von Manuela Ziegler, 30.04.2024
Das unentdeckte Museum
Das Historische Museum Bischofszell ist frisch renoviert. Eine neue Sonderausstellung widmet sich dem Bischofszeller Apotheker Armin Rüeger. Er schrieb Libretti für den berühmten Komponisten Othmar Schoeck. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Wir stehen vor einer leuchtend weissen Hausfassade, die dunkelgrün gestrichenen Fensterläden heben sich davor markant ab, die in barocker Manier vorgetäuschten Eckquader sind en detaille herausgearbeitet. „Der beauftragte Architekt ist auf historische Bauten spezialisiert und hat die Renovierung originalgetreu erarbeitet“, sagt Christa Liechti, Vereinspräsidentin der Museumsgesellschaft des Historischen Museums Bischofszell. Nicht nur die Fassade erstrahlt in neuem Glanz, auch die Dauerausstellung selbst erfuhr diverse Neuerungen im Rahmen der einjährigen Renovation.
Mehr Raum fürs Besondere geschaffen
Die Vereinspräsidentin führt ins erste Obergeschoss. „Die restaurierten und energietechnisch aufbereiteten historischen Kastenfenster kommen herrlich zur Geltung“, meint sie. Auch die Balkontüren mit Nussbaummaserung seien wunderschön geworden. Was die Sammlung betrifft, gäbe es aber noch viel zu tun. Bisher seien die Ausstellungsräume „entschlackt“ worden. „Ein Zuviel an Objekten haben wir ins Archiv gepackt, um den Einzelnen mehr Raum zu geben“, erläutert Liechti.
Und es wurde und wird fleissig inventarisiert. Eine Riesenaufgabe, die hauptsächlich im Ehrenamt geleistet wird. Für die Modernisierung der Dauerausstellung ist vor allem die Kuratorin Corina Tresch De Luca verantwortlich. Liechti zeigt zum Beispiel auf die mit Schreibmaschine getippten Objekttafeln, die mit kleingedruckten und sehr langen Texten nicht mehr lesefreundlich seien.
Wir stehen inzwischen im Museumscafe und einstigen Jugendstil-Wohnzimmer der Bischofszeller Papierfabrikantenfamilie Laager. Einen schönen Blickfang bilden hier die handgeschliffenen Gläser der Schiebetüren hin zum Musik-Salon.
Vermittlungsarbeit als wichtige Aufgabe
Die Familie Laager schenkte der Museumsgesellschaft nicht nur die beiden nebeneinanderstehen Barockhäuser am alten Stadttor, sondern 1984 auch den Kaufpreis des zugehörigen Grundstücks mit Garten. Der Unterhalt des Museums wird von der Stadt und der Museumsgesellschaft getragen. Die Neukonzeption und auch Projekte wie die aktuelle Sonderausstellung „Armin Rüeger – mehr als der Textdichter von Othmar Schoeck“ müssen über Sponsoring finanziert werden.
Liechti ist seit etwas mehr als einem Jahr Vereinspräsidentin und eigentlich im Ruhestand, aber seit kurzem auch ihre eigene Angestellte, wie sie schmunzelnd sagt. Denn der bisherige Projektleiter Fabio Ebnöther musste abgeben. Im Organisieren sei sie immer gut gewesen und das Museum voranzubringen, mache ihr Spass. Zusammen mit Ebnöther und der wissenschaftlichen Leiterin Tresch De Luca plante sie die Neukonzeption.
Die Gebäude des Historischen Museums Bischofszell stammen aus dem Jahr 1743. Sie zählen zu den sogenannten Grubenmannhäusern, erbaut vom Teufener Hans Ulrich Grubenmann, einem Zimmermann, der schweizweit für seine stützenfreien Holzkonstruktionen, insbesondere bei Brückenbauten berühmt wurde. Im Haus trägt beispielsweise die prächtige Innentreppe seine Handschrift. 1969 schenkte Victor Laager, Sohn einer Papierfabrikantenfamilie, sein Elternhaus der Gemeinde mit der Auflage, daraus eine dauerhafte Bleibe für die zügelnde Sammlung der Museumsgesellschaft zu machen. Auf vier Stockwerken und in mehr als 20 Räumen wird seither bürgerliches Wohnen aus den Epochen Spätgotik, Barock, Biedermeier und Jugendstil ausgestellt. Nebst Stadtgeschichte und Spielzeug gehört die Zellweger-Porzellansammlung zu den Schwerpunkten. Verwaltet wird die Sammlung von der Museumsgesellschaft Bischofszell, die im nächsten Jahr100 Jahre alt wird. In dieser Sommersaison wird es während der Öffnungszeiten am Sonntag von 14-17 Uhr bei schönem Wetter ein Gassenbeizli in der Marktgasse geben.
