von Judith Schuck, 01.09.2025
Puppenspiel mit Pistolentechnik

Abenteuerlust trifft auf die Sehnsucht nach einem ruhigen Zuhause. «Die Muskeltiere» kommt nach Frauenfeld, wo Rahel Wohlgensinger und Frauke Jacobi gleich vier Puppen Leben einhauchen. (Lesezeit c. 4 Minuten)
Der Mäuserich Picandou lebt unter der Kellertreppe im Feinkostgeschäft. Dort erfreut er sich allabendlich an den Resten der Käsetheke, die im Müllsack entsorgt werden. Besser könnte sein Mäuseleben nicht sein! So gemütlich soll es allerdings nicht bleiben. Als er am Quai im Hamburger Hafen eine Ratte trifft, die ihr Gedächtnis verloren hat und glaubt, eine Maus zu sein, beginnt ein Abenteuer. Picandou möchte der weissen, orientierungslosen Ratte helfen. Er nennt seinen neuen Freund Gruyère und nimmt ihn mit zu seiner Käsetheke.
Daheim angekommen, bemerkt er, dass sich ein Eindringling eingeschlichen hat: Ernie, die Kneipenmaus. Weil dieser sein altes Zuhause verlassen musste, sucht er einen Unterschlupf. Er schliesst sich der kleinen Bande an und bekommt den Namen Pomme de Terre. Gemeinsam wollen die Drei dem Geheimnis von Gruyères Identität auf die Schliche kommen. Als sie auf ihrer Mission auf dem Balkon eines Luxushauses landen, befreien sie dort den überfütterten Hamster Bertram von Backenbart aus seinem goldenen Käfig. Dieser ist durch die Hörspiele seines Kindes zum grossen Musketiere-Fan geworden und jetzt ganz begeistert von den „französischen“ Nagetieren, die ihn mit auf ihr Unterfangen nehmen. Weil Bertram den Namen stets falsch verstand, tauft er die Bande nach seinen Vorbildern: „Die Muskeltiere“.

Musketiere und Muskeltiere dicht nacheinander
Es ist kein Zufall, dass die Theaterwerkstatt Gleis 5 den Buchstoff «Die Muskeltiere – Einer für alle, alle für einen» in diesem Jahr inszeniert. 20 Jahre nach ihrer ersten Aufführung hält die Theatergruppe um Regisseur Noce Noseda ihr Versprechen und trat im August noch einmal auf die Bühne im Greuterhof Islikon mit dem Kammerstück «Die drei Musketiere». Die Inszenierung nach Alexandre Dumas spielten sie so bereits 2005. Teil des Ensembles ist hier Simon Engeli, der beim Puppentheaterstück «Die Muskeltiere» die Regie führt. Er sagt: Die Idee, das Kinderbuch der Hamburger Autorin Ute Krause als Puppentheater zu inszenieren, habe es beim Team der Theaterwerkstatt Gleis 5 bereits vage gegeben. „Die Musketiere und die Muskeltiere im selben Jahr aufzuführen, fanden wir dann einen guten Aufhänger“, ergänzt seine Frau und Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger.
Die Besonderheit an der Inszenierung der Muskeltiere ist, dass es eine Kooperation mit dem Figurentheater St. Gallen ist. Dieses Mal spielt Rahel Wohlgensinger gemeinsam mit Frauke Jacobi, Puppenspielerin aus St. Gallen. Simon Engeli sagt, dass sie fast jede Saison eine ihrer Produktionen der Theaterwerkstatt als Gastspiel beim Figurentheater aufführten; so kam auch diese Zusammenarbeit zustande. „Die Muskeltiere sind ein richtiges Puppenspiel“, schwärmt Rahel Wohlgensinger. Es gibt im Grunde kein Schauspiel, ausser einer kurzen Szene, wo sie im Ölanzug einen Brandstifter spielt. „Mich freut die Zusammenarbeit mit Frauke sehr. Mit einer Kollegin, die das Handwerk versteht, kann ich fachsimpeln und bekomme Feedback. Wir sind einfach in derselben Welt.“

