21.01.2021
«Das Theater ist mein Südseestrand»
#meinerstesmal: In der neuen Serie erzählen Kulturschaffende von ihren ersten Bühnenerlebnissen. Wie sie sie prägten und was sie daraus lernten. Heute: Der Regisseur Florian Rexer. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Eines meiner aktuellen Programme heisst „Mafiadinner - das letzte Ma(h)l“. Es ist die Ironie des Schicksals: Vor dem letzten Lockdown im März 2020 spielten wir dieses Programm mit dem passenden Titel zum letzten Mal vor Publikum und ebenso geschah es vor dem jetzigen Teil-Lockdown.
Es scheint als würden wir immer wieder von vorne anfangen in den letzten Monaten. Für Schauspieler eigentlich nichts ungewöhnliches. „Alles auf Anfang, und bitte!“ Der Unterschied, der grosse Unterschied ist einfach: Dieses „Zurücksetzen“ geschieht momentan in der Realität. Da bleibt nichts von der Magie die unser so eigenes Theater-Universum umgibt. Da bleibt nackte Realität.
Rückbesinnung auf den Anfang
Längst hat die echte Welt die Fiktion überholt. Vielleicht tut es da ganz gut dem Ruf von Thurgaukultur zu folgen und sich ganz zurück zu besinnen. Auf sich selbst. Auf den Anfang.
Wenn die berufliche Perspektive zu verschwinden droht, dann macht es Sinn stehen zu bleiben und sich auf das Innerste zurückzubesinnen. Um nicht zu vergessen wer man ist und was man doch eigentlich so gerne tut: „Sein oder nicht sein“.
„Meine erste Begegnung mit dem Theater? Ich war grade mal 6 oder 7 Jahre jung. Nie vergesse ich den Geruch, die Farben.“
Florian Rexer, Regisseur und Schauspieler
Bevor es zu pathetisch wird, erinnere ich mich an meine erste Begegnung mit dem Theater: „Zwerg Nase“ ein Märchen von Hauff im „Steintäli“ einer Freilichtbühne unweit meiner schwäbisch-badischen Heimat.
Nie vergesse ich den Geruch, die Farben. Ich war grade mal 6 oder 7 Jahre jung. Ich begann von da an nur noch Theaterbühnen zu malen und zu zeichnen. Zuhause spielte ich Szenen meiner Familie vor. Ich spielte im Schultheater und im Religionsunterricht.
Kaiser Augustus und den Bräutigam in der Vogelhochzeit. Dann das erste Mal vor „Richtigem Publikum“. In der Stadtbücherei als „Wettermacher“: Ich kenne noch den Text. „Wenn Ihr vom Wettermachen sprecht, da komm ich ja gerade recht, ein Mann der Wetter machen kann….“
Meine Berufswünsche: Koch, Diplomat, Kapitän, Vampir oder Ritter
Dann haben die Schule und die Pubertät versucht, mich von diesem inneren Drang abzulenken. Weg von der Berufung zum Beruf und zuletzt die Einberufung ins Militär. Ich liess mich überreden eine Karriere zu starten bei der Marine. Getrieben von romantischen Abenteuervorstellungen, die sicherlich meiner Theaterseele entsprangen.
Dann die Ernüchterung: Marschieren, Saufen, Kälte, Regen, Heimweh.
Als ich mal fragte: „Wann bekomme ich das Kommando auf einem Schiff“ da lachten sie mich aus in Kiel. Ein Berufsberater fragte mal was ich werden wolle. Ich sagte: Koch, Diplomat, Kapitän, Vampir oder Ritter. Er meinte nur, dann musst du Schauspieler werden.
Das grosse Glück, andere Menschen zum Lachen zu bringen
„Oh, wer nur einmal jemand anderer sein könnte, nur ne Minute lang. Dem wäre geholfen“ heisst es bei Leonce und Lena von Büchner. Ich war überwältigt, als ich im „Theater im Marienbad“ in Freiburg im Breisgau den Schauspieler Michael Miensopust das sagen hörte. Es hat mich zutiefst ergriffen.
Ich nahm Schauspielunterricht. Ich habe es immer gewusst, immer gespürt in mir. Ich habe es seit jeher geliebt, Menschen zum Lachen zu bringen.
Menschen zu berühren durch mein Spiel mein Handeln auf der Bühne. Nur hatte ich lange nicht begriffen, dass das ein Beruf sein könnte. Selbst als ich mein erstes Engagement bekam war mir das nicht bewusst.
