von Jeremias Heppeler, 08.07.2024
„Der Thurgau ist ein hartes Pflaster!“
2016 gegründet, 2024 beerdigt: Das Frauenfelder Label AuGeil Records war ein pulsierender Ort der Ostschweizer Musikszene. Zum Abschied erinnern sich Gründer und Musiker:innen an besondere Momente. (Lesedauer: ca. 10 Minuten)
Damit Subkultur in der vermeintlichen Provinz überleben kann, ernährt sie sich von Synergieeffekten. Das ist entscheidend. Das ist ihr Lebenselixier. Manchmal braucht es nur ein selbstorganisiertes Konzert, eine einzige Band und vielleicht zwei bis drei Akkorde in einem heruntergekommenen Jugendclub, damit eine ganze Szene entsteht. Der Domino-Effekt ist der Brandbeschleuniger des ländlichen Subkultur.
Und was die AuGeil-Records in Frauenfeld geschafft haben, kann rückblickend getrost als fast perfektes Domino-Spiel bewertet werden, in dem ein Stein den nächsten derart präzise anschob, dass die Frauenfelder Szene bald mit der Präzision und Unberechenbarkeit einer leicht angetrunkenen Synchronschwimmerinnen-Mannschaft agierte.
Als waschechte Schnapsidee geboren, aus der Notwendigkeit heraus etwas zu machen, ja zu ändern, entwickelte sich AuGeil über die Jahre zu einer vitalen Poolparty der anderen Musik, die Frauenfeld mit ungeahnter Lässigkeit und ungeheuren Mut zum Experiment auf die Karte der unabhängigen Schweizer Szene schob.
Als die Leichtigkeit verloren ging
Am Ende, auch das ist eine typische Geschichte, ging AuGeil diese Leichtigkeit ein wenig verloren. Das Projekt war zu groß geworden. Und wachsende Kulturprojekte brauchen Strukturen. Und Strukturen sind unbarmherzig und fressen vor allem im ehrenamtlichen Sektor unglaublich viel Zeit und Energie.
Typen wie Tobias Rüetschi und Remy Sax, die die Geschichte von AuGeil so konsequent prägten, sind und bleiben Vollblutmusiker:innen. Hätte AuGeil einen nächsten Schritt wagen wollen, hätten sie ihr eigenes Schaffen wohl zurückstellen müssen – oder eine neue Generation hätte mit ähnlicher Hingabe ans Steuer treten müssen. Beides blieb in letzter Konsequenz aus. Und wahrscheinlich ist das gut so.
Was bleibt vom Netzwerk
So endet die Geschichte von AuGeil im Jahr 2024 ohne Unkenrufe, aber mit einem klaren Cut. Die geschaffenen Strukturen, Connections und vor allem Bands aber werden den Thurgau noch viele Jahre prägen. Ganz bestimmt. Und trotzdem oder gerade deshalb ist es ein wunderbarer Moment auf die Geschichte von AuGeil zurück zu blicken. Durch die Brille von denjenigen, die diese Geschichte schrieben.
Wie und warum bist du Teil von AuGeil Records geworden?
Tobias Rüetschi (Gründungsmitglied und erster Präsident): Ich habe einige Erinnerungen daran, wie wir die Idee zusammen mit anderen Gründungsmitgliedern in Bars in Frauenfeld ausheckten und verfeinert haben. Das war dann so ein bisschen eine „Top-Secret“-Aktion, da wir das ganze Konzept erst zum Release und zur ersten AuGeil Feier im KAFF ganz enthüllen wollten. Wir haben dann solche Flyer gedruckt mit nur dem Logo und dem Datum, mehr nicht. Das gab ein bisschen Gesprächsstoff in der Szene rund ums KAFF, niemand wusste so genau, was am 15. April 2016 passieren würde. Wir haben dann bombastische Release-Party gefeiert und auch gleich mehrere Live-Band Premieren gefeiert, zum Beispiel Obacht Obacht Band, Carve Up!, aber auch einige Projekte, dies leider nicht mehr gibt wie Vanä and the One Inch Punchers oder Louis Elvis Live Band.
