Seite vorlesen

von Ramona Früh, 13.03.2020

Der Schatzsucher

Der Schatzsucher
«Es gibt Kulturorte im Thurgau, die unter ihrem Potential agieren. Ich möchte dieses Potential rauskitzeln.» Stefan Wagner, Beauftragter der Kulturstiftung des Kantons Thurgau seit Dezember 2019. | © Ramona Früh

Der kulturelle Reichtum sei auch im Thurgau vorhanden, man müsse ihn hier einfach mehr suchen als anderswo, sagt Stefan Wagner, neuer Beauftragter der Kulturstiftung des Kantons. Seit 100 Tagen ist er im Amt. Eine Bilanz.

Er sei ein Macher, sagt Stefan Wagner, der als Beauftragter der Kulturstiftung Thurgau seinen Traumjob gefunden hat. «Meine Tätigkeit bei der Kulturstiftung ist die perfekte Mischung zwischen Reflektieren und Machen, zwischen Kopf und Herz.» Von seinen vielen Ideen zur Veränderung hat er bereits einige umgesetzt: viele Gespräche geführt, eine Vernissage durchgeführt, einen Instagram-Account für die Kulturstiftung eröffnet, die Förderung und Eigeninitiativen der Kulturstiftung analysiert – und die Büromöbel umgestellt.

Natürlich sei es einfacher, die Tische im Büro zusammenzurücken, als neue Förderinstrumente zu lancieren. Dafür brauche es Zeit und «Schnauf». Er gibt sich fünf Jahre für die Umsetzung seiner Ziele. «Erst dann können wir messen, ob und was wir erreicht haben.» Er ist durchaus Realist, der neue Stiftungsbeauftragte, auch wenn er betont, dass es für seine neue Aufgabe viel Idealismus brauche.

«Ich glaube, dass meine Aussensicht ein Vorteil ist.»

Stefan Wagner, Beaufttragter der Kulturstiftung (Bild: Ramona Früh)

Sein grosses persönliches Engagement und seine Motivation sind im Gespräch deutlich spürbar, auch nach 100 Tagen noch. Er bringt neue Ideen und frischen Wind. «Das klingt so abgegriffen», sagt er lachend. Und gleichzeitig: «Ich glaube, dass meine Aussensicht ein Vorteil ist. Ich habe keine Betriebs- oder Kantonsblindheit. Ich kann Fragen stellen und gewisse Dinge in Frage stellen.» Ihn interessiert vor allem, wie die Kulturstiftung neue Akzente setzen könne. 

Einen Kahlschlag wolle er nicht vornehmen. «Das bringt es nicht. Aber vielleicht kann ich etwas zeitgerechter machen, zum Beispiel die Kommunikation.» Oder die Gesuchsbearbeitung durch ein Online-Gesuchsportal erleichtern. Das klingt nach Bürokratisierung der Kulturförderung und könnte die Kulturschaffenden abschrecken. Dagegen wehrt sich Wagner: «Kulturförderung ist nicht nur ein Gesuchsformular zum ausfüllen. Es ist ein Eingehen auf die Kunstschaffenden, auf die Kunst, auf deren Bedingungen. Was können wir tun, damit ein Projekt mehr entsteht.»

«Es gibt Kulturorte im Thurgau, die unter ihrem Potential agieren. Ich möchte dieses Potential rauskitzeln.»

Stefan Wagner

Die Kulturstiftung müsse sich an ihre Reglemente halten, könne aber auch manchmal unbürokratische Entscheide fällen. Das gefalle ihm, weil es nahe beim Kuratorenjob liege, den er vorher hatte. Transparenz wäre hier wichtig.

Deshalb erarbeitet Stefan Wagner nun ein Kommunikationskonzept für die nächsten Jahre, wie die Kulturstiftung eine breitere Öffentlichkeit für Kultur, Kulturschaffen und für die Kulturstiftung selber erreichen könne. «Ich möchte, dass unsere eigenen Formate stärker wahrgenommen werden. Aber vielleicht ist das illusorisch», meint Wagner.

Er ist seit 100 Tagen im Amt daran, seine Ideen mit der Wirklichkeit abzugleichen. «Die Realität ist der Prüfstein.» Er hat bereits viele Gespräche mit Kulturschaffenden im Kanton geführt und betont, dass diese in den nächsten ein bis zwei Jahren noch andauern werden.

«Ich möchte, dass unsere eigenen Formate stärker wahrgenommen werden.»

Stefan Wagner

Stefan Wagner will einen Paradigmenwechsel herbeiführen: «Kulturförderung ist für mich eine aktive, keine passive Rolle.» Er hole die Erwartungen an die Kulturstiftung ab und frage nach Handlungsbedarf. Seine vielen Ideen stellt er gleichzeitig zur Debatte und erhalte selber eine vertiefte Perspektive auf die Situation der Kunstschaffenden im Thurgau. 

Dabei kommt ihm seine eigene Erfahrung zugute: Er hat selber einen Kunstraum betrieben und weiss, wo die Probleme oftmals liegen. «Es gibt Kulturorte im Thurgau, die unter ihrem Potential agieren. Ich möchte dieses Potential rauskitzeln, ohne den Orten Vorgaben zu machen. Viel mehr möchte ich ermöglichen, dass sie den ‚next step’ in ihrer Entwicklung machen können.»

