von Maria Schorpp, 15.08.2025
Den Zeitgeist piesacken

Sie wollen nur unterhalten: Die Theaterwerkstatt Gleis 5 nimmt in ihrer Sommerinszenierung im Greuterhof nach 20 Jahren ihre „Drei Musketiere“-Inszenierung wieder auf und ein paar Klischees aufs Korn. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Sommertheatersaison ist, wenn Stücke wie „Die drei Musketiere“ auf dem Spielplan stehen. Unterm freien Himmel darf's auch ein bisschen mehr sein mit den dramatischen Wendungen, mit den Gefühlen und dem Krawall auf der Bühne, und nicht alles muss immer ganz plausibel sein. Hauptsache, es ist was los – zunächst einmal.
Alexandre Dumas’ Roman hat einiges von all dem zu bieten, man muss ihn nur auf eine erträgliche Theaterabendlänge bringen. Wie im Greuterhof in Islikon von der Gleis 5-Theaterwerkstatt aus dem nahen Frauenfeld. Eines darf man schon jetzt feststellen: Endlich war mal dieses ganze Theater mit den Intrigen, den nicht ganz nachvollziehbaren Liebschaften und den drei Musketieren, die ja tatsächlich zu viert sind, einigermassen verständlich.
Nach 20 Jahren wieder vereint
Das war so nicht absehbar, da die Theaterleute in ihrer Sommerinszenierung noch eine Zusatzebene eingebaut haben, was die Sache oft nicht einfacher macht: eine Spassebene, die darauf zurückgeht, dass drei von ihnen das Stück in der Vergangenheit bereits gezeigt und am Ende ankündigt haben, sich nach 20 Jahren nochmals zum selbigen Spiel zu treffen. Und da sind sie nun wieder vereint, nicht wie damals im Teatro Dimitri in Verscio, sondern eben im Greuterhof. Hübsch ist das mit dem kleinen Ausschnitt von früher auf der Hauswand, den Noce Noseda auf einem bereits weggelegten Camcorder gefunden hat.
Diese zusätzlich eingebaute Ebene ist es, die die Inszenierung wirklich zum grossen Unterhaltungsspass macht. Wie könnte man dieser Machogesellschaft aus dem 17. Jahrhundert, in der wegen eines versehentlichen Remplers schon ein Duell angesetzt wird, sonst heute noch viel abgewinnen. So passiert es D’Artagnan, der bei den Musketieren anheuern möchte und erst einmal drei von ihnen so auf die Palme bringt, dass sie ihn zum tödlichen Gefecht herausfordern. Das kann im Frankreich des Jahres 1625 schnell passieren.
Macht man Spässe mit der Körpergrösse?
So könnte es jetzt mehr oder weniger spannend weitergehen, wenn da eben diese 20 Jahre später nicht mitgedacht bzw. mitinszeniert wären. Noce Noseda ist nicht nur der Regisseur des Abends, sondern spielt auch einen solchen, der sich gegen sein Ensemble durchzusetzen hat. Das gelingt ihm nicht immer, und es drängt sich zu Anfang der fatale Eindruck auf, das habe mit seiner Körpergrösse zu tun. Alarmstufe rot, Spässe mit so etwas wie Körpergrösse macht man nicht. Hier wirds mit einem dicken Grinsen trotzdem gewagt, wie das gesamte Spiel mit solchen (Un-)Korrektheiten für viele Lacher sorgt.
Der Spass regiert
Die Körperlänge bestimmt heute eben in vielem den Massstab, auch eine Äusserlichkeit, die umgekehrt mehr sein will, als sie ist, wie man weltpolitisch beobachten kann. Aber das führt zu weit, denn im Greuterhof soll der Spass regieren. Da sind also Moira Albertalli, die Aramis, Simon Engeli, der Athos, und Giuseppe Spina, der den Porthos spielt. Und alle spielen viele Rollen zusätzlich, wie es gerade passt. Tolle Ensemble-Leistung.
Hinzu kommt nicht nur D’Artagnan, sondern auch Georg Melich als dessen Darsteller, weil derjenige von vor 20 Jahren jetzt Lehrer ist. Mit einem dramaturgischen Kniff wird Vorgänger „Benni“ Hirsch zugeschaltet und darf ein bisschen mitspielen, statt im Schuldienst ist er hier bei Porsche und denglischt ganz fürchterlich.
Natürlich gibt es zwischendrin viel Intrigantes, viel Gefecht und viele Liebesschwüre, Diamant-Nadeln und Ringe als Liebesgaben, aber die lustigen Momente sind, wenn die fünf ihr Spiel im Spiel vorführen und den Zeitgeist piesacken. Vor 20 Jahren durfte D’Artagnan seine bewusstlose Constance ganz einfach retten, heute ist da wieder Alarm wegen sensibler Inhalte angesagt: zementierte patriarchale Rollenbilder. Heute also besser: Warten, bis sie aufwacht, und fragen, ob sie gerettet werden will. Wenn Simon Engeli Kardinal Richelieu mimt, ist das alles andere als subtile Komik, aber geben wir es zu: Es ist sehr lustig.
Ganz vom Klischee lassen können sie nicht
Diese Mischung aus spielen, erzählen und sich und andere aufs Korn nehmen, macht den Abend launig. Da will jemand nur unterhalten und wägt trotzdem sehr gut ab, was (noch) möglich ist. Ganz vom Klischee lassen können sie jedoch nicht. Manchmal gehen mit ihnen die Gäule durch, schliesslich versuchen hier vier Männer mit Testosteronüberschuss die Welt zu retten, ohne sie zugleich in Trümmer zu legen.
Dass das die Wände des Innenhofs zum Beben bringen kann, hat auch mit Goran Kovačevićs Musik am Akkordeon zu tun, die erheblich an der Inszenierung beteiligt ist, mal mit historischen Interpretationen, aber auch mit Kovačevićs eigenem grossartigen Sound.
Würde Moira Albertalli mit ihren weiblichen „Nebenrollen“ nicht einen guten Schuss Feminines beitragen, wärs dann doch zu viel Männerabend. Immerhin werden Fragen aufgeworfen wie die, warum Milady de Winter nicht merkt, dass sie mit D’Artagnan die Nacht verbringt und nicht, wie sie meint, mit Graf Rochefort. Wenn die Antwort auch nicht völlig überzeugen kann. Schon eher Georg Melich mit seinem triebgesteuerten Gascogner.
Lustig gehts also im heimeligen Greuterhof zu, wo sich in der Pause das Publikum auf der Bühne tummelt und auch ein kleiner Plausch mit einem Schauspieler möglich ist. Wenn der Spass auch nicht immer vom Subtilsten ist. Das Publikum im Greuterhof war begeistert.

Von Maria Schorpp
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