Rémy Sax (Carv Up, seit Gründung im Vorstand, Carve Up): Das erste, was mir in den Sinn kommt, sind die frühen Sitzungen zu zehnt in der Eisenwerk Gartenwirtschaft, die Proben im Schulhaus Oberwiesen mit der Obacht Obacht Band, Louis Elvis, Addicthead etc. und natürlich der Release des ersten Samplers “GeilTape Vol. 1” und die Taufe im Kaff. Damals war alles noch sehr konzentriert in Frauenfeld und alle starteten in ihren Schlafzimmern und Proberäumen neue Projekte, die teils nach wenigen Konzerten bereits wieder Geschichte waren.
Tobias: Ein wichtiger Schritt war sicher, als wir uns dazu entschieden haben, auch Acts aufzunehmen, die nicht aus unserer Frauenfelder „Szene“ kamen. Die ersten waren da The Shattered Mind Machine. Das hat sich so als offizieller und wichtiger Schritt angefühlt, danach wurde alles ein bisschen „echter“. Aber die Entscheidung hat sich sehr gelohnt, die Shattereds waren von Anfang an super engagiert.
„Ein wichtiger Schritt war sicher, als wir uns dazu entschieden haben, auch Acts aufzunehmen, die nicht aus unserer Frauenfelder „Szene“ kamen.“
Tobias Rüetschi, Gründungsmitglied und erster Präsident
Simon Hirzel (The Shattered Mind Machine): Ich bin etwa 2017 auf AuGeil aufmerksam geworden. Per Zufall spielte meine Band The Shattered Mind Machine mit Addicthead im schwarzen Haus in Winterthur. Da wir Anschluss suchten und das verschrobene Logo mit dem rauchenden Totenkopf eine gewisse Faszination auf uns ausstrahlte, suchte ich den Kontakt zu Tobi.
Gino Rusch (Bingo Hall River Boys): Meine erste Erinnerung sind die Vereinsversamlungen und Sitzungen. Den regen Austausch über Musik und die aktuellen Projekte habe ich immer sehr genossen. Für mich ein Sinnbild für den AuGeil „Spirit“. Ein umtreibiges Kollektiv aus Musiker:innen und Austauschraum für tolle Ideen, Wissen und Projekte.
„Für uns war AuGeil ein Glücksfall. Ich weiss nicht, ob wir ohne das Label heute noch Musik machen würden.“
Simon Hirzel, Musiker
Carmen Bosshart (Prozpera): Die erste Erinnerung, die ich persönlich mit Augeil hatte war kurz vor meinem allerersten Konzert an Valentinstag 2020 als sich Remy bei mir meldete, dass das Label an meinem Sound interessiert ist und auch an das Konzert kommt. Ich war so unglaublich nervös, aber war richtig cool.
In den vergangenen Jahren haben wir immer mal wieder über das Frauenfelder Label berichtet. Eine Auswahl dieser Beiträge bündeln wir hier:
Die Website des Labels ist nach wie vor online:
Jana Kohler (Bingo Hall River Boys): Als erstes muss ich direkt ans Logo denken. Es ist mir damals, als ich angefangen habe das Kaff in Frauenfeld zu besuchen, häufig begegnet. Auf T-Shirts, auf Tags und Stickern, als Banner auf der Bühne. Die damaligen Mitglieder und Bands waren dort häufig anzutreffen und gefühlt jede:r dort hatten eine Connection zum Label. Irgendwann kaufte ich mir dann auch Merch mit Totenkopf und «Augeil» Schriftzug. Sogar ein Tie-Dye Shirt hat es in meinen Kleiderschrank geschafft. Für mich war Augeil auch ein Einstieg in eine neue Musikwelt. Ich hörte damals viel Alternative- und Indierock, aber da war kaum jemand dabei, der noch nicht etabliert war. Ich war damals noch an der Kantonsschule und fand es ziemlich cool, Shirts mit unbekannten Indielabels zu tragen, die nicht ganz dem Schuldresscode entsprachen. Darauf geeinigt, ob der Totenkopf nun kifft oder raucht, hat man sich meines Wissens nie.
