erdreich verborgene Teile der Anlage vermuten.

So wurden die Schnitte gezielt an solchen Stellen durchgeführt. Dabei stiess das Team tatsächlich auf Mauerüberreste, jedoch nicht überall dort, wo man sie vermutete. Eine Übersicht der durchgeführten Schnitte und gefundenen Mauern liefert die neue Informationstafel.

 

Kantonsarchäologin Simone Benguerel enthüllt zum Schluss die neue Informationstafel. Mit der Enthüllung der Informationstafel ist die Sanierung der Ruine Neuenburg offiziell abgeschlossen.  Der Burgstogg ist bereit für viele weitere Jahre als Abenteuerspielplatz, Ausflugsort oder Aussichtspunkt. Bild: Sharon Rieser

Was die archäologischen Funde erzählen

Die archäologischen Grabungen bargen auffällig wenig Funde. Sie stammen zum grössten Teil aus dem 13. & 14. Jahrhundert und zeugen vom Alltag dieser Zeit. Darunter befinden sich Bruchstücke von Trinkkeramik, Ofenkacheln und Scherben eines Nuppenbechers, einer häufigen Trinkglas Form des Hoch- und Spätmittelalters.

Glas war zu jener Zeit ein Luxusgut, ebenso wie die Möglichkeit, Räume zu heizen. Dementsprechend lässt sich auf einen gehobenen Lebensstandard der Burgbewohner schliessen. Die Grabungstechniker stiessen zudem auf mächtige Brandschichten. Sie zeugen von einem verheerenden Feuer, dass die Burg zerstörte. Danach wurde sie nicht wieder aufgebaut, was die Lücke im Fundmaterial nahe legt.

Wie die Neuenburg mal aussah? Schwer zu sagen.

Die Befunde der archäologischen Untersuchung decken sich mit den wenigen historischen Quellen zur Neuenburg. In diesen wird sie zu Beginn des 14. Jahrhunderts erstmals schriftlich unter dem Namen «Uuipurch» als Besitz der Herren von Bussnang erwähnt. Diese gelten auch als die Erbauer der Anlage. 1405 oder 1407 soll die Neuenburg im Zuge der Appenzellerkriege zerstört worden sein. Die gewaltige Ascheschicht und die fehlenden Funde ab dem 15. Jahrhundert unterstützen diese These.

Zum ehemaligen Aussehen der Neuenburg lässt sich wenig sagen. Auf der Gyger-Karte von 1662/63 ist ein idealisiertes Abbild der Burg mit Ringmauer und Turm verzeichnet. Hinweis auf einen Turm in der Nordostecke findet sich auch auf dem Vermessungsplan von Johann Jacob Lavater von 1695. Gezielte Grabungen stiessen dort auf Mauerabschnitte, die einen Turm vermuten lassen.

Bis heute oberflächig sichtbar ist die südliche Ringmauer, an der auch der ursprüngliche Zugang zur Burg vermutet wird. Heute gelangt man über eine nördlich angelegte Treppe über den markanten Halsgraben zur Ruine.

 

In Erinnerung an den ursprünglichen Zugang zur Burg wurde diese Treppe an der Öffnung der Ringmauer gesetzt. Bild: Sharon Rieser

 

Die Neuenburg ist einen Besuch wert: Parkplätze gibt es an der Schnellerstrasse nördlich am Fusse des Burghügels.

 

Mehr über Ruinen

In einem weiteren Beitrag hat sich unsere Autorin Sharon Rieser einer anderen Ruine angenommen: Die Ruine Anwil fasziniert mit ihrer zeitlosen Präsenz. Heute kennen wir sie als Ausflugsziel, doch welchem Zweck diente sie all die Jahre zuvor? Eine multimediale Reise in die Vergangenheit.

 

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