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von Maria Schorpp, 16.06.2022

Neuer Ort, alter Spirit?

Neuer Ort, alter Spirit?
Am vergangenen Samstag ist das Theater an der Grenze von der Hauptstrasse 55a in Kreuzlingen ins Schiesser-Areal an der Hafenstrasse umgezogen. Selbstredend mit viel Spektakel. | © zVg

An der Kreuzlinger Hauptstrasse ist für das Theater an der Grenze endgültig der Vorhang gefallen. Jetzt stellt sich die Frage: Wie lässt sich die im alten Schuppen reichlich vorhandene Theateratmosphäre in ins Kult-X mitnehmen? (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Das Theater an der Grenze dürfte weltweit zu den ganz wenigen Bühnen gehören, in denen es zu diesen ganz ausserordentlichen Begegnungen zwischen den Künstlerinnen und Künstlern und ihrem Publikum kam.

Wollte solch eine Person der darstellenden Zunft beispielsweise vor ihrem Auftritt im Schuppen an der Kreuzlinger Hauptstrasse vorsorglich noch einmal die Toilette aufsuchen, konnte es sein, dass sie bereits auf Publikum traf. Das hockte in Person nämlich schon auf der Schüssel und hatte vergessen, auch die Innentür in die Künstlergarderobe zu verriegeln.

Wie transportiert man Atmosphäre?

Keine Geschichte zum Theater an der Grenze kommt ohne diese (wahre) Anekdote aus, ein Running Gag über viele Jahre. Bis man sich 2018 entschloss, eine Künstlertoilette einzubauen.

Andreas Heuke gehörte vor vier Jahren als Vereinsmitglied zum Bautrupp, heute ist er Vereinspräsident und wünscht sich möglicherweise, irgendwann ähnlich wunderbare Geschichten über die neue Spielstätte des Theaters an der Grenze im Kult-X erzählen zu können.

Doch wie transportiert man die spezielle Atmosphäre, die „Hinterhofromantilk“, wie es Regierungsrätin Monika Knill 2018 bei der 50-Jahrfeier des Theaters auf den Punkt brachte, ins neue Zuhause?

Video: arttv.ch über 50 Jahre Theater an der Grenze

Das Theater rückt noch näher an die Grenze

Am vergangenen Samstag war es soweit, das Theater an der Grenze ist von der Hauptstrasse nur wenige hundert Meter weiter ins Kreuzlinger Kulturzentrum Kult-X in der Hafenstrasse umgezogen. Mit viel Spektakel, wie sich das gehört. Mit dem Umzug macht es seinen Namen noch einschlägiger. Wenn es stimmt, dass die Luftlinie zur Grenze bislang 500 Meter betrug, dann sind es jetzt vielleicht 200.

Andreas Heuke ist noch ein bisschen hin- und hergerissen: „Der Umzug fällt uns emotional doch schwer, weil wir an dieser Bude hängen. Das Theater an der Grenze wird ja vielfach mit diesem Gebäude identifiziert.“

 

„Der Umzug fällt uns emotional doch schwer, weil wir an dieser Bude hängen. Das Theater an der Grenze wird ja vielfach mit diesem Gebäude identifiziert.“

Andreas Heuke, Präsident des Vereins Theater an der Grenze

Aber er weiss natürlich auch um die Vorteile der neuen Adresse. Da ist die Sache mit den vielen steilen Treppen, um in den Theaterraum zu gelangen. In dem Zusammenhang redet Andreas Heuke nicht um den heissen Brei herum: „Viele aus unserer Zielgruppe – ist ja kein Geheimnis, dass sie sich um die 60 plus bewegt – freuen sich, dass sie es jetzt leichter haben. Wenn Sie sich diese steile Stiege anschauen, die ist ja nicht so ohne.“ Und dabei ist sie nicht der einzige steile Aufstieg im Schuppen.

Um etliches schwerer noch hatten es bislang die auftretenden Künstlerinnen und Künstler, um auf die Bühne und vor ihr Publikum zu gelangen. Auch das eine Geschichte, die hier nicht fehlen darf, weshalb der Präsident auch eine Ortsbesichtigung vorschlägt.

Steil und schmal im Tritt, einer Hühnerleiter nicht unähnlich, präsentiert sich der Bühnenzugang von der Künstlergarderobe aus. Tatsächlich ist aber in all den Jahren nur ein Mann abwärts gesegelt, ein junger, wie Andreas Heuke betont. Nichts Schlimmes passiert.

Es sind natürlich nicht nur die Treppen

Natürlich aber sind es nicht die legendären Treppen, weshalb das Theater an der Grenze die Spielstätte verlässt, die es 1969, im Folgejahr seiner Gründung, bezog. Das Gelände an der Hauptstrasse 55a soll in absehbarer Zeit überbaut werden, das gesamte Gebäude-Ensemble aus den 1860er Jahren muss weichen. Der Verein wollte nicht riskieren, mitten in der Spielzeit ausziehen zu müssen.

Zudem stand ja auch die Volksabstimmung zur städtischen Förderung des Kult-X an, der man durch den Umzug zusätzlichen Rückenwind verschaffen wollte, wie der Vereinspräsident versichert. Deshalb habe man auch bereits seit letztem September, dem Monat der Volksabstimmung, Gastspiele im Kult-X stattfinden lassen.

