06.04.2017
Die Zeiten ändern sich
Am 25. März schloss das Musikhaus A & O Sound in Frauenfeld mit einem Räumungsverkauf seine Pforten. Zuvor trafen sich bei einer Abschiedsparty Mitarbeiter, Freunde und Kunden bei einer Abschiedsparty. Für viele kam die Schliessung überraschend, war der Laden doch bis zuletzt gut frequentiert. Wie kommt es, dass ein scheinbar bestens funktionierendes und beliebtes Geschäft aufgegeben werden muss? Ein Blick auf die Geschichte eines Musik(er)ladens, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Von Claude Wildi
1983. Die Neue Deutsche Welle erlebt mit Nena und Peter Schilling noch einen ihrer Höhepunkte, bevor sie nach und nach abebbt. In Felben gründen Andi Schmid und Oskar Kreuzer ihr Musikgeschäft A & O Sound. Die Initialen ihrer Vornamen leihen dem Laden seinen Namen. «Der A & O» hat mehr von einem Musikerflohmarkt als von einem Fachgeschäft. Das Angebot besteht anfangs ausschliesslich aus Occasionen. Einige Keyboards, rund ein Dutzend E-Gitarren und ein kleine Auswahl an Schlaginstrumenten sind alles, was geboten wird. Naja, nicht ganz alles. Zwei sehr sympathische Eigentümer, mehr Musiker als Verkäufer, erfüllen das Geschäft mit Leben. Der Kontakt zum Publikum ist unverkrampft, es wird im Laden gejammt und diskutiert. Nach und nach weichen die gebrauchten neuen Instrumenten, das Sortiment wächst.
Bescheidene Anfänge des Musikhaus A&O in Felben 1983. Bild: Privat
1985. Ein schlimmes Jahr, zumindest was die Charts betrifft: Opus mit Live is Life, Baltimora mit Tarzan Boy und Modern Talking mit ihrem Einheitsbrei führen sie an. Für die Musiker, die sich zu den A & O-Kunden zählen, gibt es hingegen erfreuliche Nachrichten: Der Laden zieht nach Frauenfeld an die Zürcherstrasse, das Sortiment wird vergrössert, das Personal aufgestockt.
1989. Das Jahr des Mauerfalls. Musikalisch herrscht mit Acts wie Madonna, Simple Minds und Phil Collins Normalität. Mit Gerry Meier erhält das A & O-Team Verstärkung. Der Bassist ist für das entsprechende Equipment zuständig. Ausserdem kümmert er sich aufgrund seines beruflichen Backgrounds um die Administration.
1991. 26 Jahre ist es her, dass Stephan Eicher mit dem schwiitzertüütschen «Hemmige» ein Hit in Frankreich landet. Das Musikhaus bekommt mit Pat Kasper einen weiteren kompetenten Berater. Der Sänger der «Noise Brothers» ist im Laufe der Jahre für Recording, Keyboards, und zuletzt PAs, zuständig.
1994. Mit «I schänke dr mis Härz» gelingt Züri West einer ihrer grössten Hits. Roland «Tole» Gust verstärkt das A & O-Team. Er ist, wie Gründer Andi Schmid, Gitarrist bei Lennox CF und als Radio- Fernsehelektriker (heute: Multimediaelektroniker) für den Reparaturservice, Gitarren und PAs zuständig.
1996. Als eines der ersten Musikhäuser weltweit eröffnet Thomann in Deutschland nahezu unbemerkt seinen Online-Shop, und das obschon noch keine sechs Millionen Computer mit dem Internet verbunden. «Musikinstrumente im Ausland zu bestellen ist für Schweizer Kunden kein Thema», zeigt sich Andi Schmid überzeugt.
Die Gitarrenabteilung: Dutzende Verstärker, Boxen und Effektgeräte, sowie über 100 E- und Akustik-Gitarren. Bild: Privat
1997. In Niederlenz eröffnet mit Musik Produktiv einer der grössten Musikhändler Deutschlands eine Franchise-Filiale in der Schweiz. Und auch in Frauenfeld tut sich etwas: A & O Sound zieht ins Zentrum an die Rheinstrasse. Damit ist das Geschäft auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar.
2000. Während eines Auftritts mit seiner Band Lennox CF in Ägypten stirbt A & O-Gründer Andi Schmid überraschend. An der Beerdigung in Frauenfeld erweisen ihm neben Angehörigen und Fans der Band auch viele Kunden des Geschäfts die letzte Ehre. Das Musikhaus wird nun gemeinsam von Oski Kreuzer und Gerry Meier geführt.
