11.09.2018
Dem Jugendorchester fehlt der Nachwuchs
Gabriel Estarellas Pascual ist seit 10 Jahren Dirigent des Jugendorchester Thurgau. Im Interview zieht er jetzt eine Bilanz.
Herr Estarellas, Sie sind seit 10 Jahren Dirigent des Jugendorchesters Thurgau. Früher hiess dieses erfolgreiche Orchester Jugendorchester Oberthurgau. Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe?
Ich wurde eingeladen, als Solist mit dem Orchester aufzutreten und es ergab sich die Gelegenheit, ausser den Konzerten in der Schweiz auch mit auf eine Tournee ins Ausland zu gehen, wo ich die Arbeit mit einem Jugendorchester aus nächster Nähe miterleben durfte. Der damalige Dirigent des Jugendorchesters Oberthurgau, Martin Sigrist, wurde kurz darauf pensioniert und wollte das Orchester jemandem übergeben, der es wie er auch mit Leib und Seele weiterführen würde. Er fragte mich, ob ich Lust hätte, das Orchester zu übernehmen und ich war sofort mit Begeisterung dabei. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, der sich gelohnt hat.
Was haben Sie damals für ein Orchester übernommen?
Vor 10 Jahren habe ich ein reines Streichorchester mit 30 Jugendlichen übernommen, welches unter der Leitung von Martin Sigrist schon eine Erfolgsgechichte von über 40 Jahren verzeichnen konnte. Als Gewinner von zahleichen Preisen und Auszeichnungen und mit Konzerten im In- und Ausland, galt das Jugendorchester Oberthurgau schon lange als fester Bestandteil des Kulturlebens im Kanton Thurgau. Diesen Status wollte ich auf jeden Fall weiterführen.
Wie hat sich das Orchester in den letzten 10 Jahren weiterentwickelt?
Aus dem reinen Streichorchester von ca. 30 Musikern ist ein Sinfonieorchester von über 60 Musikern geworden. Es spielen mittlerweile auch Studenten von verschiedenen Hochschulen der Schweiz, Deutschland und Österreich und Schüler von der Begabtenförderung Thurgau mit und das Orchester hat ein sehr hohes, fast professionelles Niveau erreicht. Dazu tragen auch die Wahl der Programme mit bedeutenden Werken der Orchesterliteratur und die Zusammenarbeit mit namhaften Solisten bei. Gleichzeitig hat sich auch hinter den Kulissen viel getan: der Vorstand wurde aufgrund der Grösse des Orchesters und dem damit verbundenen Mehraufwand erweitert und professioneller gemacht und damit die logistische Infrastruktur verbessert.
«Mir gefällt vor allem die Energie und die Begeisterung der Jugendlichen.»
Gabriel Estarellas Pascual, Dirigent
Was reizt Sie an der Arbeit mit einem Jugendorchester besonders?
Mir gefällt vor allem die Energie und die Begeisterung der Jugendlichen, mit der sie Musik machen und die sowohl mich als Dirigent als auch das Publikum mitreissen. Die Arbeit mit dem Jugendorchester ist für mich in dem Sinne nicht Arbeit sondern Spass! Ausserdem lassen die Unvoreingenommenheit und Flexibilität der jungen Musiker viel Raum für die musikalische Gestaltung.
Wie sieht es mit dem Nachwuchs für das Orchester aus?
Leider ist das ein sehr schwieriges Thema im Kanton Thurgau und zwar aufgrund von mangelnder Unterstützung und Zusammenarbeit der Musikschulen und den Musiklehrern. Es gibt zwar Ensembles als Vorbereitung für das Jugendorchester Thurgau und ebenfalls Musiklehrer, die ihre Schüler für das Orchesterspiel motivieren aber es sind nicht genug für die jetzige Grösse des Orchesters.
Heute gibt es ja auch Kammermusikkurse und Meisterkurse. Was steckt da für eine Idee dahinter?
