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Der Entdecker der Langsamkeit

Der Entdecker der Langsamkeit
«Ich wollte mich nicht entscheiden müssen.» Der Künstler Othmar Eder über die Vielfalt seiner Kunst. Das Bild entstand in seinem Arbeitszimmer in Stettfurt. | © Michael Lünstroth

Othmar Eder ist ein geduldiger Beobachter und klarer Denker: In zwei neuen Ausstellungen im Thurgau ist er jetzt vertreten.

Stettfurt ist ein kleines Dörfchen, wie es so viele im Thurgau gibt. Ein paar Bauernhöfe links und rechts der Hauptstrasse, zwei Rebberge, ein Schulhaus, eine Kirche. Frauenfeld ist nicht weit weg, nach Zürich fährt man von hier eben so lang wie nach Konstanz. 1201 Menschen leben hier. Einer von ihnen heisst Othmar Eder und ist eine der interessantesten Künstlerfiguren des Kantons.

Über Zürich kam der Österreicher aus den Tiroler Bergen 2001 in den Thurgau. Regelmässig stellt Eder in der Schweiz, Österreich in Deutschland aus, in den vergangenen Jahren hat er verschiedene Auszeichnungen erhalten. Zahlreiche seiner Werke finden sich in öffentlichen und privaten Sammlungen. 

Besucht man den 1955 in Kufstein geborenen Eder heute in seinem rund 300 Jahre alten Bauernhaus mit dem zauberhaften Garten in Stettfurt, dann begrüsst er seinen Gast schon auf dem Parkplatz neben dem Haus mit der ihm eigenen Mischung aus zugetaner Freundlichkeit und schüchterner Zurückhaltung. Dazu ein sehr, sehr fester Händedruck, wie es sich für einen Mann aus den Bergen gehört.

In seiner Jeans, dem dunkelblauen T-Shirt und seinen Flip-Flops sieht er deutlich jünger als 63 aus. „Leider können wir heute nicht draussen sitzen“, sagt Eder und zeigt auf die Baustelle nebenan, „das ist ein bisschen laut für ein Gespräch, oder?“ fragt der Künstler. Er hat natürlich recht: Wie sollte man sich bei Bagger- und Presslufthammerlärm auch über die oft eher leise daher kommende Kunst von Othmar Eder unterhalten? 

Klare Linien, klare Gedanken, weisses Papier. 

In seinem kleinen Arbeitszimmer - sein eigentliches Atelier ist in St. Margarethen - sieht es aus, wie man sich ein Arbeitszimmer von Othmar Eder vorstellt, wenn man nur seine Arbeiten kennt: Sehr aufgeräumt, sehr strukturiert, sehr durchdacht.

An den Wänden hängen einige seiner Arbeiten, einige sind verpackt und gestapelt an eine andere Wand gelehnt. Kugelschreiber, Bleistifte, Gummibänder, Pinsel, Schrauben stehen offen, aber separat gebündelt in Dosen und Schatullen an einem Beistelltisch zum eigentlichen Arbeitstisch. Ein grosses Blatt Papier auf dem Schreibtisch ist vor allem eines - weiss. Die Botschaft: Die Arbeit hier könnte sofort losgehen. Na klar ist dieser Ort auch ein Abbild seiner Arbeitsweise: Klare Linien, klare Gedanken, weisses Papier. 

Sehr aufgeräumt, sehr strukturiert, sehr durchdacht: So arbeitet Othmar Eder. Das erkennt man auch an seinem Schreibtisch.
Sehr aufgeräumt, sehr strukturiert, sehr durchdacht: So arbeitet Othmar Eder. Das erkennt man auch an seinem Schreibtisch. Bild: Michael Lünstroth

Der Abbruch der Handelsakademie war für ihn lebensnotwendig

Othmar Eder ist ein Multitalent: Er zeichnet, malt, fotografiert, filmt und installiert. „Für mich gehören alle diese Spielarten zusammen. Ich wollte mich nicht entscheiden müssen“, sagt Eder. Am Anfang stand jedoch das Zeichnen, der Rest kam später dazu. Überhaupt, sagt Eder, sei er in diese ganze Kunstsache nur langsam reingewachsen. In ihm drin spürte er schon früh, dass da ein Künstler schlummert.

