von Doris Burger, 10.09.2024
Skulpturenforum im Villa Garten in Amriswil
Kunst verbindet über Grenzen – besonders die beiden Kommunen Amriswil und Radolfzell. Zum 25-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft sind Skulpturen aus Deutschland in die Schweiz gereist. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
In einem schönen privaten und doch öffentlich zugänglichen Garten Amriswils sind wundersame Gestalten gelandet: Bunte Schwimmerinnen schweben über hoch blühenden Stauden, klare Würfel aus Aluminium beleben geschwungene Kieswege, auf einer Rasenfläche ragt ein Stamm in die Höhe, darauf macht eine Figur Kopfstand, und ein alter Baum wird von einer weissen hölzernen Struktur erhellt. 13 Werke von sechs verschiedenen Bildhauerinnen und Bildhauern sind bis Ende des Monats im Villa Garten zu bestaunen. Dazu eine fest verankerte Gruppe von Bronzen aus dem Atelier Gert Gschwendtner, die immer im Zentrum steht.
Das Skulpturenforum wurde bei bestem Sommerwetter eröffnet, mit Bildhauerinnen und Vertretern der beiden Partnerstädte, mit interessierten Besuchern und den kunstsinnigen Besitzern des Gartens, Monika und Urs Laib. Nach einem gemeinsamen Rundgang ging es zum Apéro und zu engagierten Gesprächen über die Kunst, die Gartenkunst und die Natur. Genau am ersten des Monats September, denn in diesem Jahr wird zu Monatsbeginn stets gefeiert in Amriswil: mit einer Vernissage oder einer Eröffnungsveranstaltung.
Skulpturen im September
Zum 1225-jährigen Jubiläum der Gemeinde bekam jeder Monat ein Motto. „Im März standen beispielsweise die Sprayer im Mittelpunkt“, erklärt Andreas Müller, Kulturbeauftragter von Amriswil. Neben einer Ausstellung im Wasserschloss Hagenwil gab es einen Workshop, bei der jede und jeder die Graffiti-Kunst erlernen konnte. Im Juli wurde am Ziegeleiweiher mit neuen Liegestühlen und Cocktails gechillt, im August lag der Schwerpunkt auf dem Orientierungslauf. Nicht nur Kulturelles stand also bislang im Fokus, doch im September punkten wieder Kunst und Kultur.
Der Amriswiler Stadtrat Samuel Svec eröffnete mit einer engagieren Rede. Erik Hörenberg, Fachbereichsleiter Kultur aus Radolfzell, sprach anschliessend und übergab an Heike Endemann, Kuratorin und Organisatorin, Zollbeauftragte, selbst Bildhauerin und Ausstellende. Zum Zoll später, zunächst zu den Kunstwerken.
Endemann führte herum, sie hat die Künstler und Künstlerinnen eingeladen. Alle stammen aus Baden-Württemberg, sind freischaffende Profis und haben Bezug zu Radolfzell. Entweder als Teilnehmende bei einem der Bildhauersymposien, die alle zwei oder drei Jahre im Radolfzeller Mettnau-Park stattfinden, oder als Ausstellende beim Skulpturenpfad auf dem Radolfzeller Waldfriedhof.
OMI Riesterer beispielsweise, gelernter Zimmerer, Architekt und Bildhauer, der zwei Würfel nach Amriswil brachte. Aus massivem Stahl die Sockel, oben luftiges Alu oder Edelstahl, an geschichtete Balken erinnernd. Ein gewichtiges Werk von Riesterer, „Sechsteil“ von 2013 ist auf dem Radolfzeller Waldfriedhof zu entdecken.
Frank Teufel aus Tuttlingen wiederum ist in der deutschen Partnerstadt gut bekannt, seinen schlanken und eleganten Werken aus schwerem Stein wurde in diesem Jahr bereits eine Einzelausstellung gewidmet. Sein Werk „23008“ aus Carrara-Marmor reckt seine raffinierten Linien nun im Villa Garten in die Höhe.
Die Sehnsucht nach Wasser
Birgit Rehfeldt lebt in der Nähe von Stuttgart, auf den Fildern genauer. Eine trockene Gegend, und so vermisst die gebürtige Hamburgerin das Wasser und die See. Ganz klar. Ihre drei Schwimmerinnen mögen diese Sehnsucht ausdrücken, auch hier ziehen sie ihre Züge in luftiger Höhe statt im ersehnten Element. Ihr „Kopfstand“ wiederum steht konzentriert auf dem Stamm einer Tanne, aus einem Stück das Ganze. Rehfeldt ist mit nach Amriswil gereist und vollkommen begeistert von der Atmosphäre: „Ich möchte nur noch in der Schweiz ausstellen“, bekundet sie strahlend.
