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von Inka Grabowsky, 28.04.2025

«Die schönste Nische der Literatur»

«Die schönste Nische der Literatur»
Drei von vielen Gratulanten zum 25-jährigen Bestehen des Bodmanhauses: Lorenz Zubler, Denise Neuweiler und Peter Stamm | © Inka Grabowsky

Das Bodmanhaus in Gottlieben feierte sein 25-jähriges Bestehen unter grosser Anteilnahme von Kultur- und Polit-Prominenz. Regierungsrätin Denise Neuweiler und Autor Peter Stamm hielten die Festreden. (Lesesdauer: ca. 3 Minuten)

«Das Bodmanhaus ist eine Nische der Literatur», sagt der Präsident der Thurgauischen Bodman-Stiftung Lorenz Zubler, «aber es ist wohl eine der schönsten.» Nischen sind per definitionem klein. Im Fall des Literaturhauses Thurgau kommt noch erschwerend hinzu, dass es am Rand der Schweiz liegt. 

«Dass die Bodenseeregion im Mittelalter ein kulturelles und literarisches Zentrum war, ist weitgehend in Vergessenheit geraten», meint Zubler. «Aber auch Nischen können Strahlkraft haben!» Das Literaturhaus habe sich in den vergangenen 25 Jahren einen Namen erarbeitet. Über 500 Veranstaltungen haben seit dem Jahr 2000 den Menschen der Region und ihren Gästen die Literatur näher gebracht. 

Erinnerungen an die Anfangszeit

Der Jubiläums-Festakt in der Kirche in Gottlieben und die anschliessende Feier im Bodmanhaus zieht viele Akteure des Literaturbetriebs an den Seerhein – unter ihnen auch Jochen Kelter, der das Haus in der Anfangszeit von 2000 bis 2004 geleitet hatte. «Es hat eine Weile gebraucht, bis sich herumgesprochen hatte, dass wir uns auf Literatur spezialisiert hatten», erzählt er. «Anfänglich bewarben sich skurrile Vortragsredner um einen Auftritt. Einer war Stuka-Pilot und wollte von seinen Kriegseinsätzen erzählen.» 

Bei der Betreuung der geladenen Autorinnen und Autoren musste der Programmleiter mitunter an seine Grenzen gehen. «Eine italienischen Schriftstellerin reiste überaus knapp mit der Bahn an. Nach ihrer Lesung bestand sie darauf, noch etwas trinken zu gehen. Das wurde eine lange Nacht!» 

Bei so persönlicher Betreuung ist es kein Wunder, dass die Literaten gerne nach Gottlieben kamen. «Sie haben die Atmosphäre des Hauses immer sehr genossen. Sie fanden es wohl etwas exotisch, aber schön.» 

 

Autor Peter Stamm kommt immer wieder gern ins Bodmanhaus. Bild: Inka Grabowsky

Die Stipendiaten-Wohnung als Besonderheit

Mittlerweile gibt es im deutschsprachigen Raum viele Literaturhäuser. «Doch das Besondere am Bodmanhaus ist, dass hier nicht nur über Literatur gesprochen wird, sondern darüber hinaus auch Literatur entsteht», betont Regierungsrätin Denise Neuweiler in ihrem Grusswort. 

Sie bezieht sich auf die kleine Einliegerwohnung, in die sich Schriftsteller einmieten können. Mit Unterstützung der Kulturstiftung kommen auch Stipendiaten und Stipendiatinnen zum Zuge, ohne zahlen zu müssen. Die Nische spende die Geborgenheit, die es zum Arbeiten brauche, so die Politikerin.  

 

Peter Stamms Verständnis für Emanuel von Bodman

Zu den häufigen Nutzern der Wohnung gehört Peter Stamm, gefeierter Autor mit Wurzeln in Weinfelden. Er habe sich im Laufe der Jahre insgesamt bestimmt für ein halbes Jahr in Gottlieben aufgehalten, um zu schreiben. «Wenn ich schreibe oder lese, sind mein Körper und mein Geist an verschiedenen Orten. (…) Man könnte denken, es spielt keine Rolle, wo sich mein Körper befindet. Aber die Grenze zwischen Schreibort und beschriebenen Ort ist durchlässig. Der Ort, an dem ich schreibe, prägt den Text, der an ihm entsteht.» 

Stamm mag die Atmosphäre im Bodmanhaus, auch wenn er mit den Texten des früheren Bewohners Emanuel von Bodman nicht viel anfangen kann. «Dass Bodman an sich zweifelte (…) ist vermutlich gerade das, was mir sein Haus so lieb macht. (…) Er fühlt sich verkannt. Aber fühlen wir uns, sind wir nicht alle verkannt?» 

Die Schriftstellerei sei ein Beruf für Versager, zitiert sich Stamm selbst (aus seinen 13 Thesen zur Technik des Schriftstellers). «Das Schicksal jeder Schriftstellerin und jedes Schriftstellers ist das Verstummen.»

 

Marie-Louise Holzach wurde in Anerkennung ihres langjährigen Engagements zum Ehrenmitglied der Stiftung ernannt. Bild: Inka Grabowsky

Etwas bleibt

Bodmans Name und das Bewusstsein für seine schriftstellerische Existenz ist dank seiner Frau Clara und dank diverser Mäzene und Sponsoren der Nachwelt erhalten geblieben. Besonderes Robert Holzach, der die Bodman-Stiftung gründete und Geld unter anderem für die Sanierung des Hauses zur Verfügung stellte, wurde beim Festakt gedacht. 

Seine Witwe Marie-Luise, die das Engagement ihres Mannes fortführte, wurde zum Ehrenmitglied der Thurgauischen Bodman-Stiftung ernannt. Es sei mutig gewesen, die Institution zu gründen, meint Regierungsrätin Neuweiler. Man habe sich fragen müssen, ob ein Haus des Buches aufs Land passt. «Heute wissen wir: (…) Die Idee war wegweisend. Das Literaturhaus strahlt weit über den Thurgau hinaus.» 

Zum Jubiläum ist eine Festschrift erschienen, die im Literaturhaus ausliegt. 

 

Das Xolo-Quartett mit Naturmuseumsdirektor Hannes Geisser an Saxophon umrahmte den Festakt. Bild: Inka Grabowsky

 

 

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