von Judith Schuck, 08.06.2023
Annäherung mit den Mittel der Kunst
2023 wird das Shed nicht nur von Kunstschaffenden, sondern auch Gastkurator:innen bespielt. Hoa Luo und Patrik Muchenberger aus Arbon werfen viele Fragen auf und wühlen in unseren Gefühlen. (Lesezeit: ca. 3 Minuten)
Ein Thema, das schwer zu fassen ist, fassbar zu machen. Das ist das Vorhaben des Kurator:innen-Duos Hoa Luo und Patrik Muchenberger. Erstmals steht die Shedhalle im Eisenwerk nicht nur Kunstschaffenden, sondern auch Kurator:innen frei zur Gestaltung. Wobei Hoa Luo und Patrik Muchenberger jeweils beides sind und in erster Linie Künstler:innen.
Titel der Ausstellung ist YOU FEEL INFINITE, Du fühlst dich unendlich. Ihre Gäste, die ausstellenden Künstler:innen, haben die Beiden anhand deren Arbeiten zum Thema „unendlich“ ausgewählt. Acht Künstler:innen und zwei Duos werden während der Atelierszeit das Shed mit ihren Arbeiten füllen.
Unendlich ist ein Begriff, den wir im Alltag ständig gebrauchen, erinnert uns Patrik Muchenberger: „Wir sagen, wir sind unendlich müde, haben unendlich viel Zeit.“ Dabei, gibt seine Partnerin Hoa Luo zu bedenken, sei Unendlichkeit nicht mehr als ein Gefühl, eine Idee, ein Hormon.
Nur eine Idee
Hoa und Patrik lerntern sich 2013 während ihres Kunststudiums in Wien kennen. Hoa studierte nicht nur an der Akademie der bildenden Kunst, sondern auch Physik und Philosophie, beides Fachgebiete, die sich mit der Unendlichkeit beschäftigen.
„Wir fühlen uns unendlich, wenn wir etwas Tolles machen. Aber gleichzeitig hat unsere Welt nur begrenzte Ressourcen“, sagt Hoa bei unserem Gespräch im Shed. Auch in der Kunstwelt hätten sie utopische Ansätze: „Die Idee des Matriarchats oder der Feminismus kommen zwar auf die Bühne, bleiben aber bis heute oftmals nur ein Konzept, eine Idee“, sagt sie.
„Wir fühlen uns unendlich, wenn wir etwas Tolles machen. Aber gleichzeitig hat unsere Welt nur begrenzte Ressourcen.“
Hoa Luo
Patrik glaubt, dass wir Menschen diese Vorstellung des Unendlichen brauchen. „Unendliches Wachstum, das muss fortgeführt werden, glauben viele Menschen, sonst verliert man die Macht. Rückschritt verknüpfen Menschen mit einer dystopischen Rückkehr in die Höhle.“ Wohnhöhlen oder Erdhäuser wie in Südspanien oder -frankreich, aber auch ganze Höhlendörfer wie in Australien gewinnen unter dem Aspekt des Klimawandels neue Relevanz.
Überhaupt: Ist nicht Zurück der Fortschritt? Weil unsere Ressourcen eben nicht unendlich sind. Hoa glaubt, dass dem Menschen der Fortschritt so wichtig ist, weil „sich nicht verändern“ Statusverlust heisst.
Verdopplung der Lebenszeit
Unendlichkeit ist abhängig vom Diskurs. „Wenn wir ins 18. Jahrhundert schauen, wurden die Menschen 30, 40 Jahre alt. Wir haben unsere Lebenszeit verdoppelt“, sagt Hoa Luo. Sie fragt sich, ob wir irgendwann unser Leben noch mal verdoppeln und 160 Jahre alt werden. „Oder wir uns vorher selbst auslöschen“, werfe ich ein. Hoa glaubt, „ja, wir verdoppeln unsere Lebenszeit mit lebenserhaltenden Massnahmen und Technologie. „Entweder wir sterben aus, oder es gibt einen technologisierten Übermenschen“, so Hoa.
Die Ausstellung heisst aber YOU FEEL INFINITE. „Am Ende ist es dieses Gefühl, das wir nicht transportieren können“, sagt Hoa. Vielleicht kann sich die Kunst diesem Gefühl annähern. Hoa und Patrik sammelten beispielsweise für eine Installation seit November 2022 30 Kisten Gläser, die sie im Shed aufgestellt haben. Diese füllen sie mit Bodenseewasser.
