von Jeremias Heppeler, 21.11.2017
Fantastische Welten
Gerade erst ist das Zebra-Kino in Konstanz für sein Programm ausgezeichnet worden. Mit dem Fantasy-Film-Festival "Shivers" beweist es ab dem 23. November wieder warum
Kino bedeutet Eskapismus. Die immer wieder faszinierende Möglichkeit, sich in neue Welten zu denken. Einzutauchen, per Kopfsprung. Absolut Neues zu erleben. Abenteuer. Märchen. Anderer Alltag. Nichtsdestotrotz kann Kino auch ganz schön generisch sein – die Besuchercharts werden dominiert von den immer gleichen Blockbustern, die den immer gleichen Schemen folgen. Laaaaaaangweilig. Dabei gibt es sie, die anderen Filme. Blutig, gruselig, seltsam, witzig. Wir sprechen vom „anderen Film“, genauer gesagt dem Genre Film, der sich in Nischen bewegt und diese prägt. In den vergangenen Jahren entstiegen der Nerd- und Liebhaberszene nicht nur grandiose Filme und Filmemacher, sondern eben auch Festivalreihen, die die merkwürdigsten Perlen in den deutschsprachigen Raum verfrachteten. Das Fantasy Filmfest ist längst eine Institution, die Genrenale versteht sich als Jägermeister-Variante zur Champagner Berlinale. Was viele Filmfans nicht wissen: Auch in Konstanz gibt es eine Genre-Festival, dessen Programm es in den vergangenen Jahren problemlos mit der Konkurrenz der Metropolen aufnehmen konnte: Das Shivers, umgesetzt vom Konstanzer Zebrakino, setzt auf ein vielfältiges und immer wieder überraschendes Programm. Es präsentiert neben zwei pickepacke vollen Kurzfilm-Blöcken, zwei waschechten Klassiker nunmehr 13 Filme aller Coleur. Abgerundet wird das Ganze von zahlreichen Interviews mit Regisseuren, Gesprächen mit Fachleuten und Gewinnspielen. Wir haben uns deshalb vorab mit Programmchef Stefan Schimek über das Kino im Allgemeinen, das Festival im Speziellen und seine persönlichen Tipps unterhalten.
Szene aus "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri". Einer der Filme, die beim Fantasy-Filmfestival Shivers in Konstanz zu sehen sein werden. Bild: Verleih
Genre-Kino, Fantastischer Film, Anderer Film – wir Menschen sehnen uns ja immer nach griffigen Begriffen und im Bezug zu Ihrem Festival Shivers trifft man auf dieses seltsam geniael Wort-Konstrukt. Welche Art von Film zeigen Sie denn während des Festivals?
Zu unseren grossen Vorbildern kann man sicherlich das Neuchatêl International Fantastic Film Festival oder das Fantasy Filmfest in Deutschland zählen. Da denken leider viele: „Die zeigen ja eh nur Horrorfilme." Wir haben jedoch für so ziemlich jeden Geschmack etwas im Programm: schwarzen Humor, Science-Fiction, Psychothriller, Rachewestern, Film Noir, Martial Arts. Aber auch vieles, was sich nicht in Schubladen pressen lässt: Im herrlich verspielten "Dave made a maze" müssen die Protagonisten beispielsweise einem Pappkarton-Labyrinth entfliehen, das ein reges Eigenleben entwickelt hat, und mit "November" haben wir ein überaus faszinierendes und skurriles Mittelalter-Fantasy-Märchen im Programm, das man so bestimmt auch noch nicht gesehen hat. Es sind viele Entdeckungen dabei, die man unserer Meinung nach unbedingt auf der grossen Leinwand gesehen haben sollte, von denen aber nur wenige einen deutschen Verleih haben und hierzulande einen regulären Kinostart bekommen werden. Aus weit über 100 Spiel- und knapp 400 Kurzfilmen haben wir unsere Favoriten zusammengestellt.
Wie wichtig ist es für das Medium Kino, dass neben all den Blockbustern, die die immer gleichen Schemen und Abläufe runter rattern, auch andersartige Filme im Kino präsent gemacht werden?
Die hiesigen Multiplexe werden zumeist von US-amerikanischen Grossproduktionen und deutschen Komödien dominiert, die sich teilweise nur schwer voneinander unterscheiden lassen. Wir haben natürlich auch in unserem Programm den ein oder anderen US-Film, legen aber wie bereits erwähnt sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Produktionslandes grossen Wert auf Abwechslung. Estland, Kambodscha, Türkei, Island und sogar Uganda sind beim Shivers 2017 mit Spielfilmen vertreten. Der ugandische Beitrag "Bad Black" ist zwar eindeutig von grossen Hollywood-Blockbustern inspiriert, die Macher haben auf Grund des kaum vorhandenen Budgets jedoch derart viel Kreativität und Herzblut in ihr Projekt einfliessen lassen, dass das Ergebnis besser unterhält als so manche 150-Millionen-Dollar-Produktion. Nur wird derlei Filmen kaum Aufmerksamkeit geschenkt, schon gar nicht in eher kleineren Städten. Das wollten wir ändern.
