von Inka Grabowsky, 10.01.2025
«Jeder ist in irgendeiner Blase prominent.»
Der Musiker und Maler Kurt Lauer ist 80 Jahre alt geworden. Ausserdem feierte er gerade sein 50-jähriges Atelierjubiläum. Grund genug also für einen Besuch in seinem Atelier im Wintergarten der «Villa Raichle» in Kreuzlingen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
«Ich habe festgestellt, dass nur ich Lauer-Bilder malen kann. Also mache ich weiter.» Kurt Lauer räumt ein, dass er ein wenig arrogant klingt, aber so sei es nun mal. «Ich müsste zehn Leben leben, um alles zu malen, was ich will. Aufhören kann ich nicht.» Allerdings brauche er inzwischen mehr Zeit für den einzigartigen «Lauerismus», der unter anderem von feinen, exakten Strichen lebt. «Bei ersten Versuch sind die Linien heute schief und krumm. Ich brauche Zeit, um sie sorgfältig zu begradigen. Gut, habe ich keinen Chef. Es kann länger dauern.»
Er geniesse die Freiheit der Kunst – und die Tatsache, dass er immer von seiner Kunst und seiner Musik habe leben können. «Zugegeben: Ich habe das Abenteuer gestartet, als schon etwas Geld zur Seite gelegt war. Nach einiger Zeit wollten die Leute Lauer-Bilder. Hausieren gehen musste ich nie.»
Es sei allerdings ruhiger geworden, so der Jubilar. «Wenn man in Kreuzlingen die Passanten fragt, kennt mich bestimmt nicht mehr jeder. Aber in der Welt gibt es ja ohnehin zu viele berühmte Leute. Jeder ist in irgendeiner Blase prominent.»
Autodidakt mit Hang zum Perfektionismus
Man sieht den Werken an, dass der Künstler seine Berufslaufbahn als Vermessungstechniker mit dem dazugehörenden technischen Zeichnen begonnen hat. «Meine Eltern waren seriös», lacht er. «Also trat ich eine Lehre an und kein Musik- oder Kunststudium». Als Künstler ist er dementsprechend Autodidakt.
Immerhin wurde er frühkindlich von den Besten geprägt: «Bei meinen Eltern galten Comics als Schundliteratur. Stattdessen durfte ich Bücher von Ernst Kreidolf betrachten – bei der Ausstellung im Rosenegg-Museum habe ich manches wiederentdeckt.»
Musik als zweites, gleichwertiges Standbein
Durch das eigenverantwortliche Ausprobieren von Malstilen habe er profitiert, meint der Achtzigjährige im Rückblick. «Mir wurde nichts vorgekaut. Ich habe über das Fehlermachen gelernt. Dafür konnte ich mein eigenes künstlerisches Ich entwickeln.» Den Beruf als Vermessungstechniker empfand er als befriedigend. «Nur hat auf die lange Frist das Kreative gefehlt.»
Nach 15 Jahren im Job, 1974, kündigte er und wurde freier Künstler – Maler und Musiker zugleich. Die Band, mit der er als Klarinettist damals nach Feierabend gespielt hatte, war zu diesem Zeitpunkt höchst erfolgreich. 1973 gingen die «Halleluja Ramblers» sogar auf USA-Tournee. «Als erste Garnitur der Konstanzer Jazz-Szene spielten wir auf einem Festival in New Orleans. Und weil das so eine grosse Sache war, begleitete uns ein Journalist vom Südkurier. Das gab dann eine ganze Seite in der Zeitung.»
Mit der medialen Aufmerksamkeit war das traditionelle Weihnachtskonzert, das die «Halleluja Ramblers» ausnahmsweise in Konzil ausrichteten, «rammelvoll». «1200 Menschen waren wohl da, obwohl der Saal nur für 800 zugelassen ist.» Als Mitbegründer der Kreuzlinger Jazzmeile ist Kurt Lauer heute noch vielen ein Begriff. Mit seiner Swiss German Dixie Corporation spielt er seit Jahrzehnten.
In den Bildern des Malers finden sich Bezüge auf das Leben des Musikers. Blasinstrumente mit ihren Ventilen, Krümmungen, Zügen oder Schallbechern wirken offenkundig inspirierend.
Lauerismus als einer von vielen Bild-Charakteren
1977 gab es die erste grosse Ausstellung. Kurt Egloff, der damalige Präsident der Kunstgesellschaft prägte in der Laudatio den Begriff des «Lauerismus». «Er sagte mir, was ich mache, sei gewagt, sogar eine Weltsensation – nur am falschen Platz.» Frisch verheiratet wollte Kurt Lauer die Provinz aber nicht verlassen. «Im Nachhinein war das gut so. So gab es nachhaltigen Erfolg, kein kurzes Strohfeuer.»
