von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 27.02.2020
Trumpf oder Niete?
Schon 2016 hatte das Immobilienunternehmen HRS die Webmaschinenhalle in Arbon als Standort für das Historische Museum Thurgau angeboten. Die Frage ist: Taugt das 109 Jahre alte Gebäude wirklich für ein Museum?
Wer in Arbon ein bisschen Industriegeschichte spüren will, der muss in der Regel nicht lange suchen. Der frühere Industriegigant Saurer hat der Stadt zahlreiche steinerne Zeitzeugen seiner Wirtschaftswunderjahre hinterlassen. Und doch gibt es auch hier Orte, die mehr sprechen als andere. Einer dieser Orte liegt hinter zwei schweren dunkelroten Türen im Süden der Stadt. Über dieser Tür steht eine etwas in die Jahre gekommene Stahl-Glass-Fassade vom Beginn des 20. Jahrhunderts, ringsherum reihen sich braunrote Backsteine.
Tritt man also durch diese Tür hinein, fühlt man sich sogleich als träte man aus einer Zeitmaschine hinaus in eine andere Welt: das Licht schimmert leicht gedämmt durch die alten Fenster, über einem staubigen Regel hängen zwei Schilder: „Fabrikpost Ausgang“ und „Fabrikpost Eingang“ steht auf ihnen. Wüsste man es nicht besser, man meinte in einem kurzen Moment sogar die alten Maschinen rattern zu hören, die hier schwere Geräte produzierten.
Es ist der Eingang der zwischen 1909 und 1911 erbauten Webmaschinenhalle auf dem heutigen Saurer-Areal unweit des Bahnhofs. Fast 160 Meter lang, 18 Meter hoch, 30 Meter breit. Seit 1869 stellte Saurer hier zunächst Strick- und Webmaschinen für die damals blühende Textilindustrie her, später Lastwagen, Autobusse und Motoren unter anderem für die Schweizer Armee.
Ist die Halle das entscheidende Ass?
Dass dieser so aus der Zeit gefallen scheinende Ort nun wieder Aufmerksamkeit erfährt, hat viel mit Politik zu tun. Dominik Diezi, Stadtpräsident von Arbon, hat die Webmaschinenhalle mal wieder ins Gespräch gebracht - als möglichen Standort für das kantonale Historische Museum Thurgau. Seit Jahren kämpft die kleine Bodenseestadt darum, ein gewichtiges Museum für sich zu gewinnen. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob dieser Kampf von Erfolg gekrönt sein wird. Diezi jedenfalls ist überzeugt: „Die Webmaschinenhalle ist geradezu ideal für eine museale Nutzung“, sagte er unlängst an einer Medienkonferenz. Die Frage ist: Ist sie das wirklich?
Sicher ist: Die Vision eines historischen Museums in einem historischen Ort, der gleichsam das grösste Exponat der Ausstellung wird, ist kraftvoll. Nutzte man die komplette Halle, stünden fast 8000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung. Ebenfalls auf der Pro-Seite: Die Nähe zum Bahnhof, Parkplätze liessen sich vor dem Gebäude einrichten, Kooperationen mit anderen Museen in der Region wären möglich. Ja, spaziert man eines der Treppenhäuser hoch und blickt in die Hallen kann man sich relativ gut vorstellen, dass das funktionieren könnte mit einem industriegeschichtlichen Museum an diesem Platz. Einerseits.
Man ahnt: Eine Sanierung würde teuer werden
Läuft man weiter durch das Gebäude, dann kann man andererseits aber auch an dieser Vision zweifeln. Denn: Was ist mit jener Geschichte des Kantons, die vor der Industrialisierung spielt? Würde auch sie sich in diese Umgebung einfügen? Dazu kommt: Die Halle ist in einem mässigen Zustand, man müsste einiges investieren, um sie wieder in Schuss zu bringen. Im März 2018 hat es in der Halle gebrannt, ein Schaden von mehreren 100’000 Franken war entstanden. Dies sei alles wieder in Stand gesetzt, heisst es von der Eigentümerin. Dies ist seit 2012 die HRS, damals hatte es das Bau- und Immobilienunternehmen von der bisherigen Grundeigentümerin OC Oerlikon Corporation übernommen.