Bei der Vernissage war auch Birgit Feil, ebenfalls aus Stuttgart. Ihre „Adele Zimmer“, realistisch aus Ton modelliert und in Polymergips gegossen, möchte gerne abheben. Sie ist bereits auf einen Stuhl gestiegen, der zum Sprungbrett werden könnte. Zwei Kissen wie ausgebreitete Flügel, sie haben etwas Wolkenhaftes, könnten aber auch den Fall abbremsen. Ihr Vorname „Adele“ verweist auf das schwäbische Wort für Tschüss, wie sie den staunenden Zuhörern erklärt. Adele hat bereits eine Zwillingsschwester, die im Herbst als eine Art Gipfelkreuz auf einem Hügel bei Malmsheim im Schwäbischen aufgestellt werden wird.
Mammut in der Rotbuche
So zieht man von Kunstwerk zu Kunstwerk, Endemann verweist bei ihren Figuren „Helix 1 und Helix 3“ bescheiden auf ihre akademische Basis als Biologin. „Kletternd“ wiederum sägte sie aus dem Holz eines Mammutbaumes, der auf der Insel Mainau gefällt werden musste. Nun ziert er den Stamm einer gesunden Rotbuche im Villa Garten. In dünnem Stahl, Winkeln und Farbe arbeitet Barbara Jäger aus Karlsruhe, Partnerin von OMI Riesterer. Ihr „Gartenwinkel“ eröffnet den Skulpturenpfad auf dem Radolfzeller Waldfriedhof, zwei Arbeiten sind nun hier. „Drei Betrachterfiguren“ aus dem Atelier Gert Gschwendtner wiederum zieren dauerhaft den Garten. Sie sind im Besitz der Stadt Amriswil, und im Gegensatz zu allen anderen Skulpturen unverkäuflich.
Die anderen werden verkauft oder wandern wieder zu ihren Besitzern zurück, wieder über den Zoll. Vier Beamte haben sich bereits im Binnenzollamt Singen über die Papiere gebeugt, weitere vier an der Grenze in Kreuzlingen. Ein aufwändiges Prozedere, die Ausfuhr aus Deutschland mit zwei Lieferwagen plus Anhängern, erzählt Heike Endemann am Rande. Immer noch eine EU-Aussengrenze, doch überwindbar für die Kunst. Genau wie für Besucher, die schon fix geplant haben, am 14. September zur Kulturnacht nach Amriswil zu fahren.
Anreisen werden Kuratorin Heike Endemann, Barbara Jäger und OMI Riesterer, wahrscheinlich auch Frank Teufel. Vielleicht kann man auch wieder die Besitzer des Gartens, Monika und Urs Laib entdecken. Sie haben nicht nur ihren Grund zur Verfügung gestellt, sondern auch ganz praktisch bei der Umsetzung des Forums geholfen. Wie kann man in einem Naturgarten Sockel verankern, ohne den Boden zu zerstören? Herausforderungen, die souverän gelöst wurden, und den Dank an alle Beteiligten verdienen.
Die Ausstellung
Skulpturenforum in Amriswil. Zu sehen bis Ende September im Villa Garten, Bahnhofstrasse 20, 8580 Amriswil. Der Garten ist frei zugänglich und jederzeit geöffnet, besonders beleuchtet und belebt zur Kulturnacht am 14. September von 17-23 Uhr.
Mehr zur Kulturnacht in Amriswil unter www.kulturnacht-amriswil.ch
Mehr zum Stadtjubiläum in Amriswil unter www.1225.ch
Details zur Kulturnacht in Radolfzell am 2. Oktober 2024 unter https://kulturbuero-radolfzell.de/kulturnacht/
Von Doris Burger
Weitere Beiträge von Doris Burger
- Was Amriswil und Radolfzell verbindet (30.08.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Bildende Kunst
Ähnliche Beiträge
Zwischen Zugehörigkeit und Fremdsein
Die im Thurgau aufgewachsene Künstlerin Thi My Lien Nguyen richtet ihr Augenmerk im Kunstmuseum St. Gallen auf die Ambivalenz postmigrantischer Realitäten. mehr
Warum Räume für Kultur so wichtig sind
Schwerpunkt Räume: «Kultur braucht Raum, um zu entstehen, aber vor allem auch um ein Ort des Austauschs zu sein», findet die Malerin Ute Klein. mehr
Alte Mauern, neue Gedanken
Beim grenzüberschreitenden Festival „Heimspiel“ wird ab 15. Dezember die Arboner Webmaschinenhalle erstmals als Kunstort bespielt. Wie gut kann das funktionieren? Ein Baustellenbesuch. mehr