Was fasziniert Sie am Medium Kino im Allgemeinen und am Fantastischen Film im Speziellen?
Wie gesagt wird der Fantastische Film sehr häufig mit den Begriffen „Grusel“ und „Horror“ gleich gesetzt. Das ist aber viel zu kurz gedacht: Im Genre-Kino werden in vielen Fällen gesellschaftliche Entwicklungen auf eine Weise behandelt, wie es bei grösseren Produktionen oder im TV-Allerlei nicht denkbar wäre: aktuelle Themen werden überspitzt, verzerrt oder auf andere kreative Art und Weise in spannenden, ungewöhnlichen Szenarien behandelt. Während das sogenannte Arthouse-Kino durchaus bestimmte Regeln zu befolgen hat und im Endeffekt so gut wie immer allzu dröge, bieder, moralisierend und arg steif daherkommt, sind dem Fantastischen Film quasi keine Grenzen gesetzt. Man kann sich ordentlich austoben und experimentieren. Das haben etliche bekannte Filmemacher haben zu Beginn ihrer Karriere auch getan. Peter Jackson, Sam Raimi und Steven Spielberg haben alle mit abgefahreneren Genrestoffen angefangen, die heute zu den grossen Kultklassikern der Filmgeschichte zählen. Man kann von diesen Filmen halten was man will. Langweilig sind sie nur selten. Und meist sehr viel cleverer als es auf den ersten Blick scheinen mag. Alleine das finde ich persönlich äusserst faszinierend.
Einer der Filme, die beim Shivers 2017 gezeigt werden: Jailbreak. Bild: Verleih
Führen Sie uns doch kurz doch den Arbeitsalltag als Festivalchef...
Man könnte meine Arbeit wahrscheinlich passender als "Festivalkoordination" beschreiben. Zu meinen Aufgaben zählen der Kontakt zu Filmverleihen, Weltvertrieben und Produktionsfirmen, bei denen ich Sichtungslinks für potentielle Shivers-Kandidaten erfrage, Konditionen verhandle und den Kontakt fortlaufend pflege. Die angefragten Filme werden dann zusammen mit weiteren Mitgliedern des Festivalteams im Zebra gesichtet. Bei deutlich über 100 Spiel- und knapp 400 Kurzfilmen, die für die diesjährige Festivalausgabe zur Debatte standen, ist das für alle Beteiligten ein nicht zu unterschätzender Zeitaufwand. Außerdem kümmere ich mich darum, dass wir beim Festival zu einigen Vorstellungen auch die Filmemacher begrüssen können, entweder persönlich oder in Form eines Skype-Q&As im Anschluss der jeweiligen Vorstellung, und um die Zusammenstellung unserer Kurzfilm-Jury. Dazu kommen viele kleinere Aufgaben wie die Betreuung diverser Sponsoren, die Organisation von Preisen für die Gewinnspiele und auch mal das Verteilen von Flyern und Programmheften in der Uni. Die meisten dieser Aufgaben erledige ich aber natürlich nicht alleine, sondern in Zusammenarbeit mit dem Festivalteam, ohne das dieses ganze Unterfangen nicht ansatzweise zu stemmen wäre.
Im Programmheft steht bei einigen Filmen der Stempel "Official Selection". Was hat es damit auf sich?
Wir haben drei Kategorien beim Shivers Film Festival. Neben unseren beiden Kurzfilmblöcken, in deren Rahmen von einer dreiköpfigen Jury der „Shivers Shorts Award“ vergeben wird, und unseren beiden Klassiker-Matinees am Samstag und Sonntag Nachmittag ist die „Official Selection“ die mit Abstand umfangreichste Kategorie: Hier zeigen wir 13 brandaktuelle Spielfilme aus aller Welt, darunter ganze acht Deutschlandpremieren. Zu Beginn jeder dieser Filme bekommen die Gäste einen Notenzettel, mit dem sie den jeweiligen Film bewerten können. Im Anschluss werden alle Zettel ausgewertet und der Film mit dem besten Notenschnitt mit dem Shivers-Publikumspreis ausgezeichnet.
Und was sind Ihre persönlichen Highlights des Programms?
Das ist ziemlich schwierig, da mir alle Filme sehr am Herzen liegen. Zu den Geheimtipps zählt aber sicherlich "How to talk to girls at parties", eine wirklich hervorragende Coming-of-Age-Science-Fiction-Romanze, die in der Londoner Punk-Rock-Szene der späten 70er spielt und 100 Minuten beste Unterhaltung bietet. Darüber hinaus kann ich den bereits erwähnten "November" wärmstens empfehlen. Wo sonst bekommt man in wunderschönen Schwarzweissbildern eifersüchtige Werwölfe, eigenwillige Holzkreaturen, einen herrlich verschrobenen Teufel und den wohl melancholischsten Schneemann der Filmgeschichte zu sehen als in diesem überaus skurrilen estnischen Fantasymärchen? Zu guter Letzt wäre da noch der isländische Thriller "Rökkur - Rift", der vor der traumhaft-malerischen Kulisse Islands eine packende Geschichte um das rätselhafte Verschwinden eines jungen Mannes entspinnt. Ein wirklich ausserordentlich atmosphärischer, spannender und kurzweiliger Beitrag aus dem hohen Norden.