„Für mich war Augeil auch ein Einstieg in eine neue Musikwelt.“
Jana Kohler, Künstlerin und Musikerin
Warum war AuGeil Records wichtig?
Rémy: Der Thurgau ist ein hartes Pflaster für junge Kunst- und Kulturschaffende. Das Kaff und später der Horst waren praktisch die einzige Auftrittsmöglichkeit im ganzen Kanton. Wir blickten immer ein wenig sehnsüchtig nach Winterthur, Zürich oder in die total coole Romandie, wo es mit „A Tree In A Field” oder „Hummus” bereits Underground Labels gab. Sich zusammenraufen, einen Verein zu gründen, sich gegenseitig unterstützen und ein Netzwerk aufzubauen hat uns sehr geholfen, ein gewisses Selbstverständnis für die eigene Kunst zu entwickeln. Plötzlich waren wir eine Szene. Irgendwie lustig, wie wenig es gebraucht hat. Ein Logo, eine kleine Homepage und natürlich ganz viel tolle Musik.
„Sich zusammenraufen, einen Verein zu gründen, sich gegenseitig unterstützen und ein Netzwerk aufzubauen hat uns sehr geholfen, ein gewisses Selbstverständnis für die eigene Kunst zu entwickeln.“
Rémy Sax, seit Gründung im Vorstand
Gino: AuGeil war einer der wichtigsten Bestandteile der Frauenfelder Musikszene und der ganzen Ostschweiz. Ausserdem auch in meinem Umfeld, sei es privat oder in der Kulturarbeit. Daher war immer klar: Sobald wir was releasen …
Jana: Unsere engsten Freund:innen waren Teil von Augeil und wir wollten auch Teil des Katalogs werden. Wir haben uns nur allzu gerne zwischen Paradisco, Obacht Obacht und Prozpera eingereiht. Es war eine sehr niederschwellige Zusammenarbeit, was für beide Seiten gut passte. Das Umfeld von Augeil hat uns motiviert, Musik zu machen und uns auszuprobieren. Dieser Support hat uns als Newcomers gutgetan.
Carmen: Augeil hat einen super vielfältigen Katalog aus Bands von verschiedenen Genres, es war mir eine Ehre, dass ich ein Teil davon sein konnte.
„Es war mir eine Ehre, dass ich ein Teil von AuGeil Records sein konnte.“
Carmen Bosshart aka Prozpera, Musikerin
Louis Keller (Gamma Kite): Der Austausch unter DIY-Musiker:innen, die im Untergrund zu finden sind, ist extrem wichtig. Vor allem in Zeiten des Mainstreams, Clubsterben, Kulturgeld-Kürzungen …
Tobias: Das Sammeln und Auftreten als Kollektiv war mir wichtig. Ich wollte die Szene, die in Frauenfeld passierte, irgendwie in die weitere Schweiz verbreiten, weil ich das Gefühl hatte, dass das doch gehört werden muss. Ich habe gedacht, meine Freund:innen denken sicher gleich, und diese Annahme hat sich beim Rumfragen nach anderen potentiellen Gründungsmitgliedern bestätigt. Mit der Zeit hab ich dann auch gelernt, dass mir Kollektivarbeit sehr viel Spass macht und auch extrem viel zu meiner künstlerischen Entwicklung beitragen kann.
Simon: Für mich war die Energie rund um das Label sehr inspirierend. Da waren plötzlich Gleichgesinnte, die Lust auf ähnlich merkwürdige Musik wie wir hatten. Das kannte ich aus meiner Jugend im biederen Zürcher Unterland bisher nicht, wo wir mit unserer Musik ziemliche Outsider waren. Hier wurde sich gegenseitig gefördert, Konzerte organisiert und Freundschaften gepflegt. Für uns war AuGeil ein Glücksfall. Ich weiss nicht, ob wir ohne das Label heute noch Musik machen würden.
