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von Inka Grabowsky, 09.08.2024

Ein Märchen für Erwachsene auf Schloss Hagenwil

Ein Märchen für Erwachsene auf Schloss Hagenwil
Das Ensemble ist gut eingespielt. Neulinge wie Melvin Aeberhard (rotes Trikot) wurden problemlos integriert. | © Inka Grabowsky

Die Schlossfestspiele bieten auch in diesem Jahr beste Unterhaltung. Regisseur Florian Rexer interpretiert für die 15. Saison das Stück «Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde» von João Bethencourt aus dem Jahr 1972. Aktuell ist die Komödie immer noch. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Schlager aus den Siebzigerjahren stimmen das Publikum im gedeckten Schlosshof ein. «Daddy cool» oder «Yes Sir, I can boogie» versetzen in die Entstehungszeit des Theaterstücks. Doch die Weltlage, auf die es sich bezieht, hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren nicht zum Besseren gewandelt. Es gibt immer noch Krieg, Mord und Totschlag. Es gibt immer noch einen Papst. Und den kann ein New Yorker Taxifahrer immer noch entführen, wenn er aus dem ungeschützten Nebeneingang seines Hotels tritt und sich vertrauensselig in ein zufällig vorbeikommendes Taxi setzt. Und so verliest am Premierenabend ein Nachrichtensprecher (Sascha Zürcher) im Radio fiktive Meldungen des 7. August 2024.

Spassiges Stockholm-Syndrom

Um «Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde» angemessen zu geniessen, ist es notwendig, an göttliche Fügung – oder wenigstens an praktische Zufälle – zu glauben. Der Entführer Samuel Leibowitz (Reto Mosimann) hat keine bösen Absichten, sondern will den Weltfrieden für einen Tag erpressen. Da es sich um eine Komödie handelt, die per Definition gut ausgehen muss, kann man sicher sein, dass er Erfolg hat. In einer Tragödie beobachten wir den Fall eines Helden. Aber in dieser Komödie freuen wir uns daran, wie sich ein Held freiwillig erniedrigt. Der entführte Papst mag in eine Speisekammer eingesperrt sein. Er verliert dabei allerdings nie seine Würde, sondern lässt sich neugierig auf seine Entführer ein und macht schliesslich mit ihnen gemeinsame Sache. Man könnte dem Autor prophetische Gaben zusprechen: Das «Stockholm-Syndrom», das derartiges Verhalten beschreibt, geht auf eine Geiselname 1973 zurück, ein Jahr nach der Uraufführung. 

Quasi-Open-Air-Theater: Die Schlossmauern und die Markisen über den Hof geben Schutz. Bild: Inka Grabowsky

Der Star liefert

Die Festspielleitung hat für die Hauptrolle Walter Andreas Müller gewinnen können, der den Schlossfestspielen Hagenwil als künstlerischer Pate und Berater schon lange verbunden ist. «WAM» hatte den Papst bereits bei der Aufführung der Kammerspiele Seeb gespielt, die als beste Schweizer Bühnenproduktion 2019 den Prix Walo bekommen hatte. Entsprechend sattelfest verkörpert der bald 79-Jährige «seinen» Albert IV. Für die Zuschauer ist das äusserst vergnüglich. Man sieht dem Papst beim Lügen zu, als er höflich den Kaffee der Gastgeberin lobt, obwohl er beim ersten Schluck schmerzhaft das Gesicht verzogen hatte. «Es ist brillant gespielt», lobt Nationalrat Christian Lohr hinterher. «Mit seiner Mimik und seiner Ausstrahlung prägt Walter Andreas Müller eine Szene, auch wenn er in ihr nur im Hintergrund steht.»

Theodizee und Rollenklischees

Neben harmlosen Scherzen bleibt auch Zeit für tiefsinnige Philosophie am Küchentisch. «Glauben Sie an ein höheres Wesen?», fragt die jüdische Hausfrau Sara Leibowitz (Bigna Körner) die Geisel, die gerade mit dem Sparschäler «Rex» den Kartoffeln auf die Pelle rückt. Daraus erwächst eine klassische Theodizee-Diskussion: Wie kann man angesichts des Unglücks in der Welt an Gott glauben? Während der Papst sich in all diesen Gesprächen keine Blösse gibt, müssen andere Angehörige von Gottes Bodenpersonal in Rexers Inszenierung eine Gratwanderung absolvieren. Der machtbewusste und verlogene Kardinal O’Hara (Marcus Coenen) ist dabei ähnlich unsympathisch wie Rabbi Meyer (Marco Canadea), der den Aufenthaltsort des Entführten entgegen seines Versprechens verrät, um die Belohnung einzukassieren. «Judas» muss er sich vom Kardinal betiteln lassen. 

Keine Zuneigung zwischen Kardinal (Marcus Coenen) und Papst (Walter Andreas Müller). Bild: Inka Grabowsky

Eingespieltes Team mit Auffrischungen

Marco Canadea gehörte – wie auch Reto Mosimann und Klara Rensing, welche die Tochter Miriam Leibowitz verkörpert, – zum Zürcher Erfolgsensemble von 2019-22. Melvin Aeberhard dagegen, der den Sohn des Entführers spielt, erlebt bei den Schlossfestspielen seine erste Theaterproduktion nach der Filmschauspielschule. Anzumerken ist das dem 25-Jährigen nicht. Es ist glaubwürdig, wie sich im Laufe der zwei Akte der coole Jugendliche zum Bewunderer seines Vaters wandelt.

Lachen und lernen

Niemand sollte zum Wasserschloss Hagenwil pilgern, weil das Drama so spannend ist. Man sollte es ansehen, weil es amüsant ist und dabei ganz nebenbei aktuelle Fragen stellt. «Ich habe bei diesem Stück gelernt, dass die Entscheidung ‹Krieg oder Frieden› bei jedem Einzelnen liegt», sagt Florian Rexer in seiner Dankesrede. «Jeder ist selbst ein Stückchen für Harmonie in seinem Umfeld verantwortlich.» In diesem Sinne sei er froh, mit dem Ensemble für einen Moment der Freude und des Lachens sorgen zu können. Tatsächlich fällt es schwer, nicht an den passenden Stellen loszuprusten, selbst wenn die Gags vorhersehbar sind. «Ich komme zum Lachen hierher», kommentiert Grossratspräsident Peter Bühler. «Es belebt die Seele. Und in der Schweiz wird viel zu wenig gelacht.»

Weitere Vorstellungen und Tickets

«Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde» läuft noch bis zum 7. September 2024. Ein Ticket kostet 65 Franken im Vorverkauf über ticketino. Mit Apéro oder Nachtessen im Wasserschloss kostet es 87 bzw. 129 Franken. 

 

 

 

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