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von Anke Klaaßen, 11.07.2024

Zwischen digitalen Knochen und fliegenden Büchern

Zwischen digitalen Knochen und fliegenden Büchern
Der in Engwilen aufgewachsene Animator Dominic Lutz erzählt von seinem Leben als Animator im 3D-Bereich. | © zVg

Teil 2 der neuen Serie „Unsichtbar“ aus der Filmbranche: Der in Engwilen aufgewachsene Animator Dominic Lutz erzählt von seinem Leben als Animator im 3D-Bereich. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Animation war für den inzwischen 33-jährigen Dominic Lutz ein Kindheitstraum – wenngleich  einer, von dem er zunächst nichts wusste. Aufgewachsen in Engwilen, „ein kleines 200-Seelendorf mit mehr Kühen als Menschen“, wie er augenzwinkernd erzählt, war er grosser Fan von Walt Disney-Filmen. 

Während die anderen Kinder spielten, sass er oft daneben und kritzelte in seine Skizzenbücher.  Als er erfuhr, dass man Animation studieren kann, war der Weg schnell klar: Für den gestalterischen Vorkurs ging Dominic Lutz nach St. Gallen. Einem Praktikum bei einem 3D-Studio im thurgauischen Berg folgte ein Studium an der Hochschule Luzern und ein Bachelor und Master in Visual Communication mit Schwerpunkt Animation. 

Bachelor-Abschlussfilm den Dominic Lutz mit fünf Kollegen vor zehn Jahren gemacht hat

Vom Skizzenbuch zum Computer 

Was Animation eigentlich ist? „Da streiten sich die Leute drüber.“, meint Dominic Lutz. Eine grundlegende Definition sei, dass Animation Bewegung herstellt durch Einzelbilder. Animation – da steckt das lateinische Wort „animare“ drin – zum Leben erwecken. Und „anima“ – lateinisch für Seele. Von der Technik her gehört da vieles dazu: Die klassische 2D- Animation, die Bewegung herstellt durch das Zeichnen einzelner Bilder, welche aufeinanderfolgen, früher meistens von Hand auf Papier gezeichnet, heute auch oft digital. 

Dann gibt es Stop-Motion: „Da hast du meistens eine Puppe oder eine Figur oder einen Gegenstand, den du fotografierst, du verschiebst ihn, machst wieder ein Foto, verschiebst ihn, machst wieder ein Foto und wenn du diese Fotos aneinanderreihst, ergibt sich auch eine Bewegung“, erklärt Dominic Lutz. Stop-Motion ist vielfältig: Knetfiguren, Puppen, Legetrick mit Papierschnitzeln, Sand, da sei unglaublich viel kreatives möglich. „Bei der 3D-Animation ist es dann eigentlich ähnlich wie Stop-Motion“, erzählt Lutz – nur eben im Computer.  

Die Vielfältigkeit von Animation – 2D, 3D, Stop-Motion – all diese Grundlagen lernte Dominic Lutz im Studium an der HSLU kennen, legte aber schon vor dem Studium seinen Schwerpunkt auf 3D-Animation, weil er schnell merkte, dass ihm die Arbeit am Computer auch sehr liegt.  Für Stop-Motion habe er „zu zittrige Hände“ und auch grossen Respekt davor, dass man ja nicht wie im Computer alles rückgängig machen könne, sondern mit einem Fehler oftmals viele Stunden Arbeit kaputt seien.

 

„Die 3D-Animation ist eine sehr teambasierte Kategorie.“

Dominic Lutz, Animator

Zwar gäbe es auch im Animationsfilmbereich Autorenfilmer:innen, die nahezu alles allein machen – aber: „Die 3D-Animation ist eine sehr teambasierte Kategorie“, weiss Dominic Lutz zu schätzen, da er gerne im Austausch mit anderen arbeitet.  

Lutz erzählt exemplarisch von der Arbeitsteilung bei einem seiner studentischen Kurzfilme. In einem Sechserteam habe sich da jeder auf etwas anderes spezialisiert. „Da gibt’s einen, der macht nur das Rigging, dass die Figuren sich überhaupt bewegen können. Der andere baut die ganzen Umgebungen, ein weiterer malt das ganze an und texturiert…“  Schliesslich müsse alles künstlich hergestellt werden, was bei einem Liveactionfilm abgefilmt werde: Die Oberflächen von Bäumen und Gräsern und Blättern, die Lichtstimmung, die Lichtsetzung. Dann gäbe es noch die Animation selbst, das Compositing, die Vertonung. 

