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von Ute Klein, 10.08.2023

«Räume faszinieren mich!»

«Räume faszinieren mich!»
Alles fliesst: Kunst am Bau von Ute Klein: present, (Parterre, Haus 17), 2 x 7 Wandmalereien auf Sichtbeton in den gemeinschaftlichen Treppenhäusern von zwei Wohnblöcken mit Eigentumswohnungen in Arbon. | © Ute Klein

Mein Leben als Künstler:in (9): Die Malerin Ute Klein über Wettbewerbe, Niederlagen und was man bei Kunst-am-Bau-Projekten lernen kann. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Als Jugendliche wollte ich mal Bildhauerei studieren. Von dem Wunsch liess ich mich abbringen, aber in meiner Malerei geht es viel um Bewegung im Raum, um Farbraum oder um Übergänge von einem räumlichen Sehen ins andere. 

Räume faszinieren mich, sprechen mich an oder verlangen Antworten.

Auseinandersetzungen mit Räumen fordern mich heraus: daher interessieren mich auch Arbeiten im öffentlichen Raum, Kunst am Bau oder ortsspezifische Arbeiten. Räume sind nicht nur architektonisch oder geschichtlich unterschiedlich, sondern auch bezüglich Energieeffizienz oder Funktion: Welche Menschen arbeiten oder sind dort, in welchem Zustand kommen sie dorthin, wofür? Ob ich eine Arbeit für eine Primarschule oder ein Pflegeheim entwerfe, wirft andere Fragen auf, bestimmt meinen Ansatz zentral. Das sind meist Wettbewerbe: ich muss meine Entwurfsidee samt vorgesehener Umsetzung und Kosten der Jury schriftlich und/oder mündlich vorstellen. 

Jeder Wettbewerb ist anders

Solche Wettbewerbseingaben sind höchst intensive geistige Vorstellungs-turn-übungen. Oft existieren vom Bau erst Pläne, oder es wird einem ein Gebäude gezeigt, das nach dem vorgesehenen Umbau komplett anders aussehen, anders erschlossen, anders im Umfeld eingebettet sein wird. 

Was in einem Kindergarten oder einem Spital passiert, kann man sich vorstellen, anlesen oder erfragen, aber ich wurde auch schon für einen Wettbewerb eingeladen für ein Wohnheim für beeinträchtigte Erwachsene mit herausforderndem Verhalten. Ein Ort, wo diese teils jungen Menschen in offenen und geschlossenen Wohngruppen leben. Leben können, aber auch leben müssen, da wir/unsere Gesellschaft sie nirgends sonst ertragen! 

 

'fliessendes', Wandmalerei von Ute Klein vor Konferenzräumen Spital Frauenfeld, 2022. Bild: Eva Rugel

Die grosse Frage: Was kann Kunst?

Dabei habe ich Einblick in Lebenswirklichkeiten bekommen, die mich tief berührten. Etwas zu finden, das diese Menschen jahrein jahraus um sich haben werden, erzeugt eine grosse Dringlichkeit ein gutes Projekt zu finden und stellt mich vor die grossen Fragen, was Kunst kann und was ich beitragen kann.

Bei den Wettbewerben ist es wie im Sport: man gewinnt nicht immer. Und bei Kunst am Bau starten zusätzlich nicht alle in derselben Disziplin, sondern da werden ganz unterschiedliche Ideen verglichen und es wird gewählt, was am besten passt oder am meisten verspricht zu passen. 

Der Schmerz der Niederlage

Nicht zu gewinnen, tut weh: Auftrag/Verdienst gingen flöten, Ego gekränkt und last but not least und anders als im Sport: diese Idee kann nicht umgesetzt werden. Von der Idee zur Ausführung lernt man viel, denn sogar, wenn Idee und Ausführung ähnlich aussehen, war mein Weg dorthin noch nie geradlinig. Beim Machen zeigen sich neue Fragen. Manchmal ist die Idee so wichtig, dass sich Teilchen davon anderswo Terrain zum Wachsen suchen.

Von der Idee zur Ausführung vergehen manchmal Jahre, die Arbeit muss ausgeführt werden, wenn der Bau so weit ist: Für das Spital Frauenfeld habe ich im Winter 2013 am offenen Wettbewerb teilgenommen, kam in die zweite Runde, wo man die Idee genauer ausgearbeitet vorstellt, und wurde im September 2013 für die Ausführung zweier Wandmalereien ausgewählt (zusammen mit vier Künstlern und ihren Vorschlägen). Die Malerei im Empfang durfte ich Ende 2019 ausführen, die vor den Konferenzräumen letzten November, mehr als neun(!) Jahre nach der ersten Ideenskizze. Die Räume mussten erstmal gebaut werden! 

