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In weiter Ferne so nah

In weiter Ferne so nah
Immer der Sonne entgegen: Wie zwei Thurgauer ein Museum in einer Wüstenstadt eröffneten. | © Zeitgarten.ch

Abenteuer Ägypten: Warum die beiden Thurgauer Künstler Alex Meszmer und Reto Müller ein Museum am westlichen Nilufer eröffnet haben.

Manchmal ist es besser, wenn man vorher nicht weiss, was einen hinterher erwartet. Die beiden Künstler Alex Meszmer und Reto Müller hätten sich zum Beispiel womöglich nie auf das vielleicht grösste Abenteuer ihres Lebens eingelassen, wenn sie gewusst hätten, wie kompliziert das alles werden könnte. Angefangen hat alles in den Jahren 2011 und 2012. Meszmer und Müller leiten zu dem Zeitpunkt das Transitorische Museum in Pfyn seit acht Jahren. Sie haben das Gefühl, mal raus zu müssen, neue Inspirationen zu benötigen. „Wir wollten in eine komplett andere Wirklichkeit, wir wollten unseren europäischen Blick erweitern und wissen, wie andere Menschen über Geschichte und Demokratie nachdenken“, erklärt Alex Meszmer im Gespräch mit thurgaukultur.ch Als das Künstler-Duo diese Gedanken bewegte, war der arabische Frühling ausgebrochen, Ägypten stand vor dem Umbruch, Tausende Menschen gingen regelmässig für Freiheit und Demokratie auf die Strasse. Das war der Ort, an dem Müller und Meszmer ihren Horizont erweitern wollten. Sie bewarben sich um ein Atelierspendium bei Pro Helevtia und bekamen den Zuschlag, im Herbst 2013 sollte das Abenteuer beginnen. 

Die politische Lage in Ägypten machte ihnen einen Strich durch die Rechnung, der Stiftung war die Situation zu unsicher, der geplante dreimonatige Aufenthalt wurde aufgeschoben. Erst 2014 reisen die beiden Thurgauer erstmals nach Ägypten. In Kairo schmieden sie erste Pläne, aber da wird schnell klar: Die neue politische Situation macht es schwieriger, offen über Demokratie zu reden. Die ursprünglichen Pläne lassen sich nicht wie geplant umsetzen. Was nun? Im November 2014 reisen Müller und Meszmer nach Asyut am westlichen Nilufer: 460.000 Einwohner und fast 400 Kilometer südlich von Kairo. Sie besuchen auch die Grabstätten von Meir.  

Der Blick in den Spiegel von vor 4400 Jahren

Die beiden Künstler sind besonders von einem Grab fasziniert: „Einige Wände waren mit Kohlezeichnungen bedeckt, andere mit einem Gitter aus Rötel. Wieder andere waren reliefartig bearbeitet worden und die Figuren auf den Wänden wurden lebendig und auf wieder anderen hatten die Künstler angefangen, die Figuren zu bemalen“, erzählt Alex Meszmer. Alles sah so aus, als hätten die Künstler ihre Arbeit nur kurz für eine Mittagspause unterbrochen und als kämen sie jeden Moment zurück. Das ist der Moment, in dem die beiden Thurgauer wissen, ihre Arbeit wird irgendwas mit diesem Grab zu tun haben. Die Idee wächst: „Wir konnten wie in einer visuellen Zeitschleife in einen Spiegel schauen, der unsere künstlerische Arbeit heute mit ihrer künstlerischen Arbeit vor 4400 Jahren reflektierte“, sagt Alex Meszmer.

Die Darstellungen in den Gräbern aus dem täglichen Leben in Ägypten von vor 4000 Jahren inspiriert sie: „Einige der Tätigkeiten hatten sich nicht verändert und vor allem in den ländlichen Gebieten im Niltal konnten wir Szenen beobachten, die wie aus der Zeit gefallen schienen: Handwerker und Bauern, die seit tausenden von Jahren mit ähnlichen Werkzeugen arbeiteten“, erzählt Meszmer. Die beiden Künstler wollten genau das dokumentieren und entschlossen sich dazu, das alte ägyptische Handwerk in der Gegend von Asyut filmisch zu dokumentieren. Der Alltag sollte ins Museum. Damit griffen Müller und Meszmer eine Idee auf, die sie auch schon beim Transitorischen Museum in Pfyn bewegt hatte: Auch dort hatten sie die Geschichten und Tätigkeiten der normalen Menschen dokumentiert und in ein museales Schaufenster gestellt.