2005. Das letzte Jahr, in dem ausschliesslich CD-Verkäufe für die Ermittlung der Charts herangezogen werden; der Tonträger aus den 80ern verliert gegenüber Downloads laufend an Bedeutung. Mit Anja Büchel und Alex Good bekommt das A & O-Team zwei Mitarbeiter, die dem Musikhaus bis zu seinem Ende erhalten bleiben. Anja ist die letzte von vier Lernenden, die hier im Laufe der Jahre ausgebildet wurden. Nach der Lehre übernimmt sie die Schlagzeug- und Percussionabteilung. Alex Good ist in der regionalen Bandszene bestens vernetzt und betreut die Gitarren-Kunden. Zusammen tragen sie dazu bei, dass der Laden auch bei jüngeren Musikern Anklang findet.
Von 1997 bis 2017 befand sich das Musikhaus A&O an der Rheinstrasse in Frauenfeld. Bild:privat
2013. Etliche Musikhäuser haben bereits dichtgemacht, jetzt erwischt es mit Musik Produktiv einen «Grossen». Auch in Frauenfeld bekommt man das wachsende Online-Geschäft mehr und mehr zu spüren.
2014. Der Bundesrat entscheidet, dass bei der Einfuhr aus dem Ausland erst ab 300 Franken die schweizerische Mehrwertsteuer fällig wird. Gleichzeitig erhält der Schweizer Kunde die deutsche Mehrwertsteuer von 19 Prozent vollumfänglich zurückerstattet. Die Entscheidung stellt vor allem für Händler in Grenznähe einen Wettbewerbsnachteil dar. Derweil zieht sich Oskar Kreuzer altershalber aus dem Geschäft zurück, Gerry Meier wird neu alleiniger Geschäftsführer.
2015. Die Schweizerische Nationalbank hebt den Euro-Mindestkurs auf. Die Einheitswährung fällt gegenüber dem Franken ins Bodenlose und erholt sich bis heute nie mehr ganz. Der «Blick» titelt «Geiz ist geil»-Mentalität auch in der Schweiz. Hurra!». Wie die Händler in der Schweiz angesichts ihrer Kosten mithalten sollen, wird allerdings nicht verraten.
2016. Der Online-Händler Thomann macht mit 7 Millionen Kunden bereits 700 Millionen Euro Umsatz. Tendenz steigend.
2017. Der Mietvertrag für die A & O-Liegenschaft läuft aus. Eine Vertragsverlängerung für mehrere Jahre kommt für Gerry Meier und sein Team nicht in Frage. Die geschäftliche Entwicklung ist in Anbetracht des schwachen Euro, von Einkaufstourismus und Online-Shops wenig verheissungsvoll. Der Laden schliesst im März 2017.
Das Musikhaus war Musikschule, Treffpunkt und noch viel mehr
Zu seinen besten Zeiten beschäftigte der A & O sieben Mitarbeiter, führte zudem eine eigene Musikschule und veröffentlichte jährlich einen umfangreichen Produktekatalog. Auf mehr als 600 Quadratmetern standen Hobby- und Berufsmusikern über hundert Gitarren, Dutzende Verstärker, Keyboards und ein grosses Arsenal an Schlaginstrumenten zum Antesten bereit. Die Zeiten ändern sich. Vieles, was früher nur in einem Musikhaus erfahren und erlebt wurde, geht heute auch virtuell. Zum Beispiel MuSuGru und GruSuMu, zu deutsch: Musiker sucht Gruppe beziehungsweise Gruppe sucht Musiker. Heute lassen sich Gleichgesinnte übers Netz finden. Auch Händler nutzen längst Facebook und andere soziale Medien, um sich zu präsentieren. Auch sie nutzen das World Wide Web zur Recherche, informieren sich über neue Produkte, Trends, aber auch das Angebot der Konkurrenz. Die grossen Online-Shops stellen nicht nur Hersteller-Informationen zur Verfügung, es gibt Videos, Vergleichstabellen und Berichte, die teilweise aus eigenen Online-Magazinen stammen.
"Früher haben wir gejammt, jetzt wird nur noch gejammert"
Was wir mit dem A & O verlieren, ist mehr als ein Fachgeschäft, er war eine reale Anlaufstelle für Musiker und Techniker. Das hat auch die Abschiedsparty gezeigt, bei der Gäste und Mitarbeiter wehmütig an die vielen schönen Stunden erinnerten. Früher haben wir im Laden gejammt, jetzt wird nur noch gejammert. Neben den Musikhäusern sind allerdings auch die meisten Tonstudios , CD- und DVD-Händler verschwunden. Das Leben verschiebt sich zusehends in die eigenen vier Wände. Musiziert wird am Computer, Songs werden heruntergeladen und diskutiert wird in Foren. Ob es uns passt oder nicht, das einzig Stete ist der Wandel, oder wie Bob Dylan schon 1964 sang: The Times they are a-Changin'.
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