Ein Musikvideo, an dem Dominic Lutz mitgearbeitet hat

Wie eine Figur Gesten und Posen lernt

Dominic Lutz spezialisierte sich vor allem auf Rigging und Animation. Rigging – das ist „Knochen in die Figuren reinmachen“, erklärt Lutz, damit die sich dann sauber bewegen können. Man müsse von Anfang an wissen, wie detailliert eine Figur sein und was sie alles können soll. „Wenn jetzt die Rigging-Person zum Beispiel keine Augenbrauen-Knochen reinmacht, dann kann man die nicht bewegen.“ 

Damit jede Figur ihren unverwechselbaren Charakter bekommt, gäbe es oft sogenannte Model Sheets, auf denen typische Gesten und Posen festgehalte sind. „Da ist dann notiert, ob die Figur oft die Augenbrauen zusammenzieht, ist sie oftmals ein wenig skeptisch, macht sie viel mit den Händen oder macht sie gar nichts mit den Händen.“  

Manche Eigenheiten würden aber auch noch beim Animator passieren: „Wenn es dann um Acting geht, nehmen viele Animatoren sich auch selbst auf. Sie filmen sich, wie sie jetzt etwas spielen würden, dann kommt viel auch vom Animator in der Figur vor. Ich kann oft erkennen, wenn ein Freund von mir eine Szene animiert hat, weil ich da gewisse Gestiken oder Gesichtszüge wiedererkenne.“, erzählt Lutz. 

 

Einblicke in die Entwicklung: Die kleinen Storyboards sind für das Videospiel "Unpetrified" an dem Dominic Lutz momentan mitarbeitet. Bild: Dominic Lutz

Trailer für das Game "Unpetrified" an dem er mit Dreamhunt Studio arbeitet

Was einfach aussieht, ist manchmal besonders schwer

Gerade wenn verschiedene Animatoren an der gleichen Figur gearbeitet haben, sei es dann wichtig, dass die Animatoren sich im Rhythmus angleichen.  In Absprache mit der Regie könne man da auch viele eigene Kleinigkeiten reinbringen: „Was oft der spassigste Teil der Animation ist“, findet Lutz.  „Einen Walk Cycle animieren, also einfach das Gehen einer Figur, das ist, glaube ich, das was viele Animatoren am wenigsten gerne machen. Es sieht zwar einfach aus, aber eine glaubhafte Laufanimation zu machen, ist ziemlich was vom Schwierigsten, das es gibt, weil es eigentlich die ganze Zeit so ein kontrolliertes Fallen ist und so viele Dinge im Körper passieren, damit das richtig funktioniert.“  

Hingegen, wenn es dann um das Schauspiel oder ähnliches gehe, da komme es dann auf Kleinigkeiten an, wie die Handpose oder den Gesichtsausdruck und das sei der kreative Teil, der mehr Spass mache und weniger Kopfarbeit sei. Das Besondere an einem Animationsfilm sei auch, im Vergleich zum Realfilm, dass der ganze Film von Anfang an eigentlich schon existiert und durch jeden Arbeitsschritt genauer werde. 

„In der Schweiz gibt es nicht so die grossen Animationsstudios.“

Dominic Lutz, Animator

Dominic Lutz blieb nach dem Studium in Luzern und arbeitet heute als Freelancer in unterschiedlichen Bereichen: Werbung, künstlerische Kurzfilme, Videospiele oder Musikvideos. „In der Schweiz gibt es nicht so die grossen Animationsstudios“, erzählt Lutz. Darum gehen die meisten Absolvent:innen ins Ausland, um da bei Studios zu arbeiten und sich dort anstellen zu lassen oder sie bleiben in der Schweiz, finanzieren ihre Filme unter anderem mit Förderungen und arbeiten auf Freelance-Basis mit Kunden, Studios und Agenturen zusammen. 

Einen grossen Teil, wenn man als Freelancer arbeite, nehmen natürlich auch die Bereiche Buchhaltung und Kundenaquise ein – „alle die Sachen, die Kreative ja nicht so gern machen – wir würden lieber einfach kreativ sein“, meint Dominic Lutz. 

Video: Clips eines Oktopus Maskottchen, das Lutz die letzten 5 Jahre animieren durfte:

Die Bedeutung des „Wasserfarbengefühl“

Ein spannendes Projekt, an dem er in letzter Zeit gearbeitet hat, war der 2D-Kurzfilm „Idodo“, der bei vielen Kurzfilmfestivals gezeigt und ausgezeichnet wurde und eine polynesische Sage über die Farbe der Fische erzählt. Dominic Lutz war hierbei für das Compositing zuständig: „Da ging es wirklich darum die vielen Ebenen so zusammenzusetzen dass es vom Stil her passt. Dass es dieses Malerische nicht verliert und nicht digital wird letztendlich.“ Das sei oft ein Thema im 2D-Bereich, dass es den Regisseuren sehr wichtig sei, dass die Materialität nicht verloren gehe und speziell bei diesem Projekt das „Wasserfarbengefühl“.  

Trotz dieser Gefahr müssten die meisten 2D-Filme heutzutage auch durch den Computer laufen, allein schon für die Festivalauswertung. „Das war spannend, das rauszufinden, wieviel darf man da eingreifen und wieviel muss man wirklich dem Zufall überlassen, dass es noch natürlich wirkt“. erzählt Lutz. 

Ein ganz anderes, aber auch interessantes Projekt, sei seine Mitarbeit bei dem Kinofilm „Die kleine Hexe“ gewesen, wo er für die Animation eines einzelnen Gegenstandes angefragt wurde: Für die deutsch-schweizerische Realfilm-Verfilmung des Kinderbuchklassikers von Otfried Preusler animierte er das fliegende Zauberbuch und den singenden Ofen.