Dann bekommt er irgendwann zu Weihnachten ein Buch über Rembrandt, in seinem Heimatdorf lebt ein Künstler, den Eder interessant findet. Und so kommt zusammen, was zusammen kommen soll. Es endet in dem Entschluss, auf die Kunstakademie nach Wien zu wollen. Eine Entscheidung, die bei seinen Eltern keine Begeisterungsstürme auslöste. „Ich erinnere mich noch an den Moment als ich meinen Eltern sagte, dass ich Kunst machen und die begonnene Handelsakademie abbrechen will“, blickt der 63-Jährige zurück. 

Leicht sei das nicht gewesen, aber für ihn gab es keinen anderen Weg. Die Zeit auf der Handelsakademie nennt er „schwierig“, Zahlen haben für ihn wenig Reiz, der junge Othmar will lieber zeichnen. Am liebsten Dinge, die er auf seinen Wanderungen und Streifzügen durch die Natur beobachtet hat. Die Eltern akzeptieren den Wunsch des Sohnes schliesslich.

Hilfreich war für Eder wohl, dass er mit knapp über 20 an einer Gruppenausstellung im Ort teilnehmen konnte, ein Sammler aus Wien zufällig vorbeischaute und etwas in Eders Arbeit erkannte. Spätestens nach dessen Rat an die Eltern („Der Bub muss auf die Akademie nach Wien!“) war der Weg für ihn frei. Im zweiten Anlauf besteht er die Aufnahmeprüfung. Von 1977 bis 1982 studiert er schliesslich bei Anton Lehmden.

Bilderstrecke: Othmar Eder Bilderwelten (Abbildungen aus der neuen Monographie «Bilderfinder»)

Es wird eine Zeit, die ihn prägt. Vielleicht auch ein bisschen mehr, als ein Studium üblicherweise einen Menschen prägt. Schon kurz nach seinem Abschluss der Akademie ist er sicher, dass er fortan nur noch als freischaffender Künstler arbeiten will - ohne jeden Brotberuf. Weil er sich komplett der Kunst verschreiben will. Ein Entschluss mit Konsequenzen: „Die ersten Jahre nach der Akademie waren schwierig“, erinnert sich Eder und meint das vor allem finanziell. Die Welt hatte nicht auf Othmar Eder gewartet und das merkt jetzt auch Othmar Eder.

Er zieht nach Zürich zu seiner Frau, die dort als Innenarchitektin arbeitet. Am Anfang findet er sich auch dort nicht zurecht, doch irgendwann wendet sich das Blatt: 1998 stellt er im Museum der Stadt Lienz aus, ein Jahr später in der Kunsthalle Arbon, ab da entwickelt es sich stetig weiter. Es folgen Beteiligungen an Gruppenausstellungen in Kunstmuseum und Kunsthalle St. Gallen, das Kunstmuseum Singen zeigt ihn ebenso wie das Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen. Die damals noch in Zürich angesiedelte Galerie widmertheodoridis nimmt ihn auf. Auszeichnungen und Stipendien sind Konsequenzen seiner allmählich steigenden Bekanntheit.

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Sein Ziel: Dinge herausheben, die sonst unbeachtet blieben

Was ihn als Künstler interessiert, ist in all den Jahren sehr beständig geblieben: „Es sind vor allem die kleinen Dinge, die Nebenschauplätze. Was für andere langweilig ist, finde ich spannend“, sagt Eder, wenn man ihn nach den Triebfedern seiner Kunst fragt. Er kann sich für Spuren, Strukturen, Bewegungen und Perspektiven begeistern, für achtlos weggeworfene Papierschnipsel, die er aufhebt und dann kleine Geschichten darauf findet.

