25.04.2018
Das Rätsel der Unterwasser-Hügel von Uttwil
In den vergangenen Tagen haben Experten des Amtes für Archäologie des Kantons Thurgau in Zusammenarbeit mit deutschen Forschern Messungen an den Unterwasser-Hügeln vor Uttwil durchgeführt. Die Messungen zeigen klar: Die Hügel wurden von Menschen aufgeschüttet.
Zu den Untersuchungen war es durch einen überraschenden Fund gekommen: Bei der Auswertung der Daten der im Jahr 2015 durchgeführten Tiefenvermessung des Bodensees durch die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg, Langenargen (LUBW) hat der Wissenschaftler Martin Wessels in der Flachwasserzone zwischen Romanshorn und Bottighofen eine regelmässige Reihe von über 100 Steinhügeln mit Durchmessern von 15 bis 30 Metern entdeckt (siehe Bild unten).
Lage der regelmässig verteilten Steinstrukturen im Bereich Uttwil.Karte: Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW).
Diese verteilen sich uferparallel in, laut Forschern, teilweise auffallend regelmässigen Abständen. Die Steinanhäufungen liegen heute drei bis fünf Meter unter der Wasseroberfläche. In der Zwischenzeit fanden mehrere Tauchgänge unter der Leitung des Amts für Archäologie des Kantons Thurgau statt. Die Strukturen wurden fotografiert, vermessen und einige Hölzer, die zwischen den Steinen verkeilt waren, konnten geborgen und naturwissenschaftlich datiert werden.
Bisher nicht geklärt war die Entstehung dieser Steinhügel. Handelt es sich um natürliche glaziale Ablagerungen (Moränenreste) des Bodenseegletschers vor rund 18 000 Jahren? Oder wurden die Steine durch den Menschen entlang einer früheren Uferlinie oder sogar ins Wasser aufgeschüttet? Für beide Szenarien gab und gibt es Anhänger unter den mittlerweile aus verschiedenen Wissenschaften zusammengeführten Spezialisten. Zudem wurde die Diskussion noch angeheizt durch Theorien, die Steinstrukturen seien ein grosses astronomisches System à la Stonehenge.
Jens Hornung, Urs Leuzinger und Martin Wessels (von links) präsentieren die ersten Ergebnisse der Untersuchungen der Hügel vor Uttwil. Bild: PD
Messungen an fünf Tagen
Um die zentrale Frage, ob natürlich oder vom Menschen abgelagert, zu klären, fanden vom 23. bis 27. April 2018 in einem ersten Schritt Georadarmessungen statt. Ein Team von Wissenschaftlern untersuchte mit dem Forschungsschiff «Kormoran» des LUBW Steinablagerungen exemplarisch und punktuell zwischen Romanshorn und Güttingen. Dabei kam weltweit erstmals ein Prototyp eines unter Wasser funktionierenden Georadargeräts zum Einsatz. Mit hochfrequenten elektromagnetischen Impulsen wurden die im Seeuntergrund versteckten Schichtgrenzen im Umfeld der Steinstrukturen erfasst. Die so gewonnenen Bilder lieferten neue Erkenntnisse zur Entstehung der rätselhaften Steinanhäufungen.
Das Ergebnis: "Es ist offensichtlich, dass die bis zu 40 Zentimeter grossen Steine auf den nacheiszeitlichen, gebänderten Seeablagerungen und deutlich über der darunter verlaufenden Moräne aufliegen. Somit ist jetzt naturwissenschaftlich belegt, dass die Hügel nicht natürlich durch den Gletscher entstanden, sondern von Menschenhand aufgeschüttet worden sind", heisst es in der Medienmitteilung des Amts für Archäologie. Bemerkenswert seien die regelmässig geschichteten Sedimente, die sich seewärts nach dem Aufschütten der Steine abgelagert haben. Diese verschoben die Halde stetig seewärts und sind mehrere Dutzend Meter mächtig. Die Steinstrukturen müssten demnach vor sehr langer Zeit im Bereich der damaligen Haldenkante (ursprüngliche, trockenliegende Uferlinie?) von Menschen aufgeschüttet worden sein.
Noch bleiben einige offene Fragen
Die Fragen nach dem Wann und Warum können die Experten zum heutigen Zeitpunkt nach wie vor nicht abschliessend beantworten. Zumindest sei aber klar, dass die Steinstrukturen nacheiszeitlich entstanden sind. Die Seeablagerungen über den Steinen Richtung See sprächen zudem dafür, dass diese wahrscheinlich in prähistorischer Zeit aufgeschüttet worden seien. Die geborgenen Hölzer aus Hügel fünf datieren gemäss der Radiokarbon-Datierungsmethode, analysiert am Institut für Ionenstrahlphysik der ETH Zürich, in die Jungsteinzeit (circa 3600‒3300 v.Chr.). Ein direkter Zusammenhang zwischen den Hölzern und den Steinen ist aber nicht gegeben; es könnte sich bei diesen Hölzern auch um angeschwemmtes und zwischen den Steinen verkeiltes Baumaterial aus einer benachbarten Pfahlbausiedlung handeln.
Die Georadarmessungen haben die Frage nach der Entstehung geklärt. Die Resultate werden nun in der bestehenden Arbeitsgruppe aus Archäologinnen und Geologen diskutiert. "Die von Menschenhand gebildeten Steinhügel müssen zudem zeitlich genauer eingegrenzt werden und es gilt schliesslich herauszufinden, wofür diese Strukturen gedient haben", notieren die Archäologen. Um das herauszufinden plant das Amt für Archäologie des Kantons Thurgau, im nächsten Winter mit einer Unterwassergrabung einer dieser Steinanhäufungen – wahrscheinlich Hügel Nummer fünf – genauer zu untersuchen. Die heute vorgestellten Ergebnisse sei daher lediglich ein Etappenziel auf dem spannenden Weg, eine Lösung des Rätsels über die 100 Hügel im See zu finden, schreiben die Forscher. (tgk)
Weltweit einzigartiger Prototyp eines Unterwasser-Georadargeräts der Technischen Universität Darmstadt, links der Sedimentologe Jens Hornung. Bild: Amt für Archäologie Thurgau
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