Dafür brauche es viele Gespräche, diese sind ihm wichtig. Er versucht, mit Offenheit und Neugierde auf die Kulturschaffenden zuzugehen. «Wenn ich diese Offenheit nicht mehr habe, muss ich aufhören.» Er sehe sich nicht als Allwissender, im Gegenteil. «Die Lösungen müssen hier im Kanton entstehen. Ich kann nur dafür sorgen, dass diese mehr Auftrieb bekommen.»

Gleichzeitig müsse die Förderung dem gesellschaftlichen Wandel angepasst werden. Als Beispiel nennt er die verstärkte Förderung von Frauen oder Kulturschaffenden mit Migrationshintergrund. Was wie angepasst werden soll, werde er nun intern mit dem Stiftungsrat und mit dem kantonalen Kulturamt besprechen.

«Kulturförderung ist für mich eine aktive, keine passive Rolle.»

Stefan Wagner

Sein Vorwärtsdrang und Gestaltungswillen wird ab und an auch etwas gebremst. Das könne mühsam sein, wenn sich nichts entwickeln liesse, aber eigentlich sei es auch gut so, meint Wagner: «Ich komme und will vieles ändern. Das ist nicht einfach.» Er spüre die Bereitschaft des Stiftungsrates. «Sie haben mich gewählt, weil sie mich und Veränderungen wollten. Die Frage ist, wie dieser Aufbruch nun erfolgt.» 

Auch bei den Eigeninitiativen der Kulturstiftung wie der Werkschau Thurgau, dem Tanzfestival tanz:now und den Frauenfelder Lyriktagen schaut Wagner nun genauer hin: «Ich  wäge ab und frage, wo man gebundene Gelder wieder lösen könnte, damit mehr für freie Projekte zur Verfügung steht. Im Grunde genommen ist es nicht Aufgabe der Kulturstiftung Veranstalterin zu sein, das ist ganz klar.»

Aber die Frage sei, was mit diesen Projekten geschehen würde, wenn die Kulturstiftung sie nicht mehr selber veranstalten würde. «Diese Projekte sind sehr oft an das Geld und die Leute gebunden. Es ist eine Tatsache, dass sie ohne die Kulturstiftung nicht existieren würden.»

2021 wird die Kulturstiftung 30 Jahre alt

Die Kulturstiftung Thurgau feiert nächstes Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Ein guter Zeitpunkt, sich die Frage zu stellen, was die Stiftung überhaupt ist und soll. «Für mich ist es klar», meint Stefan Wagner. «Sie soll eine Sichtbarkeit erzeugen für die Kunst. Sie soll dazu beitragen, dass man sich vernetzen kann.»

Tatsache sei ja auch, dass es im Thurgau keine Kunsthochschulen gebe und man zum studieren deshalb weggehe. «Das treibt mich um: Wie kann man von aussen etwas reinholen und Netzwerke schaffen.» Dies finde seiner Meinung nach noch zu wenig statt.

Auch die Wertschätzung gegenüber Kunst und Kultur könne man im Thurgau noch verbessern. «Kultur ist ein Reichtum unserer Gesellschaft. Das Zulassen von anderen Perspektiven bereichert einen.» Der kulturelle Reichtum sei auch im Thurgau vorhanden, man müsse ihn hier einfach mehr suchen als anderswo.
 

Kommentare werden geladen...

Weitere Beiträge von Ramona Früh

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Kulturpolitik

Kommt vor in diesen Interessen

  • Kulturförderung
  • Kulturvermittlung
  • Porträt

Werbung

Eine verschleierte Königin

Einblicke ins Leben der Künstlerin Eva Wipf: Hier geht's zu unserer Besprechung der aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau.

Was bedeutet es heute Künstler:in zu sein?

In unserer Serie «Mein Leben als Künstler:in» geben dir acht Thurgauer Kulturschaffende vielfältige Einblicke!

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

„Der Thurgau ist ein hartes Pflaster!“

Wie ist es im Kanton für junge Musiker:innen? Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen!

Unsere neue Serie: «Wie wir arbeiten»

Unsere Autor:innen erklären nach welchen Grundsätzen und Kriterien sie arbeiten!

#Kultursplitter im November/Dezember

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

«Kultur trifft Politik» N°I

Weg, von der klassischen Podiumsdiskussion, hin zum Austausch und zur Begegnung. Bei der ersten Ausgabe am Mittwoch, 27. November geht es um das Thema "Räume".

Kultur für Klein & Gross #22

Unser Newsletter mit den kulturellen Angeboten für Kinder und Familien im Thurgau und den angrenzenden Regionen bis Ende Januar 2025.

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

Ähnliche Beiträge

Kulturpolitik

Ohne Raum bleibt alles nur ein Traum

Vor welchen Herausforderungen steht Gemeinschaft heute? Und wie kann Kultur Gemeinschaft stiften? Diesen Fragen gaben den Impuls zur dritten Thurgauer Kulturkonferenz. mehr

Kulturpolitik

Wie die Kultur auf den Stundenplan kam

Das Ostschweizer Kulturvermittlungsportal kklick.ch feiert zehnten Geburtstag. Anstoss für das Projekt gab der Thurgauer Galerist Adrian Bleisch. Richi Küttel erzählt vom Gestern und Heute. mehr

Kulturpolitik

Was hält uns zusammen?

Die dritte Thurgauer Kulturkonferenz begibt sich auf die Suche nach Zukunftsmodellen für unser Zusammenleben. Die grosse Frage dabei: Welche Rolle kann Kultur in Gemeinschaften spielen? mehr