Die Vermittlungsarbeit soll ausgebaut werden, um das Haus mit speziellem Programm als ausserschulischen Lernort zu entdecken. Die Gewerbe- und Industriegeschichte erhält mittelfristig einen eigenen Fokus. Und in nächster Zukunft will man besondere Objekte interaktiv erfahrbar machen, wie etwa das Stadtmodell von Bischofszell , das aus Holz, Gips, Karton und Schuhschachteln in über 20 Jahren von Ernst Hohermuth, einem Sohn der Stadt, erstellt wurde.
Reise in die Geschichte bürgerlichen Wohnens
Liechti nimmt mit auf einen Rundgang zu einigen Schwerpunkten der Ausstellung, wie etwa dem Jugendstil-Bibliothekszimmer mit Eichenholztäfer. Dann steigen wir auf dem ausladenden hölzernen Treppenhaus Geschoss für Geschoss nach oben, und tauchen so immer weiter in die Vergangenheit ein. Spähen in ein Schlafzimmer aus der Biedermeierzeit mit einem prächtigen Himmelbett und geblümten Tapeten in Pastell.
Weniger privat als repräsentativ ist das sogenannte „Regénce“-Zimmer, in dem der prächtige türkisgrün leuchtende Kachelofen, getöpfert und bemalt vom Steckborner Hans Meyer, sofort den Blick bannt. Weitere Preziosen sind ein Hammerklavier aus der Zeit um 1800, und eine Aufsatzkommode intarsiert im Louis-Seize Stil, an den Wänden hängen Porträts namhafter Familien der Zeit.
Erst im Hinausgehen fällt der Blick noch auf die prächtige Wessobrunner Stuckdecke. „Die Objekte haben in der Regel alle einen regionalen Bezug, stammen von lokalen Handwerkern oder aus Liegenschaften im Umland“, erklärt Liechti. Besonders stolz ist der Verein auch auf die spätgotische Trinkstube der Ratsherren mit dem hölzernen Wandtäfer aus dem Schloss Hauptwil und dem schweren Zinngeschirr aus einer früheren Bischofszeller Zinngiesserei.
Indirekt Weltruhm erlangt
Thematisch bleiben wir in Bischofszell, kehren nun aber zurück ins zweite Obergeschoss und nehmen den Durchgang hinüber zur Sonderausstellung über den Apotheker Armin Rüeger (1886-1957), die am 19. April eröffnet wurde. Rüeger war Apotheker mit vielfacher Begabung. Für seinen Freund Othmar Schoeck, einen der bedeutendsten Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts hat er drei Libretti geschrieben. In die bekannten Opern „Don Ranudo“, „Venus“ und „Massimilla Doni“. kann man hier reinhören.
Die verschiedenen Wege und die Nähe beider Freunde werden an „Meilensteinen“ erläutert, den Schwerpunkt der Schau bildet aber die Annäherung an Rüegers Persönlichkeit. Gedruckte Zitate aus seinem ansehnlichen Tagebuchbestand unterstreichen seine Kreativität. Er schuf nicht nur Musik und Medizin: er entwarf und druckte selbst Broschüren und Beipackzettel, wie in den Glasvitrinen präsentiert wird.
Daneben war der Apotheker ein leidenschaftlicher Maler, eine Auswahl seiner Arbeiten in Aquarell und Öl ist zu bestaunen. „Als Puppenspieler schnitzte er sogar seine Figuren selbst und entwarf deren Kleidung“, wie Liechti weiss. Einen eindrücklichen Bezug zu Rüegers alchemistischem Wirken liefert seine historische Apotheke aus dem Jahr 1892, die er 1914 übernommen hatte. Sie ist dauerhaft im Erdgeschoss begehbar. Seine Tochter hat sie dem Museum geschenkt.
Zurück bis ins Mittelalter
„Es gibt bei uns sehr viel zu sehen, nur die wenigsten Menschen aus der Region wissen davon“, bilanziert Liechti. Im Sommer blieben schon mal Sonntagstouristen und Radfahrer hier „hängen“, aber für viele ist der malerische Ort mit seiner intakten, vorwiegend barocken Bausubstanz vor allem schöner Durchfahrtsort.
Kein Geringerer als einer der Konstanzer Bischöfe Salomo, ob der der erste, oder der dritte ist unklar, hatte im frühen Mittelalter dort das Chorherrenstift St. Pelagius errichtet und damit den Grundstein für die Entwicklung des Ortes gelegt.
Die Sonderausstellung «Armin Rüeger – mehr als der Textdichter von Othmar Schoeck»
Das Rahmenprogramm zur Sonderausstellung bietet im Juni einen Vortrag über Hexensalben und Liebestränke, im August beleuchtet Musikforscher und Schoeck-Kenner Chris Walton das Schaffen der beiden Männer. Während der Rosenwoche Ende Juni wartet das Museum in der Apotheke mit einer Geruchsüberraschung und einem Wettbewerb in Zusammenarbeit mit der Initiative Kompass für Arbeitsintegration auf.
Von Manuela Ziegler
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