Die Idee ist, durch die Kammermusikkurse das Zusammenspiel, die Präzision, den Klang, die Eigeninitiative und Verantwortung in der Zusammenarbeit als Gruppe und die Fähigkeit, aufeinander zu hören, zu fördern, um dadurch eine Verbesserung des technischen und musikalischen Niveaus des Orchesters zu erreichen. Immer am Ende des Frühlingssemesters wird ein Kammermusik-Meisterkurs mit einem erfahrenen Musiker veranstaltet, damit die Jugendlichen die Möglichkeit haben, ein Feedback für ihre Arbeit zu erhalten. Im anschliessenden Schlusskonzert werden die vorbereiteten Werke dem Publikum präsentiert und so das Vorspielen trainiert. Ausserdem werden Meisterkurse mit den eingeladenen Solisten angeboten, welche den Jugendlichen die Gelegenheit geben, von einem international bekannten Solisten unterrichtet zu werden. Natürlich handelt es sich dabei um ein Orchesterinstrument und die Idee ist, auf dem eigenen Instrument weiterzukommen und dies dann auch ins Orchesterspiel einfliessen zu lassen.
«Leider ist das ein sehr schwieriges Thema im Kanton Thurgau und zwar aufgrund von mangelnder Unterstützung und Zusammenarbeit der Musikschulen und den Musiklehrern.»
Gabriel Estarellas Pascual, Dirigent, über den fehlenden Nachwuchs im Orchester
Welche Höhepunkte durften Sie mit dem Orchester erleben?
Ehrlich gesagt, gab es bereits viele Höhepunkte, die ich mit dem Jugendorchester Thurgau erleben durfte. Da wäre zum Beispiel die Tournee nach Alicante, Spanien. Oder das 50-jährige Jubiläum des Orchesters welches auch gleichzeitig die Premiere in sinfonischer Besetzung war. Ebenso das erste Mal in der Tonhalle St. Gallen mit der 9. Sinfonie von Dvorak und dem Klavierkonzert von Grieg oder die äusserst erfolgreiche Tournee in Neubrandenburg in diesem Sommer. Und ich hoffe, dass es noch viele schöne Momente geben wird.
Im September spielt das Jugendorchester Thurgau in Arbon, St. Gallen und Frauenfeld. Warum darf man dieses Konzert nicht verpassen?
Ein Jugendorchester mit so einem Programm zu hören, schon alleine das ist ein Erlebnis, das man nicht verpassen sollte! Dann das Programm an sich mit dem Cellokonzert von Dvorak, eines der Schönsten und meistgespielten Cellokonzerten, gespielt vom namhaften Solisten Thomas Grossenbacher, und die 5. Sinfonie von Tschaikowsky, die zu den beliebtesten Sinfonien des russischen Komponisten zählt. Ausserdem ist es das erste Mal, dass diese Werke von einem Jugendorchester im Kanton Thurgau interpretiert werden. Es lohnt sich, zu sehen und zu hören, dass dies auch im Thurgau möglich ist! Der wichtigste Grund aber, dieses Konzert nicht zu verpassen, ist es, die Jugendlichen in ihrem Tun zu unterstützen und ihre ausserdordentliche Leistung zu würdigen!
Hinweis: Dieses Interview wurde uns vom Jugendorchester Thurgau zur Verfügung gestellt.
Video: So klingt das Jugendorchester Thurgau
Die nächsten Konzerte:
Das Jugendorchester Thurgau spielt am Samstag, 15. September, in der Tonhalle St. Gallen. Beginn ist um 19.30 Uhr. Einen Tag später, am Sonntag, 16.September, 17 Uhr, ist das Orchester in der Evangelischen Stadtkirche in Frauenfeld zu hören. Das Programm ist bei beiden Konzerten identisch: Antonín Dvorák Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104 Pjotr Iljitsch Tschaikowski Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 Jugendorchester Thurgau Gabriel Estarellas Pascual, Dirigent Solist: Thomas Grossenbacher, Solo-Violoncello. In Weinfelden gastiert das Jugendorchester am Sonntag, 23. September, 10 Uhr, in der Cello-Masterclass mit Thomas Grossenbacher in der Musikschule Weinfelden, Ringstrasse 4, 8570 Weinfelden.
Das ist das Jugendorchester Thurgau
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