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von Anke Klaaßen, 03.06.2024

Wie schreibt man eigentlich ein Drehbuch?

Wie schreibt man eigentlich ein Drehbuch?
„Film ist Teamwork": Drehbuchautor Dominik Bernet im Porträt. | © Gian Vaitl SRF

Film ist immer das Zusammenspiel vieler Disziplinen. Die neue Serie „Unsichtbar“ stellt die Menschen hinter der Kamera vor. Zum Auftakt: der in Rorschach lebende Drehbuchautor Dominik Bernet. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Zum Einstieg eine ganz grundsätzliche Frage: Was macht eigentlich ein Drehbuchautor? „Als Drehbuchautor entwerfe ich einen Film auf Papier, ähnlich wie ein Architekt ein Haus entwirft und bis in den letzten Winkel plant und beschreibt. Ich beschreibe respektive erfinde also sowohl die Welt, in der der Film spielt, als auch die Charaktere, die in dieser Welt leben und handeln. Und dann erfinde ich natürlich die Geschichte dieser Charaktere und ihrer Welt“, erzählt der in Rorschach lebende Drehbuchautor Dominik Bernet.

Im Idealfall würden die Lesenden eines fertigen Drehbuchs einen Film vor ihrem inneren Auge sehen. Abenteuerlich daran sei, dass niemand der Lesenden denselben Film sieht. „Spätestens hier endet der Vergleich mit der Architektin, deren Pläne eine gewisse Eindeutigkeit aufweisen. Ein Drehbuch ist zugleich Vorlage und Inspirationsquelle; Regisseure und ihre Teams sind Interpretierende des Drehbuchs, das sich am Ende vollständig im Film auflöst“, so Bernet.

 

Mehr zur Serie: „Unsichtbare“ Filmemacher im Fokus

Filmmenschen sind zumeist Herdentiere – sie sammeln sich in Zentren: Zürich, Berlin, bei Filmfestivals. Das scheint schon in der Natur der Sache zu liegen, weil beim Film ja viele Kulturschaffende beteiligt sind. Und doch gibt es sie auch hier, im und um und aus dem Thurgau. Schnell zu finden sind dabei die Vertreter:innen der Berufe, die im Rampenlicht stehen: Schauspieler:innen und Regisseur:innen. Doch Filme als Leistung einer Künstler:innengruppe bilden ein Mosaik aus den unterschiedlichsten, teils eher wenig wahrgenommenen Gewerken: Kamera, Drehbuch, Animation, Licht, Ton. Eben jene „unsichtbaren“ Filmschaffenden jenseits der Schlagzeilen nimmt diese Serie in den Fokus.

Zuerst kommt das Buch – darum habe ich als Anfang der Serie mit dem seit 2020 in Rorschach lebenden Schweizer Drehbuchautor Dominik Bernet gesprochen. Alle Beiträge der Serie werden im zugehörigen Themendossier «Unsichtbar» gebündelt.

Leben und Schreiben im blinden Fleck

Dominik Bernet kommt gebürtig aus Basel. An den Bodensee, in die Nähe von Rorschach, ist er 2020 gezogen. Zuvor lebte und arbeitete er 20 Jahre in Zürich – also in einer der Städte, auf die sich die Filmproduktion konzentriert. Die Vorurteile über den Thurgau und die angrenzende Region, dass es da „nur Äpfel“, aber bestimmt keine Filmschaffenden gibt, kannte er auch, aber sie haben sich für ihn nicht bewahrheitet.

Weniger Filmschaffende gebe es wohl, aber er empfindet die Gegend als sehr divers. „Für mich war das auch ein bisschen ein blinder Fleck und ich mag blinde Flecken. Wenn man einen entdeckt, ist das so ein Gewinn. Gilt, glaube ich, für alles“, meint er. Aus Schweizer Perspektive werde der Bodensee oftmals unterschätzt, zu Unrecht, wie Bernet findet: „Man ist so an einem Fransen der Schweiz, hier dieses Seeufer und dann dort drüben ist der Rest der Welt und das finde ich eigentlich ganz angenehm.“ Wenn man am See entlanggehe, sei man immer ein Grenzgänger: „Das hat was.“

Eden für Jeden - das Drehbuch zum Film stammt von Dominik Bernet

Verschiedene Phasen des Schreibprozesses

Im Sommer lebt Bernet in einer kleinen Campinghütte bei Altenrhein, ganz nah am See, fährt oft mit dem Ruderboot raus. Weil man da im Winter nicht übernachten darf und es auch zu kalt ist, „überwintert“ er in der Stadt: in Rorschach.

