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von Inka Grabowsky, 18.05.2023

Gezeichnete Philosophie

Gezeichnete Philosophie
Frisch ausgezeichnet: Die Illustratorin Julia Trachsel. | © Julia Schöni

Weil Worte für sie nicht ausreichen, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beantworten, kreiert Julia Trachsel eine Graphic Novel, in der sie Text und Bild verbinden kann. Dafür erhält die Illustratorin aus Mammern einen Förderbeitrag des Kantons. Das Ziel: Ihr erstes Buchprojekt mit dem Titel «Ein bisschen weniger Sterben» voranzutreiben. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Ein zufälliges Erlebnis hat Julia Trachsel nachdenklich gemacht. Sie beobachtete einen Unfall, bei dem ein Mann starb. «Schon vorher hatte ich eine Freundin durch Krebs verloren. Insofern setze ich mich schon länger mit Verlust und Loslassen auseinander», sagt sie.

Um diese Auseinandersetzung zu visualisieren, erfindet die Illustratorin eine Protagonistin, die ebenfalls nach dem Beobachten eines Unfalls ins Nachdenken kommt: Was macht das Leben aus? Wie hat es sich zu dem entwickelt, wie es heute ist? Was lenkt einen ab, wie fokussiert man sich?

Ein Comic verdichtet

Julia Trachsel ist in Mammern aufgewachsen, hat in Kreuzlingen die Pädagogische Hochschule absolviert und danach sieben Jahre in Zürich unterrichtet. «Dann wollte ich noch etwas Neues anfangen, habe berufsbegleitend die Vorkurs Gestaltung belegt und mich an der Hochschule Luzern für den Studiengang Illustration beworben.» 2020 schloss sie ihr zweites Studium ab.

«Das Comiczeichnen hatte mich dabei am meisten fasziniert», so Trachsel. Es ist die Kombination aus Wort und Bild, die für sie einen Mehrwert bietet. «Ich zeichne Comics, weil sie mir die Sprache geben, tiefe Gedanken zu Papier zu bringen. Die Wörter allein beinhalten nie alles. Aber ich gehe vom Geschriebenen aus. Meine Texte führen zu einem Bild – und wenn das fertig ist, wird oft der Text noch einmal redigiert. Ein Comic verdichtet.»

 

Ein Entwurf für das Buchprojekt „Ein bisschen weniger Sterben“ vermittelt einen ersten Eindruck. Bild: Julia Trachsel

Nicht ohne Humor

«Komisch» im Sinne von «lustig» wird ihr Comic nicht. «Prinzipiell gibt es schon eine Nähe von Tragik und Komik. Das Medium Comic bricht die Tragik. Und als die Protagonistin das Erlebnis des tragischen Unfalltods verarbeitet, merkt sie, wie lächerlich die Alltagssorgen sind.»

Trachsel stellt sich vor, dass man ihr Buch dereinst nicht nur einmal liest, sondern immer mal wieder zur Hand nimmt, so wie sie selbst es mit ihren Lieblings-Comics tut. «Mitunter fesseln mich einzelne Gesten, zum Beispiel in den Büchern von Judith Vanistendael.»

Im Atelier und in der Redaktion

Seit einem Jahr sitzt die 34-Jährige an ihrem Projekt. «Meist bin ich wirklich allein in meinen stillen Kämmerlein in Luzern», lacht sie. «Ich habe mich bewusst zurückgezogen, um mich zu fokussieren, aber immerhin gibt es Menschen in meinem Umfeld, denen ich Entwürfe zeigen kann und die mir ehrliches Feedback geben. Da ist schon der eine oder andere wunde Punkt zutage getreten.» Als Eremitin muss man sich die junge Frau aber nicht vorstellen – zumal sie, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, immer wieder Vertretungen in Kindergärten übernimmt.

Während ihre Graphic Novel Bezug auf persönliche, allgemein menschliche Fragen stellt, beschäftigt sich Trachsel in ihrer Tätigkeit für das Magazin «Notbremse» mit gesellschaftskritischen Themen. «Wir haben das Magazin 2020 gestartet, kurz nachdem ich mit dem Studium fertig war. Ich bin in der Redaktion und auch als Zeichnerin dabei. Und die Notbremse kommt immer schneller ins Rollen.»

