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von Jochen Kelter, 19.07.2024

Identitätskrise?

Identitätskrise?
Titelblatt der zehnnten Ausgabe der Literaturzeitschrift Mauerläufer. | © Screenshot

Verliert die Literaturzeitschrift «Mauerläufer» ihr regionales Profil? Die zehnte Ausgabe des literarischen Jahreshefts legt dies jedenfalls nah. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Auf dem Titelblatt sind sich schräg gegenüber oben und unten zwei Kinderköpfe mit aufgeblasenen Backen abgebildet, dazwischen das Motto «SpiegelungenSpiele» ebenfalls einmal auf den Kopf gestellt. Dazu auf dem rückwärtigen Einband der Satz «es gibt trotzdem Ähnlichkeiten zwischen dir und dir». Ein gelungenes Vexierspiel als Motto des diesjährigen Mauerläufer.

An zehn Jahre hatten die Gründer  nach einem ganzen Jahr Vorbereitung beim Startschuss im Jahr 2014 sicherlich nicht gedacht. Acht Jahre leisteten sie unbezahlte Arbeit: ein Thema finden, Ausschreibungen formulieren, siebzig oder mehr Manuskripte lesen, sich an langen Sitzungen auf eine Auswahl einigen, das Heft gestalten, für jede Ausgabe aufs Neue Sponsoren auftreiben. Nach sieben Ausgaben war Ende 2021 Schluss.

Schweiz in der Redaktion nicht mehr vertreten

Eine neue Equipe übernahm und brachte 2022 die achte Ausgabe und nun ihr drittes Jahresheft heraus. Leider gehören der Redaktion inzwischen nur noch Deutsche an, niemand vom Schweizer Ufer, geschweige aus Vorarlberg. Das Grundkonzept ist geblieben, auch das graphische, wenn auch die phantasievolle Eva Hocke aus Oberschwaben nun an den Konstanzer Grafiker Ralf Staiger übergeben hat, der ihr Grundkonzept übernommen hat und das Design mitunter übertreibt. 

39 Autor:innen versammelt das Heft, Arrivierte und Neulinge: einen Querschnitt durch das literarische Leben rund um den See hat der Mauerläufer stets präsentiert. Acht aus der Schweiz sind diesmal vertreten und leider nur die einzige Vorarlbergerin Birgit Rietzler mit einem Mundartgedicht, das sie gleich noch ins Hochdeutsche übersetzt hat.

Neue Autor:innen aus München, Düsseldorf und Köln

Während die Schweizer alle aus der Ostschweiz stammen  - mit Ausnahme der Baslerin Gabrielle Alioth, die in Irland lebt und mit einer lakonischen Geschichte aus Neufundland aufwartet, sieht das bei den deutschen Autoren:innen anders aus: Sie leben nicht nur in der Region, sondern in Freiburg und Stuttgart, in München, Düsseldorf und Köln, so die Fotografin Sabine Tenta, die mit ästhetisch raffinierten Fotografien vertreten ist. 

Das aber scheint dem regionalen Profil nicht wirklich zuträglich. Regionale alemannische und Seeanrainer-Identität lässt sich kaum mit Autor:innen aus dem Norden oder dem schwäbischen Württemberg vermitteln.

Weit über 40 Texte in der neuen Ausgabe

Schier unmöglich, die beinahe vierzig Autor:innen mit ihren weit über vierzig Texten im einzelnen vorzustellen. Eine, sicherlich auch subjektive, Auswahl soll stattdessen ausreichen. Da ist etwa die Ravensburger Autorin Katrin Seglitz, die in ihrer Kurzgeschichte  «Auferstehung» regionale Industriegeschichte am Beispiel einer Papierfabrik in Oberschwaben, die schliessen muss und irgendwann durch eine moderne ersetzt wird, Historie mit dem Papier, also dem Schreiben zusammenbringt. Oder der Thurgauer Hans Gysi, der in seinem Gedicht  «Der Bildernagel» (oder ist es doch eine als Schriftblock gesetzte Kürzestgeschichte?)  gewohnt ironisch einen Nagel und seine Funktionen vermenschlicht.

Erwähnt sei noch die Geschichte «Die Bürokraft» von Alice Günfelder, der man anmerkt, dass die Autorin als Lektorin unter anderem beim Zürcher Unionsverlag tätig war. Oder die Gedichte der gebürtigen Brasilianerin Chandal Nasser, die inzwischen auch auf Deutsch schreibt. Ebenfalls die beiden Lyriker, der bekannte Schwabe Walle Sayer und der spärlich schreibende Schaffhauser Niels Zubler mit ihren gelungenen unkonventionellen Gedichten «Kommawaage» und «SpieLgelungen».

 

Transparenz-Hinweis: Der Autor Jochen Kelter war einer der Gründer des «Mauerläufer» vor zehn Jahren. In der aktuellen Ausgabe ist er mit einem Gedicht vertreten.

Das Magazin und die Ausstellung

Die zehnte Ausgabe des Mauerläufer ist in verschiedenen Buchhandlungen sowie über die Website erhältlich

 

Mauerläufer – Literarisches Jahresheft Nr. 10

CHF 17.- , EUR 15.-

 

Ausstellung: Öffentliche Vorstellung der neuen Ausgabe am Donnerstag, 25. Juli um 18.30 Uhr im Kulturzentrum am Münster in Konstanz. Die Mauerläufer - Ausstellung zum zehnjährigen Jubiläum dauert vom 25. Juli bis zum 29. September.

 

 

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