Die Nähe zur Natur, die Weite am See, die Wasservögel mag er sehr: „Das ist ein guter Ausgleich zu der ganzen geistigen Arbeit mit all den Ideen und Gesichtern im Kopf, Haltungen und dann den Sätzen, die dazu entstehen sollen.“

Gerade im Anfangsstadium eines Projekts begebe sich Bernet gerne auch mal an, in oder auf den See und lasse den Ideen Raum. Später im Schreibprozess ändert sich das: „Je weiter und konkreter ich fortschreite, desto mehr Zeit verbringe ich vor der Tastatur. Und desto mehr Menschen reden und denken mit: Produktion und Dramaturgie, Regie und schliesslich Schauspiel und Filmgestaltung.“

Auf dem Weg zum Drehbuch

Als Dominik Bernet mit dem Filmeschreiben anfing, gab es noch keine Filmhochschulen. Er studierte in Basel Germanistik und Philosophie und lernte dabei auch die theoretischen Grundlagen des Drehbuchschreibens, vor allem über die Analyse, und begann, erste Texte und Drehbücher zu schreiben. Das Regieführen habe ihn jedoch nicht gereizt. Er war schon als Kind „filmfanatisch“, wie er erzählt.

Nach dem Studium arbeitete er einige Jahre in Werbung und Verwaltung, lebte zwei Jahre im Ausland, währenddessen bekam er schon erste Drehbuchaufträge. Über einen Nachbarn in Basel, den Regisseur und Produzenten Markus Fischer, fand er Eingang in die Filmszene.

Fischer inszenierte auch das erste Kinodrehbuch des Autors: „Marmorera“, ein Mystery-Thriller über eine geheimnisvolle junge Frau, die eines Tages aus dem Marmorera-Stausee auftaucht und der sich ein junger Zürcher Psychiater annimmt. Zeitgleich veröffentlichte Bernet die Geschichte als Roman. Seit 20 Jahren lebt der Autor nun ausschliesslich vom Schreiben.

Von Filmen und Serien

Als weitere Kinofilme entstanden später aus Bernets Feder „Die letzte Pointe“ (2017) und „Eden für Jeden“ (2020), inszeniert von Regisseur Rolf Lyssy. Zunächst jedoch folgten auf „Marmorera“ Auftragsarbeiten für das Fernsehen, vor allem mehrere Adaptionen der Buchreihe „Peter Hunkeler“ von Hansjörg Schneider. Das Schreiben für die Spielfilmreihe des SRF über den beliebten Kommissar habe Bernet viel Freude bereitet. Als gebürtiger Basler war er mit dem Lokalkolorit dieser Fernsehfilme sehr vertraut und genoss es, Drehbücher zu schreiben, die an seinen heimischen Locations spielen.

SRF-Filmkritik zu «Die letzte Pointe»

Nach den Hunkeler-Filmen schrieb Dominik Bernet mehrere intensive Jahre für „Der Bestatter“, eine im Auftrag des SRF produzierte Fernsehserie, die in Aarau spielt. Besonders spannend war dabei für ihn, im „Writer’s Room“ zu arbeiten. Damals war das Konzept, Drehbücher in einem Team von Autor:innen zu entwickeln und zu schreiben, noch relativ neu. Heute ist das gerade bei Serien eine sehr gängige Arbeitsform.

Schlechte Bezahlung, grosser Druck

Bei „Der Bestatter“ war Bernet einer von zwei Headautoren, die die Plots entwickelten und das übergeordnete Thema für die Staffel ausarbeiteten. Dann kamen noch zwei Staff-Autoren dazu, zum Schreiben der Treatments und Drehbücher. Diese Arbeit war für Bernet fast wie eine Festanstellung – eine ungewohnte Situation für Drehbuchautor:innen, die ja sonst selbstständig von Auftrag zu Auftrag leben und phasenweise auch sehr schlecht davon leben können.

Einerseits sei diese Sicherheit sehr angenehm, gleichzeitig aber eben auch ein „Wahnsinnsdruck“, erzählt Bernet: „Während der Dreh begann, waren wir schon wieder am Plotten. Das war so eine Maschine, die lief eigentlich das ganze Jahr durch.“ Nach vier, fünf Jahren war es Bernet dann zu viel und er stieg aus „Der Bestatter“ aus.

 

„Je länger jetzt diese Serienmanie wieder andauert, desto mehr habe ich das Gefühl, gute Spielfilme wirken dann manchmal beinahe wie ein Gedicht für mich.“  

Dominik Bernet, Drehbuchautor

Im Moment schreibt Bernet neben eigenen Filmprojekten und einem Roman auch wieder an zwei Serienproduktionen. In der Schweiz gebe es inzwischen keine Fernsehfilme mehr, da laufe dann alles über Serien. Bei den Serien sei es dasselbe wie beim Film: Es werde viel entwickelt, gemacht jedoch das wenigste.

