von Inka Grabowsky, 12.12.2022
Neue Scheinwerfer auf alte Industriedenkmäler
Überall im Thurgau zeugen ehemalige Mühlen, Fabrikhallen oder Werkstätten vom Fleiss und Erfindergeist in früheren Zeiten. Eine schweizweit agierende Initiative will diese Orte erlebbarer machen. Mit diesem Beitrag starten wir eine Mini-Serie zur Industriekultur im Thurgau. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Melanie Mock war dem Charme alter Industriegebäude spätestens dann erlegen, als sie 2017 gemeinsam mit einer Gruppe von Künstlern eine alte Spinnerei mit Klängen und Schauspiel wieder zum Leben erweckte. «Das war mein erster beruflicher Kontakt zum Thema», sagt die Szenografin. «Aber ich bin im Zürcher Oberland aufgewachsen. Dort gab es früher überall Spinnereien und Webereien, deren Niedergang ich zum Teil noch mitbekommen habe.»
Insofern rannte Hanna Gervasi, die Projektleiterin von industriekultur.ch, offene Türen ein, als sie Melanie Mock anfragte, mit ihr gemeinsam ein Konzept beim Wettbewerb «Kulturerbe für alle» vom Bundesamt für Kultur einzureichen. «Wir gewannen dabei eine Anschubfinanzierung, mit der sich in den ersten Jahren ein 10- bis 20-Prozent-Pensum decken liess. Im Anschluss haben wir dann selbst Fundraising betrieben, um das Kapital zur Weiterentwicklung des Projekts zusammenzubringen.»
Seit 2018 also gibt es «Industriekultur Spot» unter dem Dach der Schweizerischen Gesellschaft für Technikgeschichte und Industriekultur.
Wie die Initiative arbeitet
«Praktisch sieht unsere Arbeit so aus, dass wir Industriedenkmäler aufsuchen und den Betreiberinnen oder Besitzern ein kostenloses Erstgespräch anbieten», so Mock. «Üblicherweise sprudeln dabei die Fragen: Wir von Spot wollen alles über das Objekt wissen. Die Betreiber hingegen wollen wissen, wie wir helfen können.»
Oft treffen die Spot-Berater auf einen Verein, der sich über Jahre um den Erhalt eines Industriedenkmals gekümmert hat. «Der Betrieb und insbesondere die Vermittlung des instand gestellten Hauses werden mitunter etwas vergessen. Damit aber ein Denkmal langfristig gepflegt wird, muss es von der ‹alten› Mühle, Werkstatt oder Fabrik für die Anwohner zu ‹unserer› Mühle, Werkstatt oder Fabrik werden. Die Menschen müssen Geschichten und Erlebnisse mit dem Denkmal verbinden, um sich damit zu identifizieren. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, sind teilhabe-orientierte Vermittlungsprojekte, die Faszination wecken.»
«Der Betrieb und insbesondere die Vermittlung des instand gestellten Hauses werden mitunter etwas vergessen.»
Melanie Mock, Initiative «Industriekultur Spot» (Bild: Stefan Kubli)
Spot betrachtet sich in diesem Zusammenhang als Impulsgeber. «Manchmal mündet eine Kontaktaufnahme in ein Projekt, bei dem wir dann – je nach Aufwand - bezahlt werden.» Hauptanliegen ist aber nicht die Generierung von Aufträgen für die Szenografin, sondern ein Überblick über die Situation der Industriedenkmäler der Schweiz.
Um herauszufinden, welchen Herausforderungen die Betreiber oder Besitzerinnen gegenüberstehen, haben Melanie Mock und ihr Kollege, der Kulturvermittler und Ausstellungsmacher Martin Handschin, einen umfangreichen Fragebogen entwickelt. «Auf Basis der Antworten können wir diverse Zukunftsszenarien oder Visionen erarbeiten. Oft sind es die am wenigsten entwickelten Schauplätze, die uns am meisten inspirieren.»
Die grosse Frage: Wie kann man den alten Raum erlebbar machen?
Die Spot-Berater achten auf Details: Gibt es eine Ausstellung mit Text? Wenn ja, ist er nüchtern und technisch oder erzählt er eine Geschichte? Ist der fragliche Raum vielleicht geeignet für einen Audio-Walk? Über das Ohr Atmosphäre zu schaffen sei relativ leicht realisierbar, so die Expertin.
