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von Anabel Roque Rodríguez, 31.05.2021

Gemeinsam statt einsam

Gemeinsam statt einsam
Klare Kante: Für Claude Bühler ist Kunst auch immer eine Haltungsfrage. Dafür bekommt sie 2021 einen der Kultur-Förderbeiträge des Kantons Thurgau. | © zVg

Vielfältig, inklusiv, kollaborativ und feministisch: Kunst ist für Claude Bühler auch immer mit einer klaren Haltung verbunden. Nun hat die Künstlerin einen der mit 25'000 Franken dotierten Förderbeiträge des Kantons erhalten. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Im Augenblick wohnt die Künstlerin in Bonnstetten und arbeitet auf einem alternativen Bauernhofprojekt in dem auch viele andere junge Leute mithelfen. «Neben der Kunst ist das ein guter Ausgleich.» Dialog und Austausch sind zentral für das Arbeiten von Claude Bühler.

Die Künstlerin ist in Horn aufgewachsen, hat in Berlin Fotografie studiert und ist nun wieder zurück in der Ostschweiz, wo sie Musik und Kunst miteinander verbindet. Als sie zurück in die Schweiz gezogen ist, fiel ihr schnell auf, dass ihr bedingt durch ihre Zeit in Berlin das Netzwerk hier vor Ort fehlt.

«Die Musikindustrie in der Schweiz ist wahnsinnig männerdominiert, ich sass häufig in kompletten Männerrunden und hatte das Gefühl, dass meine Themen übergangen oder nicht ernstgenommen wurden.»

Claude Bühler, Musikerin und Fotografin

So ist auch ihr bekannter Salon Vert entstanden, denn die Schweiz hat ihr nicht den sprichwörtlichen roten Teppich ausgerollt. Deshalb gründete sie 2019 nach ihrer Rückkehr kurzerhand in Eigeninitiative ein feministisches Netzwerk. «Der Salon Vert ist entstanden, weil ich eine Art Vorwand brauchte um mehr Frauen in der Musikindustrie kennenzulernen, mir fehlte einfach das Netzwerk. Die Musikindustrie in der Schweiz ist wahnsinnig männerdominiert, insbesondere in der Produktion. In St. Gallen habe ich das besonders gemerkt und sass häufig in kompletten Männerrunden und hatte das Gefühl, dass meine Themen übergangen oder nicht ernstgenommen wurden: die bekannte gläserne Decke. Ich hatte keine Lust mehr um Erlaubnis zu fragen, sondern wollte endlich machen. Über den Salon Vert konnte ich spannende Leute einladen. Es ging vor allem darum einen Raum zu schaffen.»

Im Sommer 2020 wurde sie vom Frauenpavillon im St.Galler Stadtpark für einen Monat eingeladen das Projekt aus ihrem Atelier in Teufen in die Stadt zu bringen. Die Farbe Grün im Titel des Projektes leitet sich übrigens vom Teppich im Atelier ab: unkompliziert, witzig und ein bisschen frech – so wie eben der Salon selbst ist.

«In der Kunst und Musikindustrie gibt es ein grosses Konkurrenzdenken, dem möchte ich gerne entgegenarbeiten.»

Claude Bühler, Künstlerin

Das Projekt kann man sich als niederschwelliges Residency-Programm vorstellen, bei dem es vor allem darum geht sich auszutauschen, voneinander zu lernen und Neues auszuprobieren. Mal wird gemeinsam Musik gemacht, mal gibt es Gesprächsrunden zu queer-feministischen Themen. «In erster Linie geht es darum Spass zu haben. Das ist für mich immer wichtiger geworden: Dinge zu machen, weil ich sie machen möchte und nicht, weil ich sie tun sollte. Das ist auch der Grundstein bei Kollaborationen: Bedürfnisse in Einklang bringen.»

Ein Netzwerk, das wächst

Aus diesem Projekt ist auch die Kollaboration mit Jessica Jurassica entstanden bei dem die beiden Künstlerinnen auf dem Radiosender Kanal K Sendungen bespielen: Jessica Jurassica bringt dazu Texte mit und Claude Bühler reagiert mit Musik auf diese.

«Das schöne bei dem Salon Vert ist, dass sich auch andere Projekte daraus entwickeln, die nichts mit mir zu tun haben. Für mich ist das die Idee eines Netzwerkes: Es gehört mir nicht, sondern allen Beteiligten. In der Kunst und Musikindustrie gibt es ein grosses Konkurrenzdenken, dem möchte ich gerne entgegenarbeiten und zeigen, dass sich FLINT-Personen unterstützen und Mut machen müssen, denn häufig trauen sich gerade diese zu wenig zu, obwohl sie super ausgebildet sind.»

Gemeinsam im Radio: Claude Bühler und die Multi-Künstlerin Jessica Jurassica. Bild: zVg

Miteinander statt Markt, Kollaboration wird zum Kapital

In Zeiten, in denen Kunst häufig marktwirtschaftlichen Gesetzen gehorchen muss, erscheint dieser Ansatz radikal, denn Claude Bühler entzieht sich klar dem Wettbewerbsgedanken und setzt lieber auf ein eigenes System des Miteinanders. Die Beziehungen durch die Kollaborationen werden organisch zu ihrem Kapital, denn andere Menschen führen zu weiteren Möglichkeiten.

Der Salon Vert wächst dabei und nimmt einen interessanten Zwischenraum ein: Zwischen Labor für Experiment und einem institutionellen Raum auf dem Weg zur Professionalisierung mit allen administrativen Anforderungen.

«Institutionen sollten viel häufiger eine Carte Blanche erteilen. Es ist ein ganz simples Instrument zu zeigen, dass man wirklich einen Raum ermöglicht.»