„Ich wollte die Szene, die in Frauenfeld passierte, irgendwie in die weitere Schweiz verbreiten, weil ich das Gefühl hatte, dass das doch gehört werden muss.“
Tobias Rüetschi, Gründungsmitglied und erster Präsident
Was würdest du sagen, waren entscheidende und wichtige Schritte für AuGeil und auch für dich persönlich mit Blick auf das Label?
Carmen: Ich denke, ich wäre nie darauf gekommen, mich für Gigs zu bewerben und in der Musikszene ein bisschen durchzusetzen. Durch Augeil ging das Booking mega einfach und ich konnte mich mit verschiedensten Ecken der Schweizer Kultur-Bubble vernetzen.
Simon: In den ersten Jahren lebte die Label-Idee sicher vom Zusammenhalt der Bands und auch davon, dass es mit dem KAFF an der Grabenstrasse eine Art Hauptquartier gab, wo man sich häufig traf. Die Schließung des KAFFs war für mich ein wichtiger Einschnitt, da die niederschwelligen Begegnungen nun wegfielen. Auch verstreute sich das anfängliche Knäuel nach einigen Jahren in alle Richtungen, währenddessen das Label aber immer bekannter wurde. Plötzlich spielten AuGeil-Bands im In- und Ausland, statt Lokalradios berichtete das SRF, es gab mehr und mehr Releases und Kulturgeld wurde gesprochen. Das auf wenigen Schultern zu stemmen, wurde immer schwieriger.
„Die Schliessung des KAFFs war für mich ein wichtiger Einschnitt, da die niederschwelligen Begegnungen nun wegfielen.“
Simon Hirzel, Musiker
Gino: Ich war ja nicht so lang dabei. Aber ich denke ein wichtiger Schritt war die Vernetzung über die kantonalen Grenzen hinweg. Später dann, auch wenn sehr bedauerlich, der gemeinsame Entscheid das Kollektiv aufzulösen und die Kräfte in anderes, neues und wichtiges zu stecken. Was eigentlich auch dieser umtriebigen, jungen Energie von dazumals, gerecht wird.
Remy: Die wichtigsten Schritte waren für mich immer einzelne Releases. Das erste Obacht Obacht Album, das Tobias Rüetschi in seinem Schlafzimmer aufgenommen hat. “Bébé” von Crème Solaire und die Erkenntnis, dass die Idee eines im kollektiv organisierten Labels plötzlich in der ganzen Schweiz die Runde machte. „Tape of Convergence” von Gamma Kite, das erste Album, das eine etwas breitere Masse angesprochen hat und auf offene Ohren beim Srf 3, Kanal K und der Musikfestwoche stiess.
Gibt es einen Lieblingsmoment, den du mit AuGeil verbindest?
Tobias: Es war immer schön, andere Leute an anderen Ecken der Schweiz über AuGeil reden zu hören. Zum Beispiel an der Bad Bonn Kilbi beim Plattenstand hab ich mal ein Gespräch von zwei mir unbekannten Menschen überhört, dass AuGeil immer ein Prädikat sei für spannenden Sound. Oder ist mir auch mal zu Ohren gekommen, dass es irgendwo wohl das Gerücht herum schwirrte, dass alle AuGeiler:innen zusammen in einem grossen Haus wohnen, so voll kommunemässig.
Gino: Yes. Ich hab das zwar nicht erlebt, aber ich mag die Geschichte.
In einem Berner Plattenladen hat wohl der Besitzer jemanden aus dem Verein auf die überraschte Feststellung der AuGeil Platten in einer Box, entgegnet: „Ach ja natürlich. Die leben doch alle in so einem alten, schäbigen Haus und machen dort Musik oder?“ Das Missverständnis rührt wohl von der KAFF-Nähe. Auch wenn das natürlich nicht stimmte, finde ich es eine lustige Metapher zum Verein, der sich für mich manchmal schon ein wenig so angefühlt hat.
Tobias: Das fand ich auch ziemlich witzig - der Mythos AuGeil.
