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von Judith Schuck, 30.10.2023

Gibt es eine zweite Chance?

Gibt es eine zweite Chance?
Liebe oder Liga für Frauen. Rebellenführerin Paula ist zerrissen. | © Judith Schuck

Mit «Spiel des Lebens» setzt sich das Ensemble des Theagovia Theaters mit der Frage auseinander, welche Faktoren unsere Lebensentscheidungen beeinflussen. Die Sartre-Adaption von Michaela Bauer hat am 3. November ihre Premiere. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

«Kann man wirklich versuchen, sein Leben neu anzufangen?», fragt eine Verstorbene die just aus dem Leben zu den Toten zurückgekehrten Eva Schiller und Paula Brunner. «Versuchen Sie es ruhig», ist deren Antwort. «Spiel des Lebens», die neue Produktion des Theagovia Theaters im Theaterhaus Thurgau, ist eine Adaption von Sartres 1943 geschriebenem Drehbuch «Das Spiel ist au»s.

Die Regisseurin Michaela Bauer wollte den Stoff schon seit Längerem gerne umsetzen. Das Stück sei aber sehr komplex und «nicht leicht, Amateuren schmackhaft zu machen», denn der Verein Theagovia besteht aus engagierten Amateur-Schaupieler:innen und Regisseuren. Obwohl es um Mord, Totschlag und verpasste Liebe geht, bleibt die diesjährige Produktion humorvoll und unterhaltsam.

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

«Der Stoff ist sehr philosophisch. Unsere Umsetzung ist aber auch spannend wie ein Krimi», sagt Michaela Bauer über ihre Inszenierung frei nach Sartre. «Spiel des Lebens» setzt sich mit der Frage auseinander, welche Entscheidungen man trifft, um seinem Leben Sinn zu geben.

Jean-Paul Sartre, Mitbegründer des Existentialismus, geht mit seiner Philosophie vom Zustand des «Geworfenseins» aus. Dem Menschen ist nicht ein bestimmtes Schicksal vorbestimmt, sondern es liegt an ihm, sein Leben mit Sinnhaftigkeit zu füllen. Mit «Das Spiel ist» aus verfolgt er zunächst einen deterministischen Ansatz.

 

Tanz der Toten. Bild: Judith Schuck

Eine zweite Chance für die Liebe

Eve Charlier, die Frau eines Polizeisekretärs, und Pierre Dumaine, der Anführer einer Untergrundbewegung, erfahren nach ihrem Tod, dass sie von Geburt an füreinander bestimmt gewesen wären. Eve ist von ihrem intriganten und machtbesessenen Mann vergiftet, Pierre von Anhängern des faschistischen Regimes erschossen worden. Sie bekommen eine zweite Chance für ein Leben auf Erden, wenn es ihnen gelingt, sich innerhalb 24 Stunden zu lieben und einander volles Vertrauen zu schenken.

In «Spiel des Lebens» verkörpern Anina Bakshi als Eva Schiller und Desirée Wenger als Paula Brunner Eve und Pierre. Neben dem Klassenunterschied – Eva stammt aus einer wohlhabenden Familie, Paula ist Begründerin der Untergrundbewegung «Frauen für Freiheit» und gehört der Arbeiterschicht an –  gibt es für Evas Liebe zu Paula als weitere herausfordernde Komponente die Homosexualität.

Fokus auf Frauenrechte

Das Stück sei zeitlos. Michaela Bauer orientiert sich mit ihrer Theagovia-Produktion an der Bühnenfassung von Oliver Vorwerk, möchte aber auch mit dem Hintergrund der jüngsten Geschehnisse im Iran den Fokus auf Frauenrechte legen.

Paula kämpft mit ihren Rebellinen für Gleichberechtigung. «Sartre ging es mehr um die Unmöglichkeit der Liebe, was den Klassenunterschied von Eve und Pierre betrifft», so Bauer. «Bei uns ist das nicht so wichtig. Wir schälen die Frage heraus, was uns im Leben geformt hat und ob wir uns wirklich aus freien Stücken für einen Weg im Leben entscheiden können.»

