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von Ute Klein, 07.09.2023

„Meine Arbeit ist wie ein beständiges Intervalltraining“

„Meine Arbeit ist wie ein beständiges Intervalltraining“
Ute Klein schreibt zu diesem Foto: «Zu fortlaufend kam mir meine Arbeit 'up and down',1998, in Erinnerung: ein 18m langes 18cm hohes doppeltes Band, auf Brusthöhe durch den Raum führend, orange und blaue Farbe auf Wand, Verbindungskreuze geklebte Fotoausschnitte, Laios Gallery, Budapest, hier Abbildung in der Publikation zum Adolf Dietrich Preis 1999» | © Ute Klein

Mein Leben als Künstler:in (13): Die Malerin Ute Klein über den Unterschied zwischen suchen und ausführen und das ewige Pendeln zwischen Struktur und Rhythmus. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Über mein Leben könnte ich schreiben, in dem ich einen Tagesablauf schildere. Allerdings habe ich nicht einen typischen Tagesablauf, sondern grob mindestens zwei, gefühlt sehr unterschiedliche: suchen und ausführen. 

Zeitlich sind die Abläufe ähnlich: unspektakulär normal, auch durch das familiäre Zusammenleben mitbestimmt, dabei hilft, dass ich Tageslicht zum Arbeiten liebe.

Ein regelmässiger Tagesablauf hilft mir in vagen Zeiten des Suchens. Im Ausführen oder wenn es läuft, sogar wenn sich die Termine türmen, kann ich recht gut umplanen, zwischenschieben oder verlängern. Da kann auch mehreres parallel laufen. Auch alltägliche Pflichten oder Bürokram finden dann fast locker eine Lücke.

 

Kunstverein Frauenfeld 2023 uniting

«Unfertige Sachen zeige und bespreche ich höchstens mit Vertrauten, da die Blicke und Fragen und Kommentare zu früh eingreifen.»

Ute Klein, Malerin

In den diffus kribbeligen 'Nochnichtwissenszeiten' mag ich keine Störungen, obwohl ich dann scheinbar nichts mache, irgendwie im Nichts festhänge oder schwimme und erst im Nachhinein sehe, was sich neu konstellierte. Dann stützen und schützen meine 'Bürozeiten'.

Dieses neblig und doch ausufernd weite Herantasten an Neues muss nicht im Atelier passieren, auch nicht unbedingt allein, aber ich muss dranbleiben, obwohl der Zustand eher unangenehm ist.

'Ausführungen' sind so Differentes wie eine Ausstellung vorbereiten, eine Projekteingabe schreiben, Kunst am Bau Arbeiten oder malen. Selbstverständlich ist auch da noch viel entwickeln mit vor und zurück, verwerfen und neu anfangen dabei: Krisen, Durststrecken und Freuden, aber das jeweilige Ziel ist klar(er). Oder beim Malen die Formate oder das Material oder die übergreifende Fragestellung der Serie. 

Die grosse Freiheit. Oder: fast Nichts.

Zu dem Unterschied von suchen und ausführen, kommt die enorm unterschiedliche Dichte von Projekten: Nach einem prallgefüllten Jahr voll intensiver, sehr diverser, guter Projekte, die geplant waren oder unverhofft dazukamen oder zufällig nach drei oder neun(!) Jahren zum ausführenden Abschluss kamen, habe ich jetzt fast Nichts. Oder die grosse Freiheit. Je nach Blickwinkel.

Jetzt kann ich aufatmen, muss Liegengebliebenes aufarbeiten, und darf mich vertiefen, selbst Noten und Takt angeben. Muss aber auch beides wieder finden. 

Ich liebe den Wechsel vom Reagieren auf Anderes (Räume, Aufgaben, Menschen) zum vertieften Verfolgen meiner Malerei, aber Rhythmuswechsel können auch fordernd wie Intervalltraining sein. Intervalltraining ist leistungssteigernd, weil weckend und anregend und fordernd, aber wie alles: nur in der richtigen Dosierung und im richtigen Moment.

Die Lust auf Neues

Mein Schreiben dieser Kolumnen passt zeitlich gut, allerdings habe ich jetzt ausgeatmet und eingeatmet, habe reflektiert, das gerade nötig scheinende dokumentiert und das im Weg stehende aufgeräumt, jetzt habe ich Lust auf Neues. 

Ich möchte mich meiner Malerei zuwenden. Ob das Übermalen, Ausmisten, weiter Malen oder eine Kombination davon ist und womit, worauf und wie das genau aussehen wird, ist noch nicht spruchreif.

«Was zuerst missglückt scheint, ist einfach so neu, dass auch ich Zeit brauche, es als wertvoll zu erkennen und anderes ist anfänglich cool und stellt sich als verpuffender Effekt heraus.»