Video: Animationen von Domicnic Lutz

„Burnout passiert viel zu viel im kreativen Bereich.“

Dominic Lutz, Animator

Weil bei der Animation Arbeit und Passion meist zusammengehen, sieht Dominic Lutz auch eine Gefahr darin, wenn man zu perfektionistisch sei und kein Ende finden könne in einem Projekt.  Es sei wichtig, „dass man immer einen gewissen Abstand dazu behalten kann und dass man auch sagen kann:  So, jetzt ist sieben Uhr, ich geh jetzt nach Hause und jetzt ist Feierabend.“, meint Lutz über die Fallstricke des Arbeitens als kreativer Selbstständiger. Dabei helfe es, im Team zu arbeiten. 

 „Burnout passiert viel zu viel im kreativen Bereich.“, sagt Lutz. Dieser Eindruck spiegelt sich auch in seinem künstlerischen Arbeiten. Die Themen, die er sich für Geschichten und Projekte notiert, seien inzwischen immer mehr „zwischenmenschlich oder introspektiv.  Wie der Mensch tickt, wie der Mensch mit anderen Menschen zusammentickt“. 

Denn das besondere für ihn an der Animation sei auch: „Animation bietet sich sehr für solche Dinge an, weil man ganz Abstraktes wie zum Beispiel Mental Health oder Depression oder Anxiety, all diese Dinge, die in Menschen passieren können, auch abstrahieren oder in Metaphern erzählen kann.“ Durch die Verbildlichung könne sich jeder, der den Film sieht oder ein Computerspiel nutzt, damit verbinden und das nachempfinden.  

 

Das Notizbuch hat Dominic Lutz immer dabei: Das Bild zeigt Notizen für Ideen für einen kleinen Clip, den er gerade macht. Bild: Dominic Lutz

Oberstes Ziel: Menschen zu berühren

Sein Ziel sei es, Menschen zu berühren und zu machen, dass sich Menschen gesehen fühlen.  Im Master habe er beispielsweise an einem Prototyp für ein Videospiel gearbeitet, da sei das Thema Angst gewesen. Sein Fokus war: „Wie kann ich eigentlich diese Themen in ein Videospiel verpacken oder in Videospiel-Mechaniken, die dem Spieler das Gefühl geben, das nachempfinden zu können?“ Der Spieler solle natürlich nicht die ganze Zeit Angst haben, aber diese Angst nachempfinden können und in einer Art Katharsis innerhalb des Spiels auflösen können. 

Das Spiel habe keinen therapeutischen Anspruch, dafür habe Lutz ja gar nicht die Ausbildung. Aber es sei ja oft schon hilfreich für Betroffene, zu spüren, dass man nicht alleine ist und andere dasselbe spüren.  Ein Videospiel habe dabei noch zusätzliches Potential, weil man da selbst aktiv sei und das seiner Meinung nach Gefühle und Erfahrungen verstärken könne und noch andere Regionen im Gehirn anspreche. 

Dominic Lutz wünscht sich, wieder mehr eigene Projekten und Kurzfilmideen realisieren zu können. am besten mit Förderung in einem Team. Und der Traum von Walt Disney? Von dem habe er sich indes schnell verabschiedet, als er merkte, dass Animation noch so viel mehr könne: „Dafür muss ich nicht in die USA gehen“.  

Nur „ein Rädchen in einer Maschine“?

Ausserdem fühle man sich bei einer so grossen Produktion mehr wie „ein Rädchen in einer Maschine“. Und könne selbst nicht so viel kreativen Input geben. Denn darin, dass man eigentlich beim Animationsfilm seiner Phantasie vollkommen freien Lauf lassen kann und alles Vorstellbare möglich ist, genau darin liegt auch seine Passion begründet.

 

Mehr zur Serie: „Unsichtbare“ Filmemacher im Fokus

Filmmenschen sind zumeist Herdentiere – sie sammeln sich in Zentren: Zürich, Berlin, bei Filmfestivals. Das scheint schon in der Natur der Sache zu liegen, weil beim Film ja viele Kulturschaffende beteiligt sind. Und doch gibt es sie auch hier, im und um und aus dem Thurgau. Schnell zu finden sind dabei die Vertreter:innen der Berufe, die im Rampenlicht stehen: Schauspieler:innen und Regisseur:innen. Doch Filme als Leistung einer Künstler:innengruppe bilden ein Mosaik aus den unterschiedlichsten, teils eher wenig wahrgenommenen Gewerken: Kamera, Drehbuch, Animation, Licht, Ton. Eben jene „unsichtbaren“ Filmschaffenden jenseits der Schlagzeilen nimmt diese Serie in den Fokus.

Zuerst kommt das Buch – darum habe ich als Anfang der Serie mit dem seit 2020 in Rorschach lebenden Schweizer Drehbuchautor Dominik Bernet gesprochen. Alle Beiträge der Serie werden im zugehörigen Themendossier «Unsichtbar» gebündelt.

 

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