 

Paula steht unter dem Verdacht des Verrats und wird ausgestossen. Bild: Judith Schuck

Drüben ist alles viel leichter

Während Eva eher die Romantikerin ist und an die Erfüllung ihrer Liebe zu Paula glaubt, bleibt Paula realistisch: Trotz ihrer starken Gefühle sieht sie ihre unterschiedliche Herkunft als Hindernis: «Das ist eine unmögliche Liebe, ich führe seit Jahren den Kampf gegen Ihr Milieu!» Drüben, im Reich der Toten, sei die Liebe ganz leicht gewesen, so Paula. Sie konnten sich nicht berühren, verspürten aber eine starke Anziehung. «Ich würde meine Seele verkaufen, um einmal mit Ihnen tanzen zu dürfen», sagt Eva dort.

Getroffen hatten sich die beiden in der Langassoli-Gasse, «eine lange Gasse, in der viele zusammenkommen, aber alle alleine sind», begründet die Regisseurin ihre Umbennung der ursprünglichen Languénésie-Gasse. Hier treffen sich die Frischverstorbenen, um auf die Beamtin zu warten, die den bürokratischen Akt übernimmt, sie für tot zu erklären.

Die Toten wandeln im Stück stets zwischen den Lebenden, können sie beobachten, aber nie eingreifen. Sie sind an den weissen Federn, die ihr Kostüm schmücken, zu erkennen. Diese sollen nichts Engelhaftes symbolisieren, sondern die Leichtigkeit des Todes, «wir Toten sind frei», sagt eine der Verstorbenen, erlöst von den Entscheidungen und Lasten des Lebens, enthoben von allem, frei von Ballast. «Drüben, im Reich der Toten, war die Liebe ganz leicht.»

 

Gegensätze ziehen sich an. Paula im Militärdress und Eva im Ballkleid verlieben sich im Jenseits. Bild: Judith Schuck

Die Existenz geht dem Wesen voraus

Diese Erkenntnis Paulas trifft den Kern von Spiel des Lebens. Ganz so deterministisch ist das Stück, das Sartre 1943 schrieb, dann doch nicht angelegt. 1946 veröffentlichte er seinen Aufsatz «Der Existentialismus ist ein Humanismus». Seine Aussage darin, «die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus», spricht dem Schicksal eine (göttliche) Bestimmung ab.

Vielmehr liegt es am  Menschen, die Entscheidungen zu treffen, welche Wege er im Leben einschlägt. Der Aspekt des Geformtseins, wie unsere sozialen und kulturellen Voraussetzungen Einfluss auf unsere Lebensentwürfe und Entscheidungen nehmen, wird  in dieser Aussage ebenfalls behandelt.

Für wen das Stück geeignet ist

Dass es in Michaela Bauers Adaption keine heterosexuelle Liebe, sondern eine homosexuelle ist, soll aufzeigen, was für ein «wahnsinniger Weg es für Eva ist, sich für diese Liebe zu entscheiden», erläutert die Regisseurin ihre Wahl. Es ist nicht nur die Hürde des Klassenunterschieds, das Losreissen aus einer intriganten Zweckehe voller Betrug und Verletzungen, sondern auch die Bekenntnis zur gleichgeschlechtlichen Liebe, die in ihrem konservativen Umfeld als Skandal gilt.

Die Inszenierung am Theaterhaus Thurgau feiert am 3. November Premiere. Das Stück ist sowohl für Zuschauer:innen angelegt, die einen spannenden Unterhaltungsabend suchen, denn trotz einer Dauer von rund zwei Stunden, geht das Spiel flott voran. Aber auch wer gerne ein bisschen tiefer in die aufgeworfenen Fragen eintauchen möchte, findet hier Futter. Vor allem Désirée Wenger als Rebellen-Anführerin mit einer zarten Seite, überzeugt mit einem starken Auftritt; doch auch die anderen Ensemble-Mitgliedern lassen ihre Leidenschaft für die Bühne spüren.

Die Aufführungstermine

Spiel des Lebens

Premiere: 3. November, 20.15 Uhr

Weitere Termine: 10./11./12./16./18./19./24./25./26. November sowie 1. und 2. Dezember jeweils um 20.15 Uhr im Theaterhaus Thurgau in Weinfelden.

 

Tickets für alle Vorstellungen gibt es hier.

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