Eine andere Frage lautet: Kann man den Raum bei einem einmaligen Anlass in Szene setzen, also zum Beispiel eine Führung mit Schauspieler:innen in Kostümen organisieren? «Aus unserem Netzwerk können wir bei Bedarf für Industriekultur sensibilisierte Fachleute aufbieten, die in der Lage sind, solche Vermittlungsprojekte auf die Beine zu stellen», sagt Melanie Mock.
Wichtig: Raus aus dem eigenen Tunnelblick
Der Blick von aussen wirkt einem Grundproblem vieler Industriekultur-Pflegenden entgegen: «Es sind oft kleine, ehrenamtlich agierende Teams, die im eigenen Saft schmoren. Nicht selten sind pensionierte Männer mit grossen Fachkenntnissen aktiv. Sie sprechen mit ihrer Art von Vermittlung vielleicht eine oder zwei Zielgruppen an. Unsere Kollegen und Kolleginnen aus der professionellen Vermittlung können hier eine differenziertere Perspektive einbringen.»
Melanie Mock ist bewusst, dass sich immer weniger Menschen für ein längerfristiges ehrenamtliches Engagement zur Verfügung stellen. «Das muss man akzeptieren und stattdessen Gefässe für eine temporäre Mitwirkung neben der Kerngruppe schaffen. Das funktioniert dann, wenn man offen ist. Wer eine junge Theatergruppe einlädt oder den Frauenverein anfragt, der muss auch deren Impulse für den Ort akzeptieren. Ohne Loslassen geht es nicht.»
Die Angst um kostbare technische Exponate müsse man bewältigen. «Es gibt keine Patentrezepte», so Mock. «Man muss die beste Lösung für das jeweilige Industriedenkmal durch Ausprobieren finden.»
Wie man das alles finanzieren kann
Da die Profis bezahlt werden müssen, braucht es gegebenenfalls ein Fundraising für das Projekt auf Seiten der Betreiber. Auch da berät Spot. Die Experten wissen, wo es Fördertöpfe gibt. «Aber unserer Erfahrung nach wirkt die Solidarität unter Nachbarn am besten. Oft raten wir: Fragt bei euch im Dorf. Oder fragt Unternehmen, die noch auf dem Geschäftsfeld aktiv sind, auf das sich euer Haus bezieht.»
Sollte sich doch kein Budget auftreiben lassen, so können die Betreiber selbst für neue Blickwinkel sorgen. «Eine einfache Möglichkeit ist zum Beispiel, das Gespräch mit den Lehrpersonen vor Ort zu suchen. Schulklassen haben eigene Bedürfnisse, auf die man eingehen kann.» Jedes Angebot liesse sich mit etwas gutem Willen anpassen.
«Wir kommen nicht, um alles zu musealisieren. Auch eine Umnutzung hat das Potenzial, Geschichte zu vermitteln.»
Melanie Mock, Initiative «Industriekultur Spot»
Nicht jede verlassene Industriehalle kann im Originalzustand erhalten bleiben. Das sieht sogar Melanie Mock so. «Wir kommen nicht, um alles zu musealisieren. Auch eine Umnutzung hat das Potenzial, Geschichte zu vermitteln.» Dem Steckborner Phönix-Theater sieht man seine Vergangenheit als Pumpenhaus immer noch an.
Die Schuhfabrik in Märwil oder die Schifflistickerei in Balterswil wurden dieses Jahr zur Galerie, ohne vorher Museum gewesen zu sein.
«Architektonische Erinnerungskultur bedeutet zunächst, die jeweilige Halle wenigstens zu erhalten und auf ihre Geschichte hinzuweisen. Bei der Umsetzung gibt es ein weites Spektrum», so Mock.
Video: Auch eine Form von Umnutzung: Was heute in Bunkeranlagen passiert
Die Serie geht weiter
In den nächsten Wochen werden wir hier drei Thurgauer Industriedenkmäler gesondert vorstellen.
Die Mechanische Werkstätte Wiesental in Eschlikon
Das Museum Telephonica im Greuterhof in Islikon
Die «Alte Säge» in Tägerwilen
Alle Beiträge bündeln wir im Themendossier «Industriekultur».
Von Inka Grabowsky
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