Remy: Legendär war das „Büro” Konzert via Stream, übertragen aus der Gisi in Winterthur während der Pandemie. Wir stellten an der jährlichen Generalversammlung den Fernseher und die Anlage auf die Terrasse der Buchhandlung in Frauenfeld, assen gemeinsam Risotto und tanzten die ganze Nacht. Irgendwie brachte das vieles zusammen, was uns ausgemacht hat. Die Lust am Improvisieren und Ausprobieren, das Feiern der eigenen Kunst und die Gemeinschaft einer Gruppe von Gleichgesinnten.
„Die Lust am Improvisieren und Ausprobieren, das Feiern der eigenen Kunst und die Gemeinschaft einer Gruppe von Gleichgesinnten.“
Remy Sax, auf die Frage, was AuGeil Records ausgemacht hat
Simon: Es waren im Rückblick die kleinen Dinge, die das Label für mich ausgemacht haben. Gut in Erinnerung bleibt mir zum Beispiel eine AuGeil-DJ-Session im KAFF, wo wir als Band einen Abend lang Musik auflegen konnten. Es waren vielleicht eine Hand voll Leute da, aber uns bedeutete der Abend viel. Wir bereiteten uns sorgfältig darauf vor, zogen passende Outfit an und hatten einen riesigen Abend. Das Label lebte für mich auch von seinem Ruf: immer unberechenbar, was der rauchende Totenkopf als nächstes ausspuckt. Das wurden mir aber erst klar, als wir begannen, weiter als nur in der Region Zürich/Thurgau zu spielen. Dieser lose Zusammenschluss hatte eine enorme Aussenwirkung, was uns im Inneren manchmal wohl auch nicht so bewusst war.
„Das Label lebte für mich auch von seinem Ruf: immer unberechenbar, was der rauchende Totenkopf als nächstes ausspuckt.“
Simon Hirzel, Musiker
Carmen: Kurz und knapp: Alle Sample-Releases!
Jana: Ich habe dadurch stets neue Bands und Projekte entdeckt, weit über die Thurgauer Bubble hinaus. Auf den Tapes hatte es auch immer Platz für Experimente, was ich sehr geschätzt habe. Die Parties gaben Einblick ins aktuelle Musikschaffen der Bands und waren gleichzeitig eine Austauschplattform für uns Künstler:innen. Und natürlich auch einfach eine Zelebrierung der Musik. Die CDs und Tapes höre ich auch tatsächlich noch immer und denke dabei «Stimmt, das Projekt gab es ja auch mal» oder «Wow, wie sich die Band musikalisch verändert hat».
„Auf den Tapes hatte es auch immer Platz für Experimente, was ich sehr geschätzt habe. Die Parties gaben Einblick ins aktuelle Musikschaffen der Bands und waren gleichzeitig eine Austauschplattform für uns Künstler:innen.“
Jana Kohler, Künstlerin
Louis: Und natürlich auch die Augeil-Sessions, welche mit Hauruck in einem Proberaum an einem Tag produziert wurde.
Warum endet diese Geschichte jetzt? Was sind deine Gefühle mit Blick auf den Abschied?
Remy: Die Selbstverständlichkeit, dass alles, was aus Frauenfeld kommt und in unserem Umfeld passiert, einen Platz bei AuGeil Records hat, ist mit der Zeit etwas verflogen. Wir stellten uns natürlich auch viele inhaltliche Fragen zum Label. Wer entscheidet, was released wird? Was heisst es überhaupt „dabei” zu sein, wenn es keine Verträge oder Verpflichtungen gibt? Wie steht es um die Diversität im Label? Brauchen wir bezahlte Stellen, Verträge etc.? Am Ende hat sich vieles bei wenigen angestaut und bei mir stellte sich nach acht Jahren eine gewisse Müdigkeit ein. Die Freiwilligenarbeit fühlte sich einfach immer mehr wie schlecht bezahlter Service und weniger nach Gemeinschafts-Projekt an. Wenn das passiert, solltest du etwas ändern. Für mich hiess das, die administrativen Aufgaben beim Label abzugeben. Leider fand sich keine Nachfolge und so entschieden wir uns, nach langer Suche einen sauberen Schlussstrich zu ziehen.