Obwohl Bernet selbst mit Freude Serien schreibt, sieht er sie auch durchaus kritisch: „Je länger jetzt diese Serienmanie wieder andauert, desto mehr habe ich das Gefühl, gute Spielfilme wirken dann manchmal beinahe wie ein Gedicht für mich.“

Serien würden oftmals, wie soziale Medien auch, fast schon eine Abhängigkeit produzieren und versuchen, die Aufmerksamkeit der Menschen um jeden Preis zu bündeln. „Dabei bräuchten wir eigentlich das andere, dass man sich wieder auf andere Dinge einlässt und konzentriert, fokussiert…“, überlegt Bernet. „Das wäre so mein Plädoyer, dass man wieder mehr auch zumindest in der Schweiz den Spielfilm nicht vergisst.“

Eines seiner Lieblingsthemen – die Klimakatastrophe

Ob Film oder Serie: Bernet schreibt gerne Charaktere, die er selbst mag. „Schliesslich verbringe ich eine Menge Zeit mit ihnen. Aber natürlich brauchen auch meine Geschichten Leute, die mich nerven oder gar abstossen. Eines ist aber zwingend: Ich muss sie verstehen. Karl Valentin meinte einmal, jedes Ding habe drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische. Ich mag letztere ganz besonders, auch wenn sie nicht immer leicht zu entdecken ist – geschweige denn zu erzählen. Besonders bei schwierigeren Themen empfinde ich dies als lustvolle Herausforderung.“

Eines seiner Herzensthemen ist dabei die Klimakatastrophe, die er mittels der „Ökomödie“ zu begreifen versucht: „Damit möchte ich die Zugangsschwelle zu diesem doch eher ungeliebten und gerne verdrängten Thema so tief wie möglich halten – aber nicht tiefer, sonst wird es bekanntlich flach.“

Schreiben über die Filmleinwand hinaus

Dominik Bernet schreibt nicht nur Drehbücher, er verfasste auch drei Romane – „Marmorera“, „Der grosse Durst“ und „Das Gesicht“, allesamt erschienen im Cosmos Verlag. „Bücher. Ja, das ist schon so eine kleine Sehnsucht, wieder ein Buch rauszubringen.“ Da habe man „sein eigenes Ding“.

Eine ähnliche Begeisterung wie für den Roman erfasst ihn seit Neuestem für das Radio: Für den SRF verfasst er nämlich einen Radio-Tatort pro Jahr, der sich mit einer nicht nur menschenfreundlichen Schweiz im Jahr 2056 beschäftigt. Anzuhören hier: 

Premiere: Schweizer Radio Tatort – Mord im Outlog von Dominik Bernet

Return to Sender von Dominik Bernet

„Beim Radio, das ist ein Erweckungserlebnis“, schwärmt Bernet. „Das ist eine ähnliche Freiheit, die ich habe, wie beim Romanschreiben.“ Zwar gebe es auch da Grenzen, die Grenzen des Hörbaren. Und die Vermittlung, die Dramaturgie sei ein bisschen anders. Weil man als Filmeschreiber ja plötzlich nicht mehr die Augen hat. Sowohl vom Romanschreiben als auch vom Radio könne man als Autor schlecht leben – aber als Ergänzung zum audiovisuellen Schreiben empfindet Bernet es als eine grosse Bereicherung.

„Film ist Teamwork und ich finde, das müsste ganz deutlich werden.“  

Dominik Bernet

 

In Deutschland kritisiert aktuell der DDV (Deutscher Drehbuch Verband), dass Drehbuchautor:innen beim Filmfest München noch immer nicht gleichberechtigt mit der Regie genannt werden. Bernet erzählt, dass sich diese Frage bei den Serien auch in der Schweiz stellt und dass der SRF darum bemüht sei, Regie und Drehbuch in einem Atemzug zu nennen.

„Film ist Teamwork und ich finde, das müsste ganz deutlich werden. Deutlicher.“ Wenn ein Film wirklich gut sei, liege das am Zusammenspiel von allen: „Nur schon auch die Setbilder, das finde ich so grandios: Leute, die Sets bilden oder auch schon die Props, die ganzen Requisiten, das muss alles stimmen.“ All das sei ein komplexes Zusammenspiel. Und darin sieht Bernet auch die grosse Kunst des Filmemachens: „Wie werden wir ein Team, ein Kopf, wo das Ganze dann auch wirklich herauskommt und zu einem Organismus wird?“

Zurück nach Zürich, wo sich die Filmemacher scharen, zieht es den Autor indes nicht, schliesslich sei es nicht weit mit dem Zug, vieles sei ja auch digital möglich und er fühlt sich sehr wohl am See: „Hier gibt’s auch viele Stoffe noch, die bearbeitet werden könnten, aber da komm ich erst jetzt langsam dazu.“ Man darf gespannt sein.

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