Zwei Puppenspielerinnen erproben neue Techniken
Normalerweise läuft das Puppenspiel in den Produktionen der Theaterwerkstatt parallel zum Schauspiel. Da die zwei Puppenspielerinnen aber jeweils gleich zwei Figuren verkörpern, und das in einem sehr textreichen Stück, haben sie wirklich alle Hände voll zu tun. Gebaut haben die Puppen Mario Hohmann und Melanie Sowa. „Mir war wichtig, dass die Puppen von unseren Puppenbauer:innen kommen“, sagt Rahel Wohlgensinger. Die Musik liefert dafür Willi Häne aus dem Umfeld des Figurentheaters St. Gallen. Mit seinem Akkordeon nimmt er die Stimmung im Hamburger Hafen auf, wo das Abenteuer der Muskeltiere seinen Lauf nimmt. Den Bezug zu Dumas und den „französischen“ Mäusen stellt er durch den Musette-Charakter einiger Stücke her.
Trailer:
Damit die vier viel plappernden Nagetiere entsprechend belebt werden können, erfanden die Puppenspielerinnen zusammen mit den Puppenbauer:innen eine neue Methode: die „Pistolentechnik“. „So können wir sitzend mit allen vier Figuren reden“, erläutert Rahel Wohlgensinger. Das Stück sei allgemein rasant im Tempo und mit vielen Wechseln. Schliesslich musste Regisseur Simon Engeli bei der Bearbeitung des Stücks mit seinem Co-Autor Simon Deckert rund 200 Seiten Buch in 60 Minuten Bühnenfassung bringen. Wegen Tempo und Text, für den die Puppenspielerinnen extra noch Hamburger Schnack auspacken, ist die Altersempfehlung für sechs Jahre angesetzt.

Ute Krause besucht die Theaterwerkstatt
„Während der Proben haben wir nicht nur auf Puppenspiel und Technik geachtet, sondern viel dramaturgische Arbeit geleistet“, sagt Simon Engeli. Die Skriptentwicklung sei nebenhergelaufen, was nicht immer angenehm gewesen sei, „aber für unser Vorhaben zielführend“, erklärt er. Buchautorin Ute Krause habe das Skript dann auch „begeistert“ freigegeben, sagt Engeli. Sie wird voraussichtlich die Aufführung am 9. November besuchen. Am 7. November liest Ute Krause bei Lesefeld aus ihrem Erwachsenen-Roman „Wiedersehen in Rajasthan“. Deshalb ist sie bereits in Frauenfeld. „Für uns wird´s aufregend, wenn sie im Publikum sitzt“, bemerkt Rahel Wohlgensinger.
«Die Muskeltiere» seien ein aufwendiges Stück geworden, sagt Regisseur Simon Engeli. Bildprojektionen schaffen Atmosphäre und helfen dabei, am Erzählstrang zu bleiben. „Wir haben die eingespielte Musik von Willi Häne, die Geräusche aus der Welt der Nagetiere am Hamburger Hafen, das Licht ...“ Das Spannende am Stoff sieht Simon Engeli vielmehr als im Krimi-Abenteuer, noch in den Charaktereigenschaften der vier Protagonisten, die das Stück erst richtig lustig machten. Ihm gefällt vor allem der „coole Ton“ von Ute Krause, das trockene Norddeutsche. Alles in Allem geht es um Zusammenhalt und Freundschaft trotz Andersartigkeit.
Obwohl das Stück im Frühjahr in St. Gallen am Figurentheater seine Premiere feierte, wird der 14. September in der Theaterwerkstatt Gleis 5 eine erneute Premiere für das Team. „Die räumlichen Gegebenheiten und die Lichtinfrastruktur sind in Frauenfeld völlig anders“, sagt Engeli. Das Bühnenbild wird dominiert von Kisten und Containern, die die Lagerräume der Frachtschiffe und die Hafenstimmung visualisieren sollen.
Ob „der heimatlose Haufen“ um Picandou, wie Wohlgensinger die Nager nennt, es schafft, herauszufinden, was mit Gruyère geschehen ist und wer er wirklich ist?

Die Muskeltiere, Puppentheater ab 6 Jahren
Aufführungsdaten:
So, 14. September 2025
Sa, 20. September 2025
So, 28. September 2025
So, 9. November 2025
So, 16. November 2025
So, 23. November 2025
So, 30. November 2025
So, 14. Dezember 2025
So, 15. Dezember 2025
So, 15. Februar 2025
jeweils um 15 Uhr.

Von Judith Schuck
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