von Jeremias Heppeler, 23.09.2025
Heldenreise im Kopfhörer

Rémy Sax verdichtet auf «Schloss» seine ganze musikalische Erfahrung zu einer traumhaften Heldenreise zwischen Retro-Charme und futuristischem Sound. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Rémy Sax hat sich in den letzten Jahren zu einem wahren Pfeiler des Thurgauer Kulturlebens entwickelt – ob als Musiker in zahlreichen Bandprojekten wie Carve Up, als Vorstandsmitglied des Frauenfelder Augeil-Labels (RIP), Juniorchef der Buchhandlung Saxbooks, im Umfeld des Kaff oder als Gründungsmitglied des neuen Kulturbotschaft-Vereins. Rémy ist da. Immer. Mutig, aber selten übermütig. Bedingungslos experimentell, aber eben – vielleicht kommt das mit der Erfahrung – auch konsequent.
Im Herzen dieser Nebelschwaden bleibt die Musik. In ihr stecken seit jeher Rémys Herz und Blut. Folgerichtig bündelte er nun seine gesamte Energie in einem Soloprojekt – gar nicht so einfach für einen Teamplayer: «In unseren Bandprojekten versuchen wir, allen Musikerinnen viel Platz für ihre Ideen zu geben und beschäftigen uns auch mit Fragen der Gemeinschaft. Alleine treffe ich die Entscheidungen, vom Songwriting über den Mix bis zum Albumcover. Das ist viel Freiheit, die sich komischerweise auch mehr nach Arbeit anfühlt. Es braucht Überzeugung, stundenlang allein im Studio zu sitzen, aber es ist sehr belohnend.»
Sechs Stücke, ein Schloss
Die Solo-EP «Schloss» umfasst sechs Stücke und erscheint auch als edles Tape. Als Vorbote jagte Rémy den treibenden Track «Cold Feet» samt kongenialem Video von Jana Kohler in den digitalen Orbit. Audiovisuell erzählen Rémy und Jana ein verträumt-vertrautes Mittelalter-Rollenspiel, das sich mit ungeheurem Retro-Charme an den Frühzeit-Internet-Sound schmiegt – einen Sound, den Rémy seinen Geräten mit der traumwandlerischen Sicherheit eines Zirkusdompteurs entlockte.
Der Ansatz kommt nicht von ungefähr, wie der Musiker erklärt: «Die ersten Demos für SCHLOSS sind für einen Videospiel-Prototypen von Michael Staub entstanden. Mich hat die Frage interessiert: Wieso ist es für uns so wichtig, Dinge über unser eigenes Leben in Fantasy-Stories zu erfahren? Meistens geht es um Aufbruch, Veränderung und eine scheinbar unüberwindbare Aufgabe. Ich bin beim Songwriting also einer Geschichte gefolgt.»
Klang als weisses Kaninchen
Das Album wirkt wie eine verträumte Heldenreise, ein Abtauchen in eine andere Welt. Der Sound ist das weisse Kaninchen, das uns in seinen nicht enden wollenden Bau lockt und dort zum Tanz auffordert. «Ich nehme mir mit jedem neuen Release vor, die Leute zum Tanzen zu bringen. Irgendwie klappt das aber nie so richtig. I guess, es ist auch okay, sich SCHLOSS ganz entspannt zu Hause auf dem Sofa, traurig unter der Dusche oder in einer schlaflosen Nacht zu geben», sagt Rémy.
«Schloss» ist ein ungeheuer verdichtetes Stück Musik. Die EP ist extrem kompakt – nur zwei Songs knacken die Drei-Minuten-Marke –, wodurch man sie beinahe automatisch als zusammenhängendes Gesamtwerk hört. Der Sound bewegt sich spielerisch zwischen Retronostalgie und futuristischen Gedankenspielen, von «The Party» (ein Opener, der an die besten Beirut-Zeiten erinnert) bis zu «Play It Safe Now» (dem grössten, beinahe orchestralen Stück).
Zusammenarbeit als Funke
Obwohl Rémy den Entstehungsprozess als Arbeit beschreibt, fühlt sich das Ergebnis wie ein fluffiges Lo-Fi-Bällebad aus Samples, verrutschten Riffs und synthetischen Klangteppichen an. Man denkt an die Soundtrackarbeiten von Trent Reznor (Nine Inch Nails) und Jonny Greenwood (Radiohead), die seit Jahren süchtig nach visuellen Impulsen wirken.
«Ich arbeite immer wieder mit visuellen Künstlerinnen zusammen. Durch diese Kollaborationen öffnen sich im besten Fall neue Welten und Bilder, die ich dann in Musik verwandeln darf. Bei den ersten Demos für das Spiel von Michael hatte ich schnell das Gefühl: Das ist etwas Besonderes – damit möchte ich in meiner eigenen Kunst weitermachen.»
Ein Soundtrack fürs eigene Leben
So gelingt Rémy ein ungewöhnlicher Zug: «Schloss» erscheint als losgelöstes Musikprojekt und zugleich als liebevoller, verschrobener Soundtrack ohne direkte Verknüpfung. Wir dürfen diese Songs nehmen und sie wie Filter über unser eigenes Leben legen – und uns selbst wie Link auf der nächsten Prinzessin-Zelda-Befreiungsaktion fühlen.
Mit «Schloss» auf den Ohren wird selbst der Weg zum Mülleimer oder Kühlschrank zur magischen Quest. Die EP ist die perfekte Untermalung, um das eigene Leben ein wenig ins Absurde zu drehen.
Und ja, manchmal zuckt dabei das Tanzbein unkontrolliert. Ganz wie es sich der Künstler gewünscht hat.

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