von Zsuzsanna Gahse, 22.10.2024
Wo ist Bodo Hell?
Der vielseitige Schriftsteller Bodo Hell war in Gottlieben ein beliebter Stipendiat, und er war ein neugieriger, hoch aufmerksamer Beobachter unserer Gegend. Seit dem 9. August ist er spurlos verschwunden. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Über Bodo Hells Anwesenheit in Gottlieben, über sein Interesse für Orte und Ortschaften, über seine unermüdlichen Fahrten quer durch den Thurgau und bis nach Meersburg und Schaffhausen könnte man ein beachtliches Buch zusammenstellen. In einem solchen Band wären Fiktionen oder Legenden nicht nötig, die realen Begebenheiten würden längst ausreichen. Für ihn hingegen sind neben vielen anderen Textarten Legendenbildungen ein ergiebiges Thema gewesen. Aus diesem Interesse heraus kannte er hier in kürzester Zeit viele Kirchen und deren Heilige, so dass er über die Insel Werd zu schreiben begann und über Othmar, den Heiligen der Insel.
Nun ist Bodo Hell unauffindbar, im österreichischen Dachsteinmassiv verschollen. Vergeblich die mehr als zwei Wochen lange Suche mit Hubschraubern, mit Hilfe von Privatpersonen und Spürhunden und unter Einsatz der Polizei.
Den Sommer verbrachte er stets in den Bergen
Seit Jahrzehnten hatte er den Sommer am Dachstein verbracht, hütete Kühe und Ziegen und kannte alle Wege besser als manch ein Ortsansässiger. Von der Alm kehrte er im Herbst jeweils mit selbstgemachtem Käse zurück und immer mit neuen Texten.
Von der langen Liste der Preise, die der hellwache, geistreiche Bodo Hell im Laufe der Zeit erhalten hatte, soll hier nur der Erich-Fried-Preis hervorgehoben werden, den ihm Ernst Jandl 1991 zugesprochen hatte. Jandl war Hells enger Freund, und eine mindestens so enge Freundin war Friederike Mayröcker. Zudem waren Freundschaften mit Bildenden Künstlern, Musikern, Schriftstellerkollegen und Filmemachern (immer auch in der weiblichen Form zu verstehen) charakteristisch für Hells Lebensart.
Davon zeugen auch einige Buchveröffentlichungen. Durch seine stimmigen Verbindungen ist ein Netz entstanden, und ein Netz hat Hell auch mit seinen vielseitigen Begabungen ausgeworfen. Seine Fotos in seinem Wien-Buch „Stadtschrift“ (Bibliothek urbaner Kultur) sind ein Hochgenuss, und so sind auch die Texte in dieser Publikation. Bei einer Veranstaltung in Gottlieben, bei einem Maultrommel-Konzert zusammen mit Michel Mettler, Peter Weber und Anton Bruhin, hat das Publikum Hells musikalisches Talent erleben können, und auch dieser Auftritt mit Kollegen zeigte seine freundliche Art der Vernetzung. Er hätte auch allein lesen und musizieren können.
Grosse Neugier für Natur
Geboren wurde Bodo Hell 1943 in Salzburg. Er studierte Musik in Salzburg und Wien, und von den Sommermonaten abgesehen, die er auf dem Dachstein verbracht hatte, lebte er, wenn er nicht gerade unterwegs war, in Wien.
In praktisch allen seinen Texten beginnt die erste Zeile mitten in einem Satz, und der letzte Satz endet ohne Komma oder Punkt, er läuft einfach weiter, irgendwohin. So beginnen und enden die einzelnen Kapitel auch in seinem letzten Buch „begabte Bäume“ (2023 im Droschl Verlag). Und auch in dieser Veröffentlichung lebt seine unbändige Neugier für die Natur.
Sein „Parallelprosa mit Insel Werd“, 2017 in der Edition Thanhäuser erschienen, beginnt und endet ebenfalls ohne Satzzeichen. Parallelprosa steht im Titel, weil in diesem Thurgauer Projekt sein und mein Text zu zweit antreten, sozusagen im Dialog.
Erinnerung an einen Besuch im Thurgau
Bei einem Besuch Bodo Hells im Thurgau (nach seinem Stipendium in Gottlieben 2015) standen wir am höchsten Punkt des Seerückens. Wir hatten eine optimale Wetterlage und sahen bis zum Vorarlberg und bis nach Liechtenstein hinüber und weit bis in die Berner Alpen. Es gab nicht nur Silhouetten zu sehen, sondern sogar Zwischenlandschaften. Wir sahen plastisch in die Bergferne hinein.
Die Alpen. Im Südosten liegt der Dachstein, der Berg Bodo Hells.
Von Zsuzsanna Gahse
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