 

Ein prägender Ort wird Geschichte. Das Theater an der Grenze gibt seinen bisherigen Standort auf und zieht ins Kult-X. Bild: zVg

Im Kult-X muss die Saison nicht schon im Mai enden

Aber schön war es bislang halt doch, hier in der kleinen autarken Idylle. Man war von vorne bis hinten selbstbestimmt, angefangen beim Getränkerepertoire im Kühlschrank bis hin zum Programmrepertoire auf der Bühne. Andreas Heuke gibt sich jedoch zuversichtlich: „Das Kult-X bewegt sich in guten Bahnen.“

Die bisherigen Erfahrungen seien positiv, auch der aktuell zur Verfügung stehende Raum funktioniere gut. Auf jeden Fall muss das Theater nicht wie bisher bereits im Mai die Spielzeit beenden, weil sich im Sommer der Theaterraum unterm Dach dermassen aufheizt, „das halten Sie nicht aus“.

Neuer Anlauf für Kindertheater?

Das Programm des Theaters an der Grenze wird sich durch die neuen Räumlichkeiten nicht ändern. Kabarett, Theater, Musik und Literatur werden den Hauptanteil der jährlich zirka 15 Gastspiele ausmachen. Möglicherweise geht man das Thema Kindertheater neu an.

Andreas Heuke ist sich sicher, dass die Künstlerinnen und Künstler genauso gerne ins Kult-X kommen werden, wie sie an die alte Spielstätte gekommen sind. Wenn er auch schon auf enttäuschte Reaktionen der eingeladenen Kunstschaffenden gestossen ist, als es hiess, dass nicht in der Scheune aufgeführt wird.

 

Atmosphärisch: Das Innenleben des Theater an der Grenze bei der Kindervorstellung zur 50-Jahr-Feier im September 2018. Bild: Theater an der Grenze

Ganz am Anfang waren es Eigenproduktionen

Einen Namen hat sich das Theater an der Grenze in den allerersten Anfängen der 1960er Jahre allerdings mit Eigenproduktionen gemacht. Auf den Weg gebracht wurde es von Norman Elrod, einem in Kalifornien aufgewachsenen Psychologen, der zur Weiterführung seines Studiums zuerst nach Zürich kam, wo er sich auch im C.G. Jung-Institut ausbilden liess, und schliesslich 1960 als Psychotherapeut am Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen begann. Die erste Produktion der „Schauspielgruppe Dr. Elrod“, das Beckett-Stück „Spiel“, fand 1965 im Lesezimmer des Sanatoriums statt. Die Darstellenden waren allesamt Patienten.

Der nicht unerhebliche Erfolg führte 1968 zur Gründung des Vereins mit Elrod als erstem Präsidenten, der auch den Schuppen an der Hauptstrasse entdeckt hatte. Der Zuspruch des Publikums war aber nicht von Dauer, die Rettung kam durch die Umstellung auf einen Gastspielbetrieb.

Ein Stück Kulturförderung

Es blieb nicht die einzige Krise: Im Laufe der über 50-jährigen Geschichte des Theaters gab es einige Höhen und Tiefen. Gut ist der Verein allerdings über die bisherige Pandemiezeit gekommen. Die Miete war günstig, und der Verein musste keine festen Kräfte bezahlen. „Wir konnten uns sogar leisten, den einen oder anderen Künstler anlässlich seines abgesagten Auftrittes anteilig zu bezahlen. Einige von denen waren ja ganz schlimm dran. Das versehen wir auch als ein Stück Kulturförderung“, so Andreas Heuke.

Zwar ist der Genius loci des Theaterschuppens nicht transportabel, mitnehmen können und werden die Vereinsmitglieder jedoch ihren eigenen Spirit, der eben auch immer wieder über Tiefs hinweggeholfen hat. Eigeninitiative heisst das Zauberwort, insbesondere durch Klinkenputzen bei potenziellen Geldgebern. Selbstredend alles ehrenamtlich.

Übrigens auch die Installation des Künstler-WCs. Da gab es damals einen Vereinspräsidenten mit einem Sanitärgeschäft, der wusste, wie das geht, der auch das Material höchst günstig besorgen konnte und so weiter und so fort. Dabei haben drei Espresso-Maschinen bei minus 15 Grad vorübergehend den Geist aufgegeben. Das ist aber eine andere Geschichte.

 

Mehr Geschichten aus dem Theater an der Grenze

Anlässlich des 50. Geburtstags im September 2018 hatten wir frühere und aktuelle Theaterleiter und Programmmacher zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen. Es kamen: Dorena Raggenbass (Präsidentin und Theaterleiterin von 2000 bis 2007), Toni Brunner (Präsident und Theaterleiter von 1981 bis 2000) und Fritz Brechbühl (Vereinspräsident seit 2013) und Micky Altdorf (Präsident und Theaterleiter von 2007 bis 2012). Entstanden ist am Ende ein sehr launiges Gespräch, ein anekdotischer Ritt durch 50 Jahre Geschichte und was es bedeutet, ein solches Theater so lange am Leben zu erhalten. Hier geht's zum Text.

 

Der etwas andere Stuhlkreis: Zum 50. Geburtstag hatte thurgaukultur.ch aktuelle und frühere Theaterleiter zum Gespräch gebeten. Es kamen: Dorena Raggenbass (links), Toni Brunner (Mitte), Fritz Brechbühl (rechts). Thurgaukultur-Redaktionsleiter Michael Lünstroth moderierte das Gespräch. Bild: Lukas Huggenberg

 

 

 

 

 

 

 

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