Wie auf jenem Zettel, den er in Lissabon fand und auf dessen Rückseite jemand zigfach den Namen „Jorge“ geschrieben hat. In diesen Momenten findet Othmar Eder die Themen, die ihn inspirieren. „Wer weiss schon, warum jemand da so oft diesen einen Namen notiert hat? War jemand verliebt? Wollte er eine Unterschrift fälschen und übte? Es gibt zig mögliche Geschichten zu diesem Fund, so etwas reizt mich“, erzählt der 63-Jährige. Darin liegt auch ein Motiv seines Kunstschaffens: Er will Dinge herausheben, die sonst unbeachtet blieben. Er will den Scheinwerfer dort hin lenken, wo er normalerweise nie hinkäme.

Für Othmar Eder ist diese Haltung durchaus zeitkritisch. Denn: Er verachtet kaum etwas mehr als die heute übliche Terminhatz. In einer Zeit, in der immer alles schneller gehen soll, will er Zeit und die Mühen der künstlerischen Arbeit sowie die Geduld, die es dafür manchmal eben auch braucht, wieder sichtbar machen.

Alex Bänninger, einer der Förderer von Othmar Eder, hat für dieses Streben einen schönen Satz gefunden: „Die Kunst ist die Zeit, die Othmar Eder der Vergangenheit zurückgibt, damit sie wie eine wertvolle schwere Uhr wieder läuft und uns als ein Kontinuum bewusst wird. Zeit vergeht nicht“, schreibt Bänninger in der 2015 erschienen Publikation „Fremde Nähe“ über Eders Arbeiten aus Lissabon.

Mit dem Zeichnen fing alles an: Othmar Eder in seinem Arbeitszimmer in Stettfurt.
Mit dem Zeichnen fing alles an: Othmar Eder in seinem Arbeitszimmer in Stettfurt. Bild: Michael Lünstroth

Seine Ei-Tempera mischt er immer selbst an

Wenn man so will, ist Othmar Eder ein moderner Entdecker der Langsamkeit. Das erkennt man auch in seiner Arbeitsweise. Er malt ausschliesslich mit Tempera, die er selbst im Atelier aus Ei, Leinöl und Wasser herstellt. Manchmal mischt er Pigmente wie Asche, Kaffee, Löwenzahnblüten oder Heidelbeersaft ein. Immer auf der Suche nach dem Ton, den er bei seinen Beobachtungen von Dingen wahrgenommen hat. Das kann dauern. Aber die Zeit nimmt sich Othmar Eder, weil diese präzise Sorgfältigkeit unabdingbar zu seinem Schaffen dazu gehört.

Apropos Langsamkeit: Dazu passt auch, dass Eder sich eine Schildkröte im Garten hält. Sie heisst Bella und ihr verdankt er eine seiner erfolgreichsten Videoarbeiten. Sie zeigt in 40 Minuten den Weg der Schildkröte durch einen Garten, festgehalten durch eine auf dem Panzer des Tieres montierte Mini-Kamera. „Keiner meiner anderen Filme wurde so oft für Ausstellungen ausgewählt wie dieser“, sagt Eder und kann darüber herzlich bubenhaft lachen. 

Video: Der Weg der Schildkröte

Schildkröte from Othmar Eder on Vimeo.

Dass Othmar Eder gerade wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerät, liegt vor allem an zwei Dingen: In diesem Jahr (2019) ist eine sehr schöne Monographie zu seinem Werk erschienen („Othmar Eder: Bilderfinder“, Scheidegger & Spiess) und derzeit sind Arbeiten von ihm sowohl im Kunstmuseum Thurgau als auch in der Galerie Bleisch in Arbon zu sehen.

