02.12.2020
Abschied von einem grossen Künstler
Ernst Thoma war eine der prägenden Künstlerfiguren im Thurgau. Jetzt ist er im Alter von 67 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Kurt Schmid. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
„Ernst ist nicht mehr da“. Mit diesen Worten erreicht uns die Nachricht vom Tod von Ernst Thoma. Geschrieben und mitgeteilt hat sie seine Lebenspartnerin Claudia Rüegg. Und sie fügt hinzu: „So wie er gelebt hat ist er gegangen.“
Wenn es jemanden gibt , dessen Präsenz so direkt, eindrücklich und unverwechselbar gewesen ist und bleibt, dann ist es diejenige von Ernst Thoma. Dass er nicht mehr da sein soll, das es ihn nicht mehr gibt: das ist nicht zu fassen. Mit welchem Mut, mit welcher Raffinesse und Standhaftigkeit hat er doch über Jahre hinweg seiner lebensbedrohlichen Krankheit die Stirn geboten.
Und ist dabei immer sich selber treu geblieben: direkt, verschmitzt, kreativ, tief. Und dennoch hat er aufgeräumt, sein Werk durchforstet und aussortiert. Was seinem strengen Kunst-Anspruch persönlich nicht mehr genügte, musste weg. Dieses Aufräumen mochte er niemandem zumuten. Sich selber schon.
Legendär: Sein erster Auftritt im Thurgau 1984
Einen seiner ersten Auftritte im Kanton Thurgau hatte Ernst Thoma 1984 in der legendär gewordenen Ausstellung „Die Kunstgrenze“ im Bellevue Kreuzlingen. Dort trat er am 6. Juni mit „UnknownmiX“ auf, der heute noch legendären Zürcher Avantgardemusikgruppe.
Der Name der Band und ihre archaische (Techno) Musik waren Programm und sind es geblieben. UnknownmiX warf die Töne ins Neuland der Klänge hinaus und bediente sich der elektronischen Mittel, die zu Ernst Thomas Markenzeichen werden sollten.
Er konstruierte und erfand zudem seine eigenen Klangmaschinen und eroberte das Feld der elektronischen Musik parallel zu Yello, Kraftwerk und andern. Analoge Tonaufnahmen und digitale Tongenerierung standen einander gegenüber und wurden zu nie zuvor dagewesenen Klangräumen verschweisst. Erst kürzlich ist auf Vinyl die Reihe der „TV Totems“ aus der frühen Zeit neu aufgelegt worden, was er mit nicht geringer Freude wahr- und entgegennahm.
Video: Ernst Thoma MIXTURE 06.06.2018,09.32
Der Unterschied zwischen Sounddesign und Komposition
Er wäre darob nie zum „Klassiker“ der Avantgarde“ geworden. Wie denn auch. Ernst wusste nur zu gut, dass sich mit der künstlichelektronischen Erzeugung von Tönen und Klängen eine unendliche Welt aufgetan hatte, die noch bei weitem nicht ausgelotet ist und es nie sein wird. Sounddesign ist nicht mit Komposition zu verwechseln.
Ernst Thomas „Sounddesign“ bewahrte sich die Freiheit, den Corpus von bestimmten Tönen und Klängen aufzusprengen — was immer auch dabei heraus kam. Als Sounddesigner war Ernst Thoma weit herum gefragt. Man mag sich an die Tonspur der „Blinden Kuh“ erinnern, wo einem im ersten dunklen Raum dieses speziellen Ortes und Restaurants anlässlich der Expo 02 eine Klanglandschaft empfing, die weil, es ja nichts zu sehen gab, zu veritablen Klangwelt geriet. Oder an „Aua Extrema".
Video: «Ausserhalb der Zeit II»
In Berlin fügte sich die Stadt in seine Landschaften
Für das „forum andere musik" war Ernst Thoma unverzichtbar. Zwischen 2000 und 2014 war er für das technische Equipment zuständig und prägte auch das visuelle Erscheinungsbild dieser einzigartigen privaten Kulturorganisation im Thurgau mit. Zudem arbeitete sich Ernst Thoma schnell in die Bildberarbeitung, Bildgenerierung, Bildanimation, Multilayertechnik, Bild-Ton- Interaktionen, Programmsprachen und Oberflächendarstellungen ein.
Video-Ton-Installationen, wie etwa die im Museum des Kanton Thurgau 2004/5 gezeigten „Landcape V“, wurden zu einem wichtigen Meilenstein und weit herum beachtet. 2006 weilte Thoma als Stipendiat in Berlin, wo er zu den Land-Landschaften die Stadt-Landschaften und animierte Bildszenerien entwickelte. Mehr und mehr näherte sich seine visuelle Gestaltung den Gestaltungsprinzipien der Malerei an und verleitete ihn auch dazu, vorübergehend seine längst aufgegebene Malerei wieder zu aktivieren.
Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er beim Geilen Block Arbon
In Berlin entstand auch der „Höllensturz“, ein geradezu infernalisches an Rubens orientiertes Bildspektakel, ein Inferno zusammengesetzt aus unzähligen aus Pornobildern herausgelösten Körpern im freien Fall oder als Prozession. Sich selber inszenierte er in einer Videoarbeit, welche optisch auf geradezu unheimliche Art und Weise vorwegnahm, was später tatsächlich geschah, nämlich die multiperspektivische aber auf einen Punkt fokussierte medizinische Bestrahlung.
Ernst Thomas letztes Erscheinen in der hiesigen Kunstszene war seine Teilnahme an der Ausstellung „Geiler Block“ in Arbon im August dieses Jahres. Er zeigte das Video „Landscape 15 ‚Hommage an Robert Zünd‘. Zu sehen war war das Bild ‚„Vierwaldstätterseelandschaft mit Ruine Neuhabsburg bei Gewitterstimmung“ von 1852. Im Beschrieb heisst es: „Für die Animation des Filmes wurden viele Details an mehreren windigen Tagen und bei verschiedensten Lichtverhältnissen nachgedreht. Das so entstandene Bildmaterial wurde anschliessend überlagert auf der digitalen Originalvorlage eingesetzt.“
Seine Spuren werden bleiben
Nun ist Ernst Thoma nicht mehr da. Nicht mehr am Leben, nie mehr in der Kunstszene anzutreffen. Seine Präsenz, seine Spur aber bleibt. Er hat eine prägende Bild- und Tonspur gelegt, auch wenn er, um es so auszudrücken, hinter den Lebenslayer zurücktreten musste. Seine Tiefenstrukturen und seine einzigartige Persönlichkeit und Kreativität werden noch lange nachwirken.
Video: Timepiece 2
Ernst Thoma - Lebensstationen
Ernst Thoma wurde 1953 geboren und ist am Walensee und in Glarus aufgewachsen. Von 1969 bis 1973 machte er eine Lehre als Buchdrucker und nebenbei einen Fernkurs in Elektronik. Schon in seiner Jugend begann er Generatoren, Filter und andere musikalisch verwendbare elektronische Geräte zu bauen und zu spielen. In den 1980er Jahren folgte eine Studio- und Konzerttätigkeit in ganz Europa mit verschiedenen Formationen wie UnknownmiX (mit Magda Vogel und Knut Remond) sowie Performances mit dem Künstler Peter Trachsel von 1978 bis 1982. Daneben arbeitete er auch mit Stephan Wittwer und Gabi Delgado.
Ab 1995 baute Thoma in Stein am Rhein ein Studio für elektronische Musik und Sounddesign auf. In den folgenden Jahren übernahm er vor allem Auftragsarbeiten. Anfangs waren es Werbung, Film, Mehrkanal-Klangräume (EXPO 02) und Medienproduktionen, später vor allem Audioarbeiten in Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden aus unterschiedlichen Bereichen, wie dem Mathematiker und Jazzpianisten Guerino Mazzola, der Pianistin Claudia Rüegg, dem Sänger David Thorner, den Künstlern Christoph Rütimann, Ugo Rondinone und Christoph Schreiber und dem Schauspieler Dominique Rust.
1996 baute Thoma ein neues Live-Instrument, die „Blue Wheel Instant Composing Machine“ auf und damit einhergehend war er ab 1998 wieder vermehrt in Konzerten zu sehen.
Thoma entwickelte und baute bis Ende der 1990er Jahre unter dem Label TMS viele verschiedene Synthesizer und elektronische Gerätschaften für Musiker, Studios und den Eigengebrauch.
Ab 2000 beschäftigte sich Thoma vor allem mit eigenen Projekten, Konzerten und Ausstellungen. Neben den Audioarbeiten entstanden auch Medieninstallationen und Videoarbeiten, z. B. die Videoinstallation „Landscape 5“ in 2004 oder „Höllensturz“ im Jahr 2007.
Im November 2020 ist er im Alter von 67 Jahren gestorben.
Mehr zu seiner Arbeit gibt es auf verschiedenen Websites im Internet:
Das Ernst-Thoma-Archiv: https://ernstthoma.wordpress.com/
Seine Sounddesign-Arbeiten: http://www.sounddesign.ch/
Im Online-Verzeichnis des Kunstmuseum Thurgau
Ernst Thomas YouTube-Kanal: https://www.youtube.com/user/ErnstThoma
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