Bilderstrecke 1: Die Grabzeichnungen in der Nekropole Meir

These: Vielleicht verbindet uns ja doch viel mehr als uns trennt

2015 beginnen sie mit den Dreharbeiten und filmen mehr als 20 Handwerker im Basar von Asyut und in den Dörfern der Umgebung bei ihrer Arbeit. Noch im selben Jahr machen sie dasselbe auch in Pfyn. Die beiden Künstler wollen eine Brücke schlagen zwischen den Welten - aus der Schweiz nach Ägypten. Das Ziel: Daraus lernen, dass uns bei allen Unterschieden vielleicht doch mehr verbindet als trennt. Das Problem: Sie haben so viel Material gesammelt, dass die Auswahl schwer fällt. Das Projekt gerät ins Stocken. Erst zwei Jahre später kristallisiert sich heraus, wie es weitergehen könnte. Reto Müller und Alex Meszmer gründen „El mathaf Elrahal“, das umherziehende Museum, die semantische Nähe zu den Karawanen ist bewusst gewählt. Die offizielle Vorstellung des Museums soll in Asyut mit Präsentation des Films über Handwerk in Asyut und Pfyn stattfinden. 

Zwischendrin sieht es nicht so aus, als würde es jemals klappen, aber Alex Meszmer und Reto Müller haben sich da schon an die ägyptischen Verhältnisse gewöhnt: „Am Anfang sieht es so aus, als würde es nie im Leben funktionieren, am Ende funktioniert es dann aber doch“, fasst Meszmer zusammen. 

Bilderstrecke 2: So arbeiten ägyptische Handwerker heute

Wie die feierliche Eröffnung fast doch noch schief ging

Im Dezember 2018 ist es dann tatsächlich so weit: Im Kulturpalast von Asyut wird das „El mathaf Elrahal“ eröffnet: Im Hof des Palastes ist eine Foto-Ausstellung über Handwerk in Asyut und Pfyn zu sehen, der Künstler Mark Staff Brandl zeigt Zeichnungen, ein DJ spielt Arbeiterlieder aus den 1950er Jahren, am Ende wird der Film von Meszmer und Müller gezeigt. „Das war ein sehr besonderer Moment für uns. Nach all den Jahren, nach all der Arbeit, konnten wir nun zeigen, was wir gemacht hatten“, sagt Alex Meszmer. Die Reaktionen der Besucher auf Film und Ausstellung sind für ihn Beleg dafür, dass das Konzept aufgegangen ist: „Wir haben ein nicht besonders kultur-affines Publikum erreicht, wir haben über das Projekt Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht, den Handwerkern eine Plattform geboten und altes Wissen filmisch dokumentiert“, ist der Künstler zufrieden mit dem Ausgang des jahrelangen Projektes. Auch persönlich habe ihn diese Arbeit bereichert: „Dass was wir wollten, eine ganz andere Form von Leben kennenzulernen, das ist eingetroffen“, so Meszmer. 

Wie es nun mit „El mathaf Elrahal“ weitergehen könnte, ist noch offen. Wird es weiter in Ägypten umher wandern und ähnliche Projekte in anderen Städten durchführen? Das sei eine von vielen Möglichkeiten das Ganze fortzusetzen, sagen die beiden Künstler. „Ob es jemals dazu kommt, ist aber noch offen. Das hängt natürlich auch von der Finanzierung ab“, sagt Meszmer. Bei der Stiftung Pro Helvetia gebe es aber im Prinzip Interesse das Projekt fortzuführen. Eins ist aber jetzt schon klar: Den Film, den sie in Ägypten gezeigt haben, wollen sie in den nächsten Monaten auch in ihrem Transitorischen Museum in Pfyn zeigen. Einzelne Clips daraus sollen auch fest in die Ausstellung installiert werden. Ganz im Sinne der Ursprungsidee, dass man diese beiden einander so fern scheinenden Welten, hier Ägypten, dort die Schweiz, annähert. Es wäre gewissermassen die Komplettierung des Projektes: Die ideengeschichtliche Brücke zwischen Asyut und Pfyn wäre dann in beide Richtungen befahrbar.

Bilderstrecke 3: Szenen vom Eröffnungsabend (11.12.18)

 

 

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