Blick in das Zebrakino Konstanz: Hier findet das Filmfestival "Shivers" statt. Bild: Zebrakino
Die Tipps der Redaktion:
1. Die Kurzfilme (Block 1, Samstag 25.11.2017, 18.30 Uhr, Block 2, Sonntag 26.11.2017, 19 Uhr): So ziemlich jede Filmkarriere beginnt mit einem Kurzfilm. Sie sind das Versuchs- und Spielfeld der Filmschaffenden, sie kennen keine Regeln. Und doch bekommt man als Normalo-Filmgucker nur selten einen Kurzfilm vor die Linse. Das Shivers-Kurzfilmprogramm „Shivers Shorts“ bietet 2017 eine immense Vielfalt, bei der Langeweile unter Garantie ausgeschlossen werden kann. Sollte Ihnen ein Kurzfilm nicht so zusagen, können sie schon wenige Minuten später das nächste Werk bestaunen. Übrigens: Gleich zwei Schweizer Kurzfilme haben es ins Programm geschafft: Bart Wasems (Zürich) vollkommen abgedrehtes Animationsstück „Zarr Dos“ erzählt in sieben Minuten die Geschichte zweier allmächtiger, schwebender Köpfe, die nach immer noch mehr Macht streben, während „Das Mädchen im Schnee“ von Dennis Ledergerber (St. Gallen) einen Tag im Leben eines Geräuschemachers nachvollzieht.
2. „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, Donnerstag, 23.11.2017.
Der diesjährige Shivers-Eröffnungsfilm gilt in Fachkreisen als absoluter Oscarkandidat. Regisseur Martin McDonaghs lieferte einst mit seinem Debüt „Brügge sehen und sterben“ einen melancholischen Indie-Thriller und gewann für „Six Shooter“ den Oscar für den besten Kurzfilm“. Mit „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ erschuf er sein Opus Magnum, das folgerichtig für die goldenen Löwen nominiert wurde. Die pechschwarze Thrillerkomödie lebt von seinem perfekt getakteten Drehbuch und den beiden herausragenden Hauptdarstellern. Frances McDormand („Fargo“) und Woody Harrelson („Natural Born Killer“) sind echte Fachleute im Genre der schwarzen Komödie und liefern sich ein faszinierendes und aberwitziges Duell auf Augenhöhe.
3. „The Killing Of The Sacred Deer“, Samstag 25.11.2017
Man kommt wohl nicht mehr darum herum, den griechischen Regisseur Giorgos Lanthimos als Genie zu bezeichnen. Sein Durchbruch „Dogtooth“ war ein kaum zu ertragendes Stück Filmkunst über einen Elternpaar, das seine Kinder im eigenen zu Hause gefangen hält, sein Hollywood Debüt „The Lobster“ indes war so durchdringend schön und abgründig, dass es einen regelrecht schüttelte. Auch „The Killing Of The Sacred Deer“ mit Nicole Kidman und Colin Farrell legt sich wie eine kinematografische Schlinge um den Hals seiner Zuschauer und eröffnet durch seine chirurgischen Präzision den Blick auf das eigene Über-Ich und die eigene Schuld.
Das komplette Programm im Überblick gibt es hier.Tickets für das Festival kann man direkt über die Homepage reservieren
Das Zebrakino in Konstanz
Das Zebra Kino besteht aus einem gemeinnützigen Verein lauter ehrenamtlich arbeitender Filmenthusiasten. Aus Begeisterung für gute Filme stellen 20 junge und alte Cineasten Woche für Woche ein spannendes Kinoprogramm zusammen und dafür nicht nur hinter der Theke, sondern auch am Projektor. Und dabei läuft die gesamte Arbeit im Zebra Kino basisdemokratisch und auf ehrenamtlicher Basis ab. Seit über 30 Jahren. Als kommunales Kino steht das Programm unter dem Motto “Andere Filme anders zeigen.” Gespielt werden nicht einfach die aktuellen Starts der Woche, sondern das Programm wird nach inhaltlichen Kriterien kuratiert. Mit Erfolg: In der Kategorie "Kino, das wagt" ist das Zebrakino Ende Oktober 2017 vom Kinematheksverbund ausgezeichnet worden. In der Kategorie "Kino, das wagt" hat das kleine Kino den ersten Platz belegt. Dafür gab es 2000 Euro Preisgeld. Im Hauptaugenmerk dieses Preises stehen innovative Präsentationsformen und Filmprogramme, die neue filmästhetische Perspektiven anbieten.
Anfahrt: So finden Sie das Zebrakino problemlos
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