von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 09.04.2019
Raus aus dem Schatten
Als Slam Poetin hat sich Martina Hügi schon einen Namen gemacht. Jetzt kommt ihr erstes abendfüllendes Kabarett-Programm auf die Bühne. Ein Gespräch über Nervosität, das Verliebt-Sein und den Thurgau.
Manchmal wüsste man als Zuschauer ja gerne, was kurz vor einem Auftritt hinter der Bühne so passiert. Die meisten Künstler sind da aber leider verschwiegen. Martina Hügi nicht: „Bei mir gibt es so ein Ritual, vor allem, wenn ich nervös bin. Dann mache ich Powerposing, eine Methode aus dem Improtheater bei der man sich möglichst gross macht. Danach bin ich bereit für die Show“, sagt die 33-Jährige. Sich selbst grösser zu machen als man eigentlich ist, ist nicht nur ein probates Mittel, um Bären in der Wildnis zu vertreiben, sondern auch dafür, auf einer Bühne zu bestehen. Letztlich geht es ja nur darum, eine Gefahr zu zähmen. Erscheine sie nun in Gestalt eines wilden Tieres oder in Form dieses Dings namens Lampenfieber.
Martina Hügi, geboren in Bern, aufgewachsen in Tägerwilen im Thurgau, heute in Winterthur Zuhause, ist gerade dabei, den nächsten Schritt ihrer Bühnenkarriere zu machen: Von der Slam Poetin mit Fünf-Minuten-Auftritten zur Kabarettistin mit eigenem, abendfüllenden Programm. Oder anders ausgedrückt: Von der Teilzeit-Comedienne zur hauptberuflichen Künstlerin. Schon jetzt hat sie bis zu 90 Auftritte im Jahr. Läuft die Premiere ihres ersten eigenen Soloprogramms „Delirium“ gut (am 4. Mai im Z88 in Kreuzlingen), könnten es noch wesentlich mehr werden. Angst davor? „Nein, das nicht. Aber Respekt ganz sicher. Ich freue mich vor allem auf alles, was kommt“, sagt Hügi.
«Ich kann niemand anders sein auf der Bühne als ich selbst.»
Martina Hügi, Kabarettistin (Bild: Valerio Moser)
Ein Freitagvormittag im März. Wir treffen Martina Hügi in einem Café in Frauenfeld. Sie trinkt Tee. „Laktose-Intorelanz“, erklärt Hügi. Und das Café hat keine laktosefreie Milch. Tee also. Die 33-Jährige hat sich auch was zum Schreiben mitgebracht zum Interview: „Manchmal fallen mir beim Reden Dinge ein, neue Ideen, die ich mir notieren muss“, erklärt sie. Schwarze Strickjacke, halblange, irgendwie blonde Haare, aufmerksame Augen, hellbraune Brille. So sitzt sie da und beginnt von ihrem Leben zu erzählen. Dem auf der Bühne und dem davor. Beides gehört für sie ohnehin zusammen. Das, was sie da im Rampenlicht mache, sei letztlich vor allem „Lebens-Recycling“. Sie erzähle Geschichten aus ihrem Leben und hoffe darauf, dass andere es ähnlich lustig finden wie sie. „Ich kann niemand anders sein auf der Bühne als ich selbst“, sagt sie.
Ihr Weg dahin war nicht so geradlinig. Eher schlangenlinig. Eigentlich wollte sie Lehrerin werden, merkte aber bald, dass das nichts für sie ist und liess sich zur Heilpädagogin ausbilden. Ihre künstlerische Arbeit begann 2009. Erst mit einer Sendung beim Lokalradio Zürich „LoRa“, später dann auf Bühne bei Poetry Slams. 2012 holte sie gemeinsam mit Lara Stoll den Teamtitel in de Disziplin bei den Schweizer Meisterschaften. Heute steht sie bis zu vier Mal pro Woche auf irgendeiner Bühne.
Video: «Go, fuck yourself!»