Claude Bühler, Künstlerin

Was wünscht man sich daher als unabhängiges Netzwerk von Institutionen, die gerne inklusiver arbeiten möchten? «Institutionen sollten viel häufiger eine Carte Blanche erteilen. Es ist ein ganz simples Instrument zu zeigen, dass man wirklich einen Raum ermöglicht und die eigene Reichweite dem Netzwerk zur Verfügung stellt, statt Themen selbst zu vereinnahmen. Ich sehe zu oft, dass Institutionen sich Themen aneignen und so sieht ernstgemeinte Kollaboration nicht aus. Kurz: Weniger Kontrolle und mehr abfragen, was die Projekte selbst eigentlich wollen und sie dabei unterstützen»

Kunst ist immer auch eine Haltungsfrage

Der Salon Vert wird gerne als feministisches Netzwerk bezeichnet, aber braucht es diese Zuschreibung? «Zu Beginn war es ganz klar ein feministisches Projekt und ist es im Prinzip in der Haltung nach wie vor. Der Salon Vert ist aber kein Aktionsraum für Demonstrationen oder Bildungsarbeit, sondern es ist ein Raum in dem Dinge passieren und feministische Themen im Mittelpunkt stehen. Es sind auch Männer da.»

Neben der Musik spielt die Fotografie eine grosse Rolle im Leben der Künstlerin. Es scheint als wäre die Musik ihr Spielfeld für den Dialog mit Anderen, während die Fotografie ihr ganz persönliches Medium ist eine Brücke zwischen ihr und der Welt aufzubauen.

Die Kuratorin, Musikerin und Feministin Juliette Rosset war auch schon im Salon Vert zu Gast. Bild: Claude Bühler

Wie Fotografie und Soundperformance zusammenwirken

Ihre Art der Soundperformances ist für den Moment gedacht und das Archiv spielt eher eine zweitrangige Rolle, während die fotografischen Projekte aus intensiver Recherche bestehen und Fragen evaluieren, die sich die Künstlerin stellt. Die beiden Medien werden durch die Haltung – von ihrer politischen Einstellung und den intersektionalen Themen – miteinander verbunden.

In ihrem fotografischen Langzeitprojekt «It’s Not Science Fiction» geht es indirekt ebenfalls um ein Netzwerk, allerdings in einem etwas anderen Sinne: der Rüstungsindustrie. Für das Projekt reiste sie in Deutschland und der Schweiz umher und fotografierte Gebäude der Hersteller, die Waffen für den Konflikt im Jemen produzieren.

Aus der Serie «It’s Not Science Fiction». Bild: Claude Bühler

Fotoserie über die Rüstungsindustrie am Bodensee

Die Serie ist eine persönliche Auseinandersetzung über Verantwortung, Krieg und historische Verbindungen. «Für mich hat diese Serie viel mit Raum zu tun, ich musste den Ort an dem die Waffen hergestellt werden mit eigenen Augen sehen. Es waren zum Teil sehr aufwendige Recherchen um herauszufinden, wo die Hersteller konkret sitzen.» Nach einer Pause fotografiert die Künstlerin nun weiter, diesmal mit einem Schwerpunkt auf Waffenproduzenten in der Bodenseeregion.

Der Prozess ist das Ziel

Anfang Juni veröffentlicht Claude Bühler ein Mixtape mit Musik, Gesprächen und mehr als Archiv des Salon Vert. Das Tape ist zusammen mit dem Frauenfelder Musiklabel Augeil produziert worden. In diesem Zusammenhang erscheint auch eine filmische Dokumentation des Prozesses.

Es wird ausserdem mit der Radiosendung weitergehen, in die sie weiter Kollaborateurinnen einladen wird. Der Zukunft des Salon Vert wird also nicht davon geprägt einen Raum zu haben, sondern soll möglichst in unterschiedlichen Konstellationen einen Raum gestalten. Mit dem Geld des Förderbeitrages kann die Künstlerin dazu endlich Equipment kaufen. Sie möchte auch die Radiosendung weiter ausbauen.

Der Salon Vert hält sich die Möglichkeiten offen, der Prozess ist das Ziel.

Aus der Serie «It’s Not Science Fiction». Bild: Claude Bühler

 

 

Die Kulturförderbeiträge

Einmal im Jahr vergibt der Kanton Thurgau seine Kultur-Förderbeiträge an KünstlerInnen, die mit einem überzeugenden Vorhaben den nächsten Schritt ihrer Karriere gehen wollen. In diesem Jahr werden drei Frauen und drei Männer ausgezeichnet aus den Sparten Bildende Kunst, Theater und Musik. Der Preis ist mit jeweils 25'000 Franken dotiert. Die Preisverleihung findet digital statt - am Donnerstag, 3. Juni, 19 Uhr. Wer dabei sein will: Alle Informationen zur Anmeldung gibt es hier.

 

Die Preisträger sind: Jasmin Albash (Musikerin), Fabian Alder (Regisseur), Claudia Bühler (bildende Künstlerin), Susanne Hefti (bildende Künstlerin), Daniel V. Keller (bildender Künstler) und Pablo Walser (bildender Künstler). Fabian Alder (hatte zuletzt 2019 mit der Theaterwerkstatt Gleis 5 «Der Held der westlichen Welt» inszeniert) und Daniel V. Keller (hat die 18. Ausgabe der Facetten-Reihe der Kulturstiftung gestaltet) erhalten den Förderbeitrag nach 2013 (Fabian Alder) bzw. 2016 (Daniel V. Keller) bereits zum zweiten Mal.

 

Die Serie: In einer Porträtserie stellen wir alle PreisträgerInnen vor. Alle Teile der Serie werden in unserem Dossier zu den Förderbeiträgen gebündelt. Dort finden sich auch Porträts zu früheren PreisträgerInnen.

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