Es ist ein ständiges Anfangen
Ich lebe seit ich 19 Jahre alt bin von und für diesen Beruf. Immer hatte ich Arbeit. Selbst in dieser Zeit. Denn die Arbeit des Schauspielers an sich und an der Rolle hört niemals auf. Es ist eine brotlose Kunst. Ich habe tatsächlich Zigeunerblut in mir. Mütterlicherseits von der Oma. Eine geborene Zarnak aus Polen. „Schwarze“. Fahrendes Volk. Ich denke unsere Kunst ist alt.
Wie gesagt: Es ist ein ständiges Anfangen. Geboren werden und sterben. Wie die Stücke. Einen Sommer lang glänzen sie und leben. Dann sterben sie mit der Derniere.
Ich glaube an die Wiedergeburt.
Ich bin sicher, dass wir auch das überleben
Und jeder Kollege/ jede Kollegin die eine wahre Künstlerseele ist, spürt und weiss das. Wir sind die Kinder. Die einfach nicht aufhören können und wollen mit dem Spielen. Deshalb habe ich gar keine Angst, dass wir nicht überleben.
Im Mittelalter hatten die Schauspieler 800 Jahre Krise. Als wir verboten waren von der Kirche. Aber das ist ein anderes Kapitel. Wenn ich Premiere habe mit meinem Comedy-Programm, dann ist das immer so ein erstes Mal. Es ist dieses Gefühl aus Angst und Freude. Die Freude sollte überwiegen. Bei mir tut sie das. Immer mehr je älter ich werde.
Heute schaue ich den Zuschauern ins Gesicht. Früher hatte ich da manchmal Angst oder tat so als wenn ich sie ansehen würde. Heute versuche ich dabei zu sein. Bei mir. Um jede Sekunde zu erleben und zu geniessen. Das erfüllt. Ich habe das gespürt als ich in der Krise „live“ ging aus dem Restaurant Panem in Romanshorn. REXER live. Da reichte ein Zuschauer, einer der am Schaufenster reinschaute. Das war mehr als 1000 Online-Teilnehmer/innen.
„Ja, sowas mögen wir Künstler nicht. Warten. Kein Licht, keine Zuschauer. Wir brauchen das Theater.“
Florian Rexer, Regisseur & Schauspieler
Es ist der Spiegel. Es ist das Echo. Dadurch fühle ich mich am Leben. Das pure Leben ist, wenn Du das erste Mal auftrittst. Du bist in diesem Augenblick am Leben. Es ist meine Meditation. Mein Yoga. Mein Südseestrand wie Grönemeyer sagen würde.
Ich stand mal neben ihm am Kopierer am Berliner Ensemble. Er schaute mich an während er auf 100 Notenblatt-Kopien wartete und sagte:“ Tot langweilig“.
Ja, sowas mögen wir Künstler nicht. Warten. Kein Licht, keine Zuschauer. Wir brauchen das Theater. Und jeder, der kommt und eine Show sieht möchte das: Leben. Ein Stück abhaben. Mitmachen oder einfach nur mitlachen. Auf noch viel Lachen. Demnächst in Ihrem…..
Florian Rexer im Internet: https://rexer.ch/rexer/
Die Serie #meinerstesmal
Dinge zum ersten Mal zu tun, ist immer etwas Besonderes. Der erste Schultag, der erste Kuss, die erste eigene Wohnung - fast jeder kann sich an diese ersten Male erinnern. Bei Kulturschaffenden ist so ein besonderer Moment - das Debüt. Oder das erste Mal vor Publikum stehen. Genau dieses Gefühl wollen wir mit der neuen Serie einfangen.
Was treibt diese Menschen an? Wie fängt man so was an? Und wie fühlt sich das an, wenn man mit einem künstlerischen Debüt, ganz gleicher welcher Sparte, vor ein Publikum tritt? Wenn man gewissermassen über sein eigenes Leben hinaus und in das Leben der anderen hinein tritt? Man plötzlich öffentlich wahrnehmbar wird, sich zeigt und, nun ja, heraus ragt?
Jeder kann mitmachen: Möchtest Du uns auch Deine Geschichte von Deinem ersten Mal erzählen? Dann mach das doch! Das Format ist aber offen für jeden Künstler: Wer seine Geschichte mit uns teilen möchte, schreibt einfach eine Mail mit seinem Text (auch Video- und Audiodateien sind möglich) an unsere Mailadresse: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch
Alle Texte auf einen Blick: Wir sammeln alle Beiträge der Serie in einem Themendossier. Das findet ihr hier.
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