Schon 2016 hat die HRS ein Konzeptpapier (liegt thurgaukultur.ch vor) erstellt und eine mögliche museale Nutzung der Halle geprüft. Darin heisst es unter anderem, die Halle eigne sich „in idealer Weise für die Nutzung als historisches Museum des Kantons Thurgau“. Ein „modernes, modularer Ausstellungskonzept“ sei möglich. Und: Innerhalb des Gebäudes seien neben dem Museum weitere Nutzungen denkbar. Ein „interessanter Mix von Kooperationen und Synergien mit anderen Nutzern ist möglich“, so die HRS. Zu den möglichen Kosten gab es damals allerdings nur vage Angaben. Diese könnten „in dieser Phase nur abgeschätzt werden“. Festgehalten wird allerdings auch: „Preistreibend können allenfalls denkmalpflegerische, feuerpolizeiliche und energetische Auflagen sein.“
Bilderstrecke: Wie sich die HRS das Museum in Arbon vorstellt (Stand 2016)
HRS hat immer noch Interesse an einem Deal
Vier Jahre später hat sich an der Haltung der HRS wenig geändert: „Wir würden es begrüssen, wenn wir die Halle für eine museale Nutzung zur Verfügung stellen könnten“, sagt Michael Breitenmoser, verantwortlicher Projektleiter bei der HRS für das gesamte Saurer-Areal in Arbon. Ob zur Miete oder als Kaufobjekt, „da sind wir offen“, sagt Breitenmoser. Für die HRS wäre eine Übereinkunft mit dem Kanton auch deshalb erstrebenswert, weil man dann endlich eine dauerhafte Lösung für die Nutzung der Halle gefunden hätte. Aktuell sind die Räume zwar gewerblich vermietet, aber ein Museum, das Menschen in das Viertel bringt, und das neu entstehende Quartier belebt, damit käme das Immobilienunternehmen wohl ziemlich gut klar.
Vor allem auch, weil sich die Halle aufgrund ihrer Architektur und dem Stahlskelett nicht so gut für eine lukrativere Umnutzung in Wohnungen eignet. Schon im Konzeptpapier von 2016 hiess es: „Eine Nutzung als Museum ist weitaus zielführender als kleinteilige Nutzungseinheiten.“ Proaktiv angehen wolle das Unternehmen das Thema aber nicht. Man warte erstmal ab, wie sich der Kanton letztlich entscheide, so Projektleiter Breitenmoser. Wann dies so weit sein wird, ist derzeit allerdings kaum absehbar. Mal heisst es Ende März, dann wieder eher Frühling oder Sommer. So genau festlegen will man sich beim Kanton da bislang nicht.
Eine Traditionsfirma müsste für das Museum weichen
Für Martin Schlegel ist das eine gute Nachricht. Er ist mit seiner Textildruckerei TDS einer der verbliebenen Mieter in der Webmaschinenhalle. Im ersten Obergeschoss geht er einem raumgreifenden Handwerk nach, das es heutzutage nicht mehr so oft gibt - auf einem 60 Meter langen Tisch bedruckt er lange Stoffbahnen. Er bietet hier auch Siebdruck-Kurse an und vermietet die Halle gelegentlich für Events. Druckaufträge habe er von namhaften Modefirmen, öffentlich nennen dürfe er aus Vertragsgründen lediglich Jakob Schlaepfer aus St. Gallen, erklärt Schlegel. „Wir sind eine der letzten existierenden Handsiebdruck-Firmen“, so der gelernte Textilkaufmann. 1903 wurde die Druckerei gegründet, seit 2008 hat sie ihren Sitz in Arbon, Schlegel hat die Geschäfte 2016 übernommen.
Müsste er die Halle verlassen, er stünde vor einem grossen Problem. „Es ist schwer einen vergleichbaren Ort zu finden, in dem wir unseren grossen Drucktisch so wieder aufbauen könnten“, sagt Schlegel. Die Nachricht, das seine Zeit in der Webmaschinenhalle bald ein Ende nehmen könnte, hat er über einen Artikel auf thurgaukultur.ch erfahren. „Ich habe kurz gestutzt, aber ich beklage mich nicht. Es war immer klar, dass das hier ein Abrissobjekt ist. Mein Verhältnis zur HRS ist gut und ich möchte, dass das auch so bleibt“, sagt der TDS-Geschäftsführer. Noch bis Ende 2021 läuft sein Mietvertrag.
Synergie zwischen Museum und Textildruckerei
Was er von der Idee mit dem Historischen Museum hält? „Wenn ich nicht selbst so direkt davon betroffen wäre, würde ich es wahrscheinlich gut finden“, sagt er. Sollte es wirklich so weit kommen, hat er aber auch noch eine Hoffnung: „Es könnte sich ja auch eine Synergie daraus ergeben, wenn das Museum kommt. Vielleicht brauchen sie nicht die komplette Fläche und wir werden mit unserer Textildruckerei so etwas wie ein praktischer Teil des Museums und zeigen den Besuchern unser Handwerk“, beschreibt Martin Schlegel seine ganz eigene Vision für diesen Ort.
Was heisst all das jetzt? Kann die Webmaschinenhalle zum entschiedenen Ass für Arbon im Ringen um das Historische Museum werden? Der Ort hat ohne Frage seinen Reiz, aber eben auch seine Probleme. Viel wird am Ende wohl auch davon abhängen, was der Mitbewerber Frauenfeld im Wettstreit um das Historische Museum zu bieten hat. Und welche Vision, welcher Entwurf am Ende am meisten überzeugt. Deshalb muss zum jetzigen Zeitpunkt eine ehrliche Antwort auf die Titelfrage „Trumpf oder Niete?“ lauten: Alles ist möglich.