„Am Ende hat sich vieles bei wenigen angestaut und bei mir stellte sich nach acht Jahren eine gewisse Müdigkeit ein. Die Freiwilligenarbeit fühlte sich einfach immer mehr wie schlecht bezahlter Service und weniger nach Gemeinschafts-Projekt an.“
Rémy Sax, seit der Gründung im Vorstand
Simon: Einerseits bin ich froh und dankbar, mit tollen Leuten etwas Eigenes auf die Beine gestellt zu haben. Andererseits ist es auch schade, die teils mühsam erarbeiteten Strukturen nun aufzugeben. Ich denke aber, dass es die richtige Entscheidung war. Eigentlich war es ja immer Hilfe zur Selbsthilfe. Zu Beginn wollte niemand diese Alben veröffentlichen. Nun wurde es mehr und mehr zu einem Büro, und der kleine Kreis, der die Arbeit eigentlich gerne für andere erledigte, wollte im Kern jedoch auch nur selbst Musik machen, statt sich mit Distributoren, Sitzungstraktanden und Webshop herumzuschlagen.
Tobias: Eine gute Beschreibung der Gründe findest du im SRF Podcast (was auch ein Highlight für mich war, wäre vielleicht auch eine gute Antwort für die Frage oben: Die Aufmerksamkeit vom SRF, bzw. Andi Rohner, war natürlich super bestätigen und etwas, dass ich mir zu Beginn der ganzen Geschichte nie gedacht hätte.) Ich denke, es ist besser einen Schlussstrich zu ziehen, als das ganze versanden zu lassen. Ich freue mich, mehr Kapazität für neue Projekte zu haben.
Louis: Ich denke es war an der Zeit für ein Wechsel. Nach so langer Zeit kann sich oftmals eine Neuorientierung positiv neue Ideen auswirken.
Gino: Wie schon angetönt. Die Mitglieder haben ihre Kräfte und Interessen verlagert und neue Wege eingeschlagen. Als sich die Kräfte so entbündelt hatten und alle in neue Richtungen gingen, war auch klar dass das Kollektiv nicht mehr so weitergehen kann. Die daraus resultierende Auflösung, war eine logische Konsequez und ermöglicht nun Raum für neue Projekte. Ausserdem sind all die Ressourcen die wir erlernen, aneignen und nutzen durften ja nicht verloren. Sie können nun in verschiedenene anderen Projekten und Kollektivne verwendung finden. Ausserdem wird das Netzwerk und die Freundschaften weiterhin bestehen.
„Ich denke, es ist besser einen Schlussstrich zu ziehen, als das ganze versanden zu lassen.“
Tobias Rüetschi, Gründungsmitglied und erster Präsident
Jana: Viele von uns haben den Wunsch, weiterhin künstlerisch zusammenzuarbeiten und als Kollektiv zu agieren. Das passt vielleicht einfach nicht ganz in eine klassische Labelstruktur. Ich hoffe, dass sich Teile von Augeil auch in Zukunft organisieren und die Netzwerke bestehen bleiben. Ich habe dank Augeil jedenfalls tolle Freundschaften geschlossen.
Carmen: Es ist ein recht bürokratischer Prozess und es war einfach too much at one point und viele Mitglieder schlagen jetzt auch einfach ihren eigenen Weg ein. Es ist schon traurig aber wir sind alle noch mega close und werden uns sicher nicht aus den Augen verlieren. Ich bin unendlich dankbar, dass ich einen Teil von einem so coolen Label sein durfte. Much Love an alle, die daran beteiligt waren.
Gino: Danke AuGeil! Und danke an alle die dabei waren! Dazumals als Teenager wart ihr eine wichtige musikalische und kulturelle Prägung und (dann später auch mit mir als wir) ein Unterschied für die Musikszene im Osten und der ganzen Schweiz. DIY till we die (i guess ein bizeli auch schon jetzt).
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