Was er allerdings zu spüren bekam, war das falsche Timing: «1973/74 – das war die Zeit der Ölkrise. Die Leute waren sparsam. Da kauft keiner Bilder. Die ersten drei Jahre waren sehr mager.» Lauers Ehefrau sprang in die Bresche: «Sie ging schaffen, und ich habe gemalt.»
«Drauflos», «Lupo», «Wenig» und Mannökel
Die ersten Erfolge brachten Risiken mit sich. «Einmal hattet ich ein Angebot, für einen Haufen Geld alle bestehenden und zukünftige Bilder zu verkaufen», erzählt der Künstler. «Aber ich hätte mich auf den Stil beschränken müssen, den die Kunsthändler am besten verkaufen. Das ging gar nicht.»
Lauerismus als Spielart des Surrealen ist eben nicht die einzige Stilrichtung, die Kurt Lauer beherrscht. Lauer betont: «Keiner der Stile ist abgeschlossen. Sie laufen alle synchron und werden weiterentwickelt – je nach meiner Stimmung.»
- Einfach Drauflos-Malen, das gab es vielleicht einmal in Lauers Jugend. «Drauflos»-Bilder aber gibt es immer noch. Sie werden aber «ausgefeinert», nach der groben Skizze also korrigiert und sehr präzise ausgearbeitet.
- Bei den «einfachen» oder «Wenig»-Bildern ordnet Lauer grafische Elemente wie Kreise oder Punkte zu Figuren. «Da hat der Betrachter einen schnellen Zugang», sagt er. Ganz ohne Ironie läuft das nicht ab. «Ich habe mal ein schwarzflächiges Bild mit dem Titel ‹Schwarzarbeit› gemalt und in Radolfzell ausgestellt. Es fand sich sogar eine Käuferin, aber sie sprang ab, als sie hörte, dass ich nur 300 Mark dafür wollte. Damit war es wohl keine Wertanlage mehr.»
- «Lupo-Bilder» sehen aus wie Luftbildaufnahmen – eine Aufsicht auf auf phantastische Flüsse, Strassenkreuzungen, Siedlungen. Benannt sind sie nach dem Spitznahmen des ersten Käufers.
- «Mannökel-Bilder» heissen nach dem Schweizerdeutsch-Begriff für Spielfigur oder «Männeken». Hier sind Karikaturen von Menschen zu erkennen.
Der kunsttheoretische Hintergrund
Wie Lauer in einem persönlichen Brief schreibt, steht das Sehen für ihn im Mittelpunkt der Arbeit: «Hat die frühere Malerei meisterhaft naturalistisch gemalt (und) Vertrautes zum Sehen gegeben, so hat sich die Kunst über die diversen Stilepochen bis zu neuen unbekannten Kreationen entwickelt. Die Werke im Lauerismus sind aus dem Nichts entwickelte phantasiegeladene Neuschöpfungen, die als solche auch wahrgenommen werden wollen. Das Werk ist ein eigenes ‹Ich›, das mit Lust, Geist und Laune täglich neu gesehen werden will: ein beständiges Erlebnis (…). Im Umfeld dieser Kunst ist man geistig automatisch dabei. Das persönliche ‹Ich› des Kunstfreunds ist angesprochen.»
Die logischen Spleens
Kurt Lauer ist für ein paar Eigenheiten bekannt. Unter anderem pflegt er einen sehr langen und stark lackierten Fingernagel an der rechten Hand. Er lacht: «Wenn ich den bunten Nagel sehe, weiss ich, wo rechts und links sind.» Entstanden ist das Markenzeichen von gut fünfzig Jahren: «Meine Frau hatte den falschen Nagellack gekauft, und ich wollte ihn nutzen, statt ihn wegzuwerfen. Was man mal als Dummheit angefangen hat, soll man beibehalten.»
Tatsächlich hat das modische Accessoire einen praktischen Wert. Lauers Bilder werden eher geschrieben als gemalt. Der Künstler steht nur für grosse Bilder an der Staffelei, kleinere Formate entstehen am Tisch. «Ich stütze mich da mit dem langen Nagel ab, so verwischt weniger.»
Skurril muten auch Einladungen von Kurt Lauer an, sei es zu seinen Jazz-Konzerten oder zu Ausstellungseröffnungen. Sie beginnen nie um 11 oder 19 Uhr, sondern jeweils minutengenau – zum Beispiel um 11.06 oder 19.13 Uhr. «Damit habe ich angefangen, weil die Menschen immer unpünktlicher werden», erklärt er. «Wegen der schiefen Zeiten hat sich das geändert.»
Aktuelle Ausstellung in Pfullendorf
Eine grosse Jubiläumsausstellung im Thurgau fehlt noch, aber immerhin gibt es noch bis Ende März eine aktuelle Werkübersicht in der städtischen Galerie im Alten E-Werk in Pfullendorf, sechzig Kilometer nördlich von Lauers Heimatstadt Kreuzlingen.
Von Inka Grabowsky
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