Auf einer Baustelle künstlerisch arbeiten

Manchmal kommt die Ausführung aber auch sehr schnell: Im Februar hatte ich eine länger geplante Einzelausstellung im Kunstverein Frauenfeld. Dann habe ich im Herbst einen Wettbewerb gewonnen, mein Projekt 'present', 14 Wandmalereien in den Treppenhäusern von zwei 7-stöckigen Neubauten, musste aber ab Januar bis Mitte Februar ausgeführt werden! 

Nach Ausstellungsaufbau, Vernissage und Führungen im Kunstverein direkt ab auf die Baustelle: Mitten im Winter ins ungeheizte Treppenhaus allen Handwerkern vor Augen oder gar im Weg, in Kälte und Staub, zwischen Radio-, Maschinenlärm und verschiedenste Sprachen. 

 

Das Projekt "present", (3.Stock, Haus 19), 2 x 7 Wandmalereien auf Sichtbeton in den gemeinschaftlichen Treppenhäusern von zwei Wohnblöcken mit Eigentumswohnungen, Arbon. Bild. Ute Klein

Auf Sichtbeton malen zu dürfen, begeistert mich

Sogar mit Thermowäsche, Mütze und speziellen Handschuhen, ist es eisig, wenn man mit ruhiger Hand und feinem Pinsel präzise Linien auf Sichtbetonwände malt, während Bauarbeiter schwitzend schwere Teile transportieren, daher Türen unten und oben offenlassen und die Minus Temperaturen durchs Treppenhaus strömen... 

Egal wie kalt, direkt auf Sichtbeton malen zu dürfen, begeistert mich.

Dieses Arbeiten auf dem Bau finde ich spannend, von der Ausführung auf anderem Material, der Zusammenarbeit mit Fachleuten bis zum jeweils baustelleneigenen Arbeitsklima, und den völlig anderen Arbeitsbedingungen als in Atelier oder Kunstraum. Wenn Fabian von seinen Welt-Tourneen schreibt, so erlebe ich hier ähnliches: Ausstellungsaufbau und Wandmalerei brauchen viel Vorbereitung und zwischen Galerie und Bau liegen Welten: auch Reisen, meine Reisen.

Die Reaktionen sind oft sehr direkt

Anfangs werde ich auf dem Bau als Fremdkörper beäugt, mit der Zeit ergeben sich Kontakte, obwohl oder weil ich nur still und konzentriert male, einfach sichtbar meine Arbeit ausführe, nicht nur im Weg bin mit meiner Leiter, sondern langsam etwas entsteht. 

Es wird sehr direkt gefragt und kommentiert, manchmal flapsig schnippisch, manchmal interessiert, ab und zu wunderschön. Wenn jemand wildfremdes im Übergwändli hinter einem stehen bleibt, gefühlt ewig still zuschaut und dann völlig überraschend und mit ruhiger Überzeugung sagt 'das chunt guet', dann tut das sehr gut.

Die Serie «Mein Leben als Künstler:in»

Im Juni 2023 lancieren wir die neue Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in». Darin schreiben die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Diese vier Künstlerinnen und Künstler schreiben bis Ende Oktober 2023 regelmässig und abwechselnd ihre Kolumnen für die neue Serie. Sie erscheint ab dem 15. Juni immer donnerstags. Die Vorgaben, die wir aus der Redaktion gemacht haben, waren minimal. In Thema, Stil, Darstellungsform, Tonalität und Medialität sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen können sich aufeinander beziehen, müssen es aber nicht.

 

Eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen, die die Künstler:innen beschäftigen, wie den Bedingungen des Kulturbetriebs oder auch mit dem Kulturleben im Thurgau oder was auch immer, ist genauso möglich wie eine Schilderung des Alltags. Ziel der Serie ist es, ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Künstler:innen-Leben zu bekommen.

 

Idealerweise entsteht so ein Netz aus Bezügen - interdisziplinär und umspannend. Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.

 

Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.

 

Was wir uns als thurgaukultur.ch auch erhoffen mit der Serie ist, dass ein neuer Dialog der Kulturschaffenden untereinander entsteht, aber nicht nur. Es soll auch ein Austausch mit dem Publikum, also unseren Leser:innen stattfinden. Das geht über unsere Social-Media-Kanäle, in denen wir direkt miteinander diskutieren können oder in der Kommentarspalte zu den einzelnen Beiträgen auf unserer Website. Wenn du konkrete Fragen an die teilnehmenden Künstler:innen hast, wenn dich ein Themenfeld besonders interessiert, dann kannst du mir auch direkt schreiben, ich leite dein Anliegen dann gerne weiter: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch 

 

Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.

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