 

Ausschnitt aus einer fertigen Szenen im Buch. Zeichnung: Julia Trachsel

 

Drei Förderbeiträge ermöglichen die Arbeit

Das Förderstipendium der Städte Bern, Luzern und Zürich sowie der Christoph Merian Stiftung Basel ermöglichte ihr das Comiczeichnen ernst zu nehmen und ihre Festanstellung zu kündigen. Sie habe sich riesig über diesen Preis und die damit verbundene Wertschätzung ihrer Arbeit gefreut, erzählt Julia Trachsel. «Es war vor allem Bestärkung.»

Nachdem sie sich selbständig gemacht hatte, stand sie aber automatisch vor der Herausforderung, entweder mehr Zeit in bezahlte Aufträge oder eben Stellvertretungen zu investieren, um etwas dazu zuverdienen, oder nach anderen Förderungen Ausschau zu halten, um Zeit für das Buchprojekt zu haben. Ein Stipendium von Pro Helvetia half ihr weiter.

Und nun kann sie mit Hilfe des Förderbeitrags des Kantons Thurgau die nächste Etappe angehen. «Noch bin ich auf keine Verleger zugegangen, aber ich durfte schon erste Szenen in der Öffentlichkeit zeigen, konkret auf der fumetto https://www.fumetto.ch und auch am Wortlaut Literaturfestival in St. Gallen

Dieser Schritt in die Öffentlichkeit motiviere sie. Zwar spüre sie - auch durch die Förderungen – einen Druck fertig zu werden, aber genau diesen Druck begrüsst sie wie einen Freund.

 

„Pressure is your Friend“, gestaltet von Julia Trachsel selbst.

 

Innerhalb von drei Jahren soll das Buch vollendet sein. Das hat sich die Künstlerin vorgenommen. Zuvor hatte sie sich erst klar werden wollen, welche Bildsprache am besten zu ihrer Fragestellung passe.

Nun ist das geklärt, und erste Episoden sind zu Papier gebracht. «Ich schaffe analog, mit einem Druckbleistift mit weicher Mine direkt auf dem Blatt. Das Haptische ist mir wichtig. Und ich finde es schön, dass man im Werk noch die Spuren des Entstehens sehen kann, Radierstellen oder mal einen Fingerabdruck.»

 

Die Serie zu den Förderbeiträgen

Die Serie: Alle ausgezeichneten Künstler:innen stellen wir in persönlichen Porträts vor. Sie erscheinen nach und nach in den nächsten Wochen bis zur Preisvergabe im Greuterhof Islikon am 7. Juni 2023. Alle Beiträge werden im Themendossier «Förderbeiträge» gebündelt. Dort finden sich auch Texte zu früheren Preisträger:innen.

 

Die Föredrbeiträge: Die sechs jeweils mit 25'000 Franken dotierten Förderbeiträge vergibt der Kanton Thurgau einmal im Jahr. Mit der Auszeichnung soll eine künstlerische Entwicklung ermöglicht werden. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, die sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt. „Die Anzahl und Qualität der eingegangenen Bewerbungen war in diesem Jahr ausserordentlich hoch“, schreibt das kantonale Kulturamt in einer Medienmitteilung zur Preisvergabe.

 

Die Jury: Der diesjährigen Jury gehörten an: Annette Amberg, Kuratorin; Marcel Grissmer, Theaterschaffender; Lea Gabriela Heinzer, Musikerin; Pat Kasper, Musiker; Florian Keller, Journalist und Veranstalter; Patrizia Keller, Kuratorin; Markus Landert, Direktor Kunst- und Ittinger Museum Thurgau; Carina Neumer, Tanzschaffende; Simone Reutlinger, Musikwissenschaftlerin; Karin Schwarzbek, Künstlerin; Anja Tobler, Schauspielerin; Laura Vogt, Autorin; Regula Walser, Lektorin; Julia Zutavern, Filmschaffende; sowie Michelle Geser, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kulturamts (Vorsitz).

 

 

 

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