Über die Frage, was ihr daran besonders gefalle, muss Martina Hügi nicht lange nachdenken: „Mir macht es Spass, etwas Neues zu finden, einen noch ungedachten Gedanken zu haben“, sagt sie. Neue Texte seien für sie auch ein bisschen so wie eine neue Liebe: „Das fühlt sich toll an, wie frisch verliebt, wenn alles fertig ist.“ Aber mit der Liebe ist es auch dort so - sie kommt und geht. Selbst wenn es ihr schwerfalle, aber „es gibt auch Texte, von denen muss ich mich trennen“. Die Arbeit an ihren Texten hört für sie ohnehin eigentlich nie auf. Jeden ihrer Auftritte zeichnet sie auf, hört ihn danach ab und überlegt, wo sie noch feilen und besser werden muss. „Manchmal macht mich das auch fertig, aber ich kann nicht anders“, sagt die 33-Jährige. „Ich kann nicht mit einem alten Text auf die Bühne gehen, wenn ich einen besseren Gedanken im Kopf habe.“
Eigentlich soll man sich ja davor hüten, vom Äusseren aufs Innere zu schliessen. Aber wer die Entwicklung von Martina Hügi in den vergangenen Jahren verstehen will, der braucht eigentlich nur Youtube-Videos von ihren älteren Auftritten anzuschauen. Ihre Texte waren schon damals gut, aber sie wirkte noch einigermassen verloren im Rampenlicht. So als wolle sie sich am liebsten hinter ihren Texte verstecken. Heute steht sie ganz anders auf der Bühne. Hügi hat sich ihren Platz dort erkämpft - auch gegen sich selber: „Auf die Bühne zu gehen, war für mich lange schwierig. Es war wie ein mühsamer Sprung über meinen eigenen Schatten“, sagt sie heute. Immer wieder Zweifel, immer wieder diese Nervosität. Aber immer wieder hat sie sich auch selbst dazu gezwungen. Die Kunst war für sie da auch eine Art Selbst-Therapie: „Ich bin eigentlich ein megaverkopfter Mensch. Auf der Bühne musste ich aber lernen, loszulassen. Weil immer was passieren kann, worauf du dich einfach nicht vorbereiten kannst“, erzählt die Kabarettistin, die derzeit im Hauptberuf noch Heilpädagogin an einer Schule im Kanton Zürich ist. Sie mag die Arbeit mit den Kindern, ihre Erlebnisse dort, wandern auch in ihr Bühnenprogramm: „Was verbindet Banker und Heilpädagogen? Beide müssen mit Defiziten rechnen.“
Hügi ist eine genau beobachtende Dichterin
Diesen Vorgeschmack auf ihr erstes Soloprogramm gab es auch im Februar in Kreuzlingen. Ausgerechnet in der Aula der Pädagogischen Maturitätsschule (PMS). Dort, wo sie einst selbst zur Schule ging. Sie eröffnete das Festival „Kabarett in Kreuzlingen“ gemeinsam mit ihrer Kollegin Lara Stoll. Hügi redete viel über ihren Alltag, ihre Entscheidungsschwäche, Glück, Liebe, Erlebnisse aus ihrem Lehrerleben und natürlich ihr ödes Aufwachsen im Thurgau: „Das ist der Ort, an dem sich die Menschen nicht vor den Zug werfen, sie haben einfach nicht damit gerechnet, dass einer kommt.“ Ja, die 33-Jährige kann auch böse sein. Aber in den besten Momenten ihres Programms ist sie vor allem eines: Eine genau beobachtende Dichterin, die sich auf Sprachspiele versteht. Das sah auch das Publikum so: Nimmt man die Lautstärke des Applauses am Ende des Auftritts zum Massstab, dann war das ein ziemlich guter Abend für Martina Hügi. „Ja, das war besonders und schön“, erinnert sie sie auch Wochen nach der Show noch an den Moment, als sie von der Bühne ging.
Und wie ist jetzt ihr Verhältnis zum Thurgau? Dem Kanton, in dem sie aufgewachsen ist? In ihren Texten kommt die Gegend ja eher schlecht weg. War es wirklich so schlimm? „Ja, war es“, sagt Hügi. „Es war öde. Echt furchtbar“, erinnert sie sich mit Grausen. Aber sie hat inzwischen ihren Frieden damit gemacht. „Wer weiss, vielleicht hat mir die Tristesse auch geholfen. Langeweile soll ja Kreativität fördern. Insofern: Danke dafür, Thurgau!“
Video: Martina Hügi & Lara Stoll bei «Giacobbo/Müller»
Termin: Die Premiere ihres ersten Soloprogramms „Delirium“ findet am Samstag, 4. Mai, 20 Uhr, im Z88 in Kreuzlingen statt.
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