Tatsächlich ist der Titel „Bilderfinder“ ziemlich treffend. „Ich erfinde Bilder in meinem Kopf. Einerseits. Andererseits finde ich aber auch einfach Bilder: Beim Zugfahren, beim Reisen, beim Wandern oder Spazieren durch eine neue Stadt“, erklärt Eder den Titel seiner Monographie, die nun erstmals sein Werk aus den vergangenen 30 Jahren im Überblick zeigt.

«Seine Lissabonner Bilder sind leichtfüssige Wahrnehmungsfallen, die den Blick mit einem attraktiven Teaser anziehen.»

Markus Landert, Direktor Kunstmuseum Thurgau, über Othmar Eder 

Man kann sich mit Othmar Eder vortrefflich über den Zustand dieser Welt unterhalten. Der Künstler beobachtet sehr genau, was da vor allem in den USA und in Russland gerade passiert. Er scheut sich auch nicht zu sagen, dass ihn all das ziemlich irritiere.

Will man von dort wieder zurück zu seinem Werk, braucht man schon ein paar Brücken. Nicht, dass der Künstler ungerne über seine Arbeit redet, aber man merkt manchmal, dass ihm da eher die Worte fehlen als bei der Beschreibung des Zustands der Welt. Fast so als überwältige ihn der Prozess der Kunstwerdung erneut, wenn er darüber spricht. 

Vielleicht liegt das aber auch daran, dass einfach schon recht viel über seine Kunst geschrieben und gesagt wurde. Von Markus Landert zum Beispiel. In der bereits erwähnten Broschüre „Fremde Nähe“ schreibt der Direktor des Thurgauer Kunstmuseums: „Seine Lissabonner Bilder sind vielmehr leichtfüssige Wahrnehmungsfallen, die den Blick mit einem attraktiven Teaser - einer eleganten Figur, einer prägnanten Form, einer verführerischen Farbe - anziehen, um ihn dann ins Unbestimmte, ins Offene zu führen.“

Die Frage nach dem Erfolg? Was ist das schon?

Ob sich so Erfolg anfühlt? Von einflussreichen Kuratoren gelobt zu werden? Othmar Eder zuckt mit den Schultern. „Erfolg? Was ist das schon?“ fragen erst seine Augen, dann auch sein Mund. Er jedenfalls findet, dass er nun erfolgreich sei nach all den Entbehrungen am Anfang seiner Laufbahn. Er fühlt sich anerkannt im Thurgau und auch Zuhause: „Es war ein grosses Glück für mich, das wir hierher gezogen sind“, sagt er.

Und was ihn beim Thema Erfolg natürlich auch freut, dass seine Eltern das noch mitbekommen haben. Dass sie bemerken konnten, dass es richtig war, ihn damals auf die Kunstakademie ziehen zu lassen. Wann immer es ging, haben sie seine Ausstellungen besucht und waren „immer wahnsinnig stolz“, wie Eder erzählt. Was für ihn jetzt noch kommt, vermag er nicht zu sagen. Das einzige, was er sich wünscht: „In Ruhe arbeiten zu können. Den Rest lasse ich auf mich zukommen“, sagt der Künstler beim Abschied vor dem Haus. 

Was ist nun die Kunst in der Arbeit von Othmar Eder? Am wohl eindrücklichsten hat es bislang die Kunsthistorikerin Katja Baumhoff in einem Beitrag in der neuen Monographie „Bilderfinder“ beschrieben: „Seine Werke zeigen letztendlich weder Gegenstände noch Personen, sondern die sich fortwährend neu zusammensetzende Erinnerung.“

Die Monographie: «Othmar Eder - Bilderfinder» Herausgegeben von Katja Baumhoff. Texte von Zsuzsanna Gahse und Katja Baumhoff. 1. Auflage, 2018. Verlag Scheidegger & Spiess. Text Deutsch und Englisch. 256 Seiten, 198 farbige und 2 sw Abbildungen ISBN 978-3-85881-582-8. Preis: 65 Franken bzw. 58 Euro

 

 

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