Für die Betrachter:innen geht es um die Perspektive: Ist das Glas halbleer oder halbvoll? Wie ist die Wasserqualität? Gibt es Zusammenhänge zum Klima? Was ist unsere persönliche Beziehung zu Wasser? Jedes Glas ist anders und jede:r schaut anders darauf. Die Kurator:innen haben versucht, die gesamte Ausstellung in einem Kreislauf zu denken. „Selbst das Glas war irgendwann mal Sand“, erinnert Hoa.
Konservieren für die Ewigkeit
Sarah Sternat stellt von der Baumrinde gehäutete Äste aus, die mit pastellfarbigem Wachs umwickelt sind. Dahinter steckt die Idee des Konservierens, dem Kampf gegen die Endlichkeit. Die Äste sehen aber auch ein bisschen aus wie Knochen mit Faszien und erinnern dann wieder an unsere Endlichkeit. Vergebens, der Kampf?
Das Künstler-Duo #dplpng, also Alex Brotbeck und Patrik Muchenberger, haben ein Industrielaufband in der Halle aufgehängt, das sie vorher mit Farbe aus Feuerlöschern besprüht haben. So ist ein Universum, ein Kosmos, entstanden, auf dem Band, das immer weiterläuft, vermeintlich.
„Wie lange hält ein Archiv? Wie lange eine Überlieferung?“
Patrik Muchenberger
Hoa und Patrik haben ihre Malereien, die seit 2011 entstanden sind, katalogisiert und in Luftpolsterfolie verpackt. Sie werden vepackt ausgestellt, der Katalog mit den Werken wird zur Ansicht ausliegen. Hier stellen sie die Frage: „Wie lange hält ein Archiv? Wie lange eine Überlieferung?“
Objekte arbeiten zusammen
Beim Auspacken der Arbeiten der Gäste (Alex Brotbeck, Mayssan Charafferdine, Bildstein | Glatz, Nya Luong, Latika Nehra, Markus Benjamin Riedler, Ruba Salameh, Sarah Sternat, Sophia Süssmilch und #dplpng) hätten die Arbeiten total harmoniert, stellten Hoa und Patrik fest.
„YOU FEEL INFINITE ist eine Konzeptausstellung. Die Objekte arbeiten untereinander und funktionieren als Ganzes“, erklären die Kurator:innen. Neben Videoarbeiten oder Ready Mades wird es noch Performances geben. Die Eröffnung findet am Tisch statt, dem verbindenden Element der Ausstellung. Hoa wird die Gäste Hoa gemeinsam mit ihrer Schwester und dem Koch Mayssara bekochen. Sie werden vor allem schwarze Lebensmittel servieren.
Die Idee: alle reden über den Untergang, aber wir dinieren mit leckerem Essen. Das Essen wird Teil der Ausstellung – schliesslich kann an Lebensmitteln der Kreislauf besonders gut aufgezeigt werden. An der Tafel sollen Gespräche stattfinden. Gemeinsames Essen und Gespräche als eines der ältesten Menscheheitsrituale. Das Einverleiben. „Es ist erlaubt, alle Gefühle zu haben, ob ängstlich oder freudig. Die Geschmäcker und Düfte der Speisen sind sehr wichtig, da sie in uns Gefühle und Erinnerungen wachrufen“, sagt Patrik.
YOU FEEL INFINITE: Veranstaltungen
Samstag, 10. Juni, 17 Uhr: Fine Diné mit Performances
Finissage & Sommerfest: Samstag, 8. Juli, 19 Uhr: Künstler:innen-Rundgang
Öffnungszeiten: Do+Fr 19 bis 21 Uhr, Sa 16 bis 20 Uhr
Von Judith Schuck
Weitere Beiträge von Judith Schuck
- Annäherung an den Tod (05.11.2024)
- Was wirklich zählt (29.10.2024)
- Ohne Raum bleibt alles nur ein Traum (28.10.2024)
- Wie die Kultur auf den Stundenplan kam (21.10.2024)
- Dem Blick ausgeliefert (23.09.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Bildende Kunst
- Philosophie
Ist Teil dieser Dossiers
Ähnliche Beiträge
Zwischen Zugehörigkeit und Fremdsein
Die im Thurgau aufgewachsene Künstlerin Thi My Lien Nguyen richtet ihr Augenmerk im Kunstmuseum St. Gallen auf die Ambivalenz postmigrantischer Realitäten. mehr
Warum Räume für Kultur so wichtig sind
Schwerpunkt Räume: «Kultur braucht Raum, um zu entstehen, aber vor allem auch um ein Ort des Austauschs zu sein», findet die Malerin Ute Klein. mehr
Alte Mauern, neue Gedanken
Beim grenzüberschreitenden Festival „Heimspiel“ wird ab 15. Dezember die Arboner Webmaschinenhalle erstmals als Kunstort bespielt. Wie gut kann das funktionieren? Ein Baustellenbesuch. mehr