Bilderstrecke: Impressionen aus der Textildruckerei TDS
Zur Geschichte der Webmaschinenhalle
Die Geschichte: Die Webmaschinenhalle wurde ab 1909 nach Plänen des Baugeschäfts Wendelin Heene (St. Gallen) für die Adolph Saurer AG erbaut. Die erste Bauphase umfasste die zwölf nördlichen Achsen der Halle, vollendet bis 1911. Von 1910 dozieren die Pläne für den nördlichen Treppenhausanbau. 1912 wurde die Halle um acht weitere Achsen nach Süden verlängert. 1940 wurde nördlich des Treppenhausanbaus das Laboratorium angebaut. 1941 wurde die Halle um einen eingeschossigen Hallenteil, westlich des Laboratoriums von 1940 und des Treppenhausanbaus sowie nördlich der bisherigen Nordfassade des westseitigen, eingeschossigen Hallenteils erweitert. Das Backsteingebäude gehört zum Kernbestand des ehemaligen Giessereihofes und des heutigen Saurer WerkZwei.
Denkmalpflegerische Aspekte: Die Webmaschinenhalle ist im Hinweisinventar der kantonalen Denkmalpflege als „wertvoll“ eingestuft. Im Schweizerischen Inventar der Kulturgüter von regionaler Bedeutung ist das Objekt eingetragen. Der Bau ist im Inventar der schätzenswerten Ortsbilder Schweiz (ISOS) als Einzelobjekt mit Erhaltungsziel A („Erhalten der Substanz“) eingetragen. Nach Auffassung von HRS ist die gesamte Trauffassade nach Osten mit Treppenhausanbau und 20 Fensterachsen der Halle schutzwürdig: „Die Fassade in Sichtbackstein samt verputzter Sockelzone, (…), die bauzeitlichen Fensteröffnungen und die Dreiteilung der Fenster sind zu erhalten. Wünschenswert wäre zudem der Erhalt wenigstens von Teilen der ursprünglichen Verglasung.“ Als schutzwürdig wird in dem Konzeptpapier der HRS auch das gesamte Stahlskelett der ersten Bauetappe bezeichnet.
Hochwasserrisiko: In Gefahrenkarten ist das Hochwasserrisiko für das Areal eingetragen. Bei der Planung, so die HRS, müsse dies entsprechend berücksichtigt werden. Untergeschosse seien deswegen auch nicht vorgesehen. (Quelle: Konzeptpapier der HRS Real Estate AG aus dem Jahr 2016)
Making of: Wie die Geschichte entstanden ist
Als der Arboner Stadtpräsident Dominik Diezi an einer Medienkonferenz am 13. Februar 2020 die Webmaschinenhalle erneut ins Gespräch als Standort für das kantonale Historische Museum Thurgau brachte, war das als Fakt erstmal nichts Neues. Die Industriehalle war immer mal wieder in den vergangenen Jahren als möglicher Standort genannt worden.
Mich hat das dann genauer interessiert: Was steht eigentlich in dem Konzeptpapier der HRS von dem immer wieder die Rede war? Wie gut taugt das Gebäude wirklich für ein modernes Museum? In welchem Zustand ist die Halle heute? Welche Interessen verfolgt die HRS in der Sache? Eine erste Archivrecherche brachte wenig: Die Halle war zwar immer wieder erwähnt worden, ebenso wie das Papier der HRS. Was aber genau da drin stand beziehungsweise in welchem Zustand sich die Halle heute befindet, dazu habe ich kaum Informationen gefunden.
Das war der Ausgangspunkt der weiteren Recherche. Eine Anfrage bei der HRS um Einsicht in das Konzeptpapier von 2016 wurde nach einigen Tagen positiv beschieden. Zeitgleich meldete sich via Facebook Martin Schlegel von der Textildruckerei TDS bei mir. Er hatte meinen Text von der Medienkonferenz mit dem Stadtpräsidenten Dominik Diezi gelesen und war erstaunt von den Plänen auf diesem Weg zu erfahren. Schlegel schrieb: „ich lade alle Thurgauer Bürger, Kulturelle, Politiker, Katz und Maus herzlichst ein zu uns in die Tds Textildruckerei Arbon um einen Einblick zu gewinnen was Arbon bei einer Zusprache dieses Projekts zu verlieren droht.“
Wenige Tage später besuchte ich ihn in seiner Druckerei und konnte mir dabei auch gleich selbst ein Bild vom Zustand der Webmaschinenhalle machen. Ein weiteres Telefonat mit Michael Breitenmoser, Projektleiter bei der HRS für das Saurer-Areal, zum aktuellen Stand des Projektes aus Sicht der HRS, rundete die Recherche ab. Von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung des Artikels dauerte es zwei Wochen. (lün)
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