von Martin Preisser, 05.05.2009
Nah am Text - nah am Publikum
Jean Grädel ist «in» in der Thurgauer Theaterlandschaft. Aktuell in Steckborn, im Juli beim See-Burgtheater und Ende des Jahres bei der Bühni Wyfelde.
Martin Preisser
Als Jean Grädel vor zwei Jahren den Kulturpreis des Kantons Thurgau erhielt, war damals schon klar, dass diese Ehrung für ihn Aufbruch bedeutet und nicht ein Preis, nach dessen Erhalt man sich dann zufrieden zurücklehnt. Nach erfolgreichen Jahren als Theaterleiter in Zürich, an der Winkelwiese oder an der Gessnerallee, ist Grädel in seine Heimat zurückgekehrt, in den theatralen Unruhestand. «Ich war so lange Theaterleiter. Das ist ein Job mit Verschleisserscheinungen. Jetzt freue ich mich auf ein lustvolles, freies, leidenschaftliches und unbelastetes Arbeiten als Regisseur», hat er damals gesagt. Seit dem Kulturpreis ist einiges passiert. Jean Grädel hat das Freie Theater Thurgau gegründet, auch um damit ein erstes professionelles Theater im Thurgau auf die Beine zu stellen. 2008 konnte er in der ersten Inszenierung mit Yasmina Rezas «Der Gott des Gemetzels» im Steckborner Phönix-Theater viel Erfolg verbuchen, auch was die Publikumsauslastung anging. Grädels Theaterkarriere hat angefangen, als er zwanzig war und im Keller der Kreuzlinger Seeburg gespielt hat. Mit dem Freien Theater Thurgau will er seiner Heimat auch etwas zurückgeben und zeigen, dass professionelles Theaterschaffen auch in der «Provinz» möglich ist.
Dem Wort folgen
Jean Grädel macht Theater für das Publikum, nicht gegen das Publikum. «Ich möchte den Zuschauer abholen und ihm Theater bieten, das ihn nicht langweilt oder verwirrt», hat er im Gespräch einmal sein Credo zusammengefasst. Niveau ja, aber kein selbstverliebtes Regietheater oder allzu psychologische Theaterexperimente. So konkret, wie er Theater versteht, geht er auch mit den Texten um. Der Kraft des Textes auf die Spur kommen, dem Wort selbst vertrauen, das sind Sätze, die man von Grädel immer wieder hört. Gutes, konkretes Theater, das die Vorlage ernst nimmt also. «Es ist Zeichen eines guten Textes, wenn er alles über das Stück selbst aussagt. Da brauche ich als Regisseur nur dem Wort zu folgen, ohne allzu viel hinzu zu erfinden», sagt Grädel.
Schnörkelloses Theater
So ging er auf Yasmina Reza zu, so aber auch auf den Text der gerade laufenden Inszenierung von Roland Schimmelpfennigs «Die Frau von früher» im Phönix-Theater. Konkretes, schnörkelloses Theater heisst für den Regisseur, der in Gachnang daheim ist, auch seine Schauspieler dazu anzuhalten, die Figuren nicht zu erklären, sondern diese durchs Spielen unmittelbar zu erfahren und damit für den Zuschauer wirklich plastisch zu machen. Und Grädel beweist das mit der aktuellen Regiearbeit des beklemmenden Dramas von Schimmelpfennig. Kein unnötiges Pathos, Schauspieler, die realistisch und glaubwürdig sind, mit klarer und konkreter Sprache, ohne falsch verstanden «bedeutungsvoll» zu sein, das hat Jean Grädel für «Die Frau von früher» versprochen. Das Ergebnis ist ein wirklich packender Abend, der gerade durch das Fehlen jeden Brimboriums begeistert, aber auch betroffen macht.
Viel zu tun im Thurgau
Grädel hat nach seiner intensiven Zürcher Zeit jetzt auch die Kapazität, verlockende Einladungen zu Gastregien anzunehmen. Lange schon wollte See-Burgtheater-Chef Leopold Huber Jean Grädel haben. Jetzt ist Grädel mit «Im weissen Rössl» von Ralph Benatzky ab 9. Juli auf der Seebühne in Kreuzlingen als Regisseur verpflichtet worden. Statt eines Zeppelins wird für das Kreuzlinger Spiel auf dem See ein grosses Pferd die Kulisse bilden. Und auch hier unterstreicht Jean Grädel nochmals sein Konzept von Theater, das auf das Publikum zu geht: «Im weissen Rössl» soll echtes Volkstheater werden, komisch, aber nicht platt, entstaubt statt opulent. Und auch hier setzt Grädel wieder auf die Kraft des Stücks selbst: «‹Im weissen Rössl› ist eine schnelle, präzise Komödie, und ich verlasse mich auch hier auf die Qualität des Textes selbst.» Nur mit dieser Haltung, nichts komisch zu überhöhen und damit der echten Kraft des Witzes Raum zu geben, könne das wirkliche Abenteuer der leichten Musse gelingen, sagt Grädel. Der Regisseur ist momentan «in» im Thurgau. Nach dem Spiel am See in Steckborn und auf dem See in Kreuzlingen hat ihn die Bühni Wyfelde für ihre nächste Silvesterproduktion engagiert. Rückzug nach dem Kulturpreis? Mitnichten. Jean Grädel hat viel zu tun im Thurgau und will in Sachen Theater hier auch in Zukunft einiges auf die Beine stellen und etablieren.
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«Die Frau von früher» auf art-TV
Von Martin Preisser
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