Ute Klein, Malerin

Natürlich habe ich die letzten Jahre auch gemalt, aber mein Malen war vielfach unterbrochen. Ich brauche Unterbrüche zum Trocknen der Schichten, aber auch zum Schauen wie weiter. Wenn ich die Trocknungszeiten ausser Haus verbringe, auf Baustellen oder in Ausstellungen, so bin ich mit Kopf und Augen auswärts der neu entstehenden Malerei. Jetzt möchte ich gerne tiefer eintauchen.

Und damit rückt eine weitere Facette (oder Zweiseitigkeit) meines Tuns in den Fokus: es gibt das Machen und das Zeigen oder etwas genauer: das Suchen-Entwickeln-Ausführen und das Zeigen-Beschreiben, beides gleichzeitig geht nicht. Auch Performer:innen können nicht gleichzeitig eine Performance entwickeln, aufführen und beschreiben.

 

Coming soon, diese Arbeit wird bald in Frauenfeld zu sehen sein. Bild: Ute Klein

 

Warum die entschiedene Auswahl wichtig ist

Voll im Jetzt sein und beobachtend beschreiben geht nicht gleichzeitig*, das Beobachten und reflektierende Schreiben beeinflusst das Tun, ich bin zwischen meinen Farben und Fragen und gleichzeitig hinter meiner Schulter oder weit über mir.

Daher lass ich aus, was jetzt grad im Atelier stattfindet oder stattfinden wird.

Mir ist zeigen können sehr wichtig, aber ich finde es auch wichtig, dem Wachsenlassen Zeit und geschützten Raum zu geben und nicht gleich jedes Zwischenresultat ins grelle Licht auf eine der vielen Waagen zu legen. Im Zeigen ist entschiedene Auswahl so wichtig wie beim Malen.

Raus aus dem Aktualitätspingpong

Unfertige Sachen zeige und bespreche ich höchstens mit Vertrauten, da die Blicke und Fragen und Kommentare zu früh eingreifen, vielleicht vergleichbar mit einem unfertigen Satz, dessen Aussage sich noch verändern kann. Wenn ich in meiner letzten Kolumne das Entstehen der Wandmalereien beschrieb, wo teils Leute zuschauten, so ist das etwas anders, da sie mich 'nur' auf dem Weg begleiten. 

Bei der Frage, ob ich wirklich fertig bin, da waren die Bauarbeiter längst nach Hause gegangen. Fertig oder noch nicht fertig, sehe ich nicht immer sofort, manches, was zuerst missglückt scheint, ist einfach so neu, dass auch ich Zeit brauche, es als wertvoll zu erkennen und anderes ist anfänglich cool und stellt sich als verpuffender Effekt heraus.

Vertiefen, weiterentwickeln und dranbleiben sind für mich grosse Qualitäten. Statt mich im schnellen Aktualitätenpingpong und Aufmerksamkeitswettbewerb zu verausgaben, gehe ich zu meinen Zeiten ins Atelier und bin gespannt, was passiert. Damit laufe ich Gefahr vergessen zu gehen und aufs Abstellgleis geschoben zu werden, aber bisher ging noch immer im richtigen Moment eine gute Tür auf. 

*Heisenbergs 100-jährige Unschärferelation der Quantenmechanik: 'man kann nicht gleichzeitig den Ort eines Teilchens messen und die genaue Geschwindigkeit seiner Bewegung.'

 

Die Serie «Mein Leben als Künstler:in»

Im Juni 2023 lancieren wir die neue Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in». Darin schreiben die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Diese vier Künstlerinnen und Künstler schreiben bis Ende Oktober 2023 regelmässig und abwechselnd ihre Kolumnen für die neue Serie. Sie erscheint ab dem 15. Juni immer donnerstags. Die Vorgaben, die wir aus der Redaktion gemacht haben, waren minimal. In Thema, Stil, Darstellungsform, Tonalität und Medialität sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen können sich aufeinander beziehen, müssen es aber nicht.

 

Eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen, die die Künstler:innen beschäftigen, wie den Bedingungen des Kulturbetriebs oder auch mit dem Kulturleben im Thurgau oder was auch immer, ist genauso möglich wie eine Schilderung des Alltags. Ziel der Serie ist es, ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Künstler:innen-Leben zu bekommen.

 

Idealerweise entsteht so ein Netz aus Bezügen - interdisziplinär und umspannend. Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.

 

Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.

 

Was wir uns als thurgaukultur.ch auch erhoffen mit der Serie ist, dass ein neuer Dialog der Kulturschaffenden untereinander entsteht, aber nicht nur. Es soll auch ein Austausch mit dem Publikum, also unseren Leser:innen stattfinden. Das geht über unsere Social-Media-Kanäle, in denen wir direkt miteinander diskutieren können oder in der Kommentarspalte zu den einzelnen Beiträgen auf unserer Website. Wenn du konkrete Fragen an die teilnehmenden Künstler:innen hast, wenn dich ein Themenfeld besonders interessiert, dann kannst du mir auch direkt schreiben, ich leite dein Anliegen dann gerne weiter: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch 

 

Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.

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