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von Ramona Früh, 29.05.2020

Spagat zwischen zwei Welten

Spagat zwischen zwei Welten
Luftsprung: Rahel Zoë Buschor in einer ihrer Chroreographien. Titel: Apprivoiser. | © zVg

Die Tänzerin Rahel Zoë Buschor lebt in Seoul und Sulgen. Die südkoreanische Hauptstadt und das thurgauische Dorf könnten gegensätzlicher nicht sein. Buschor erhält dieses Jahr einen der Förderbeiträge des Kantons Thurgau. Und ist dafür, in Zeiten der Einschränkungen durch das Coronavirus, besonders dankbar. Teil 2 unserer Serie über die GewinnerInnen der diesjährigen Förderbeiträge des Kantons.

Momentan ist sie zuhause in Sulgen. Das Coronavirus, das zunächst in Asien auftauchte, hatte Rahel Zoë Buschor Mitte März in die Schweiz zurückgetrieben. Hier hoffte sie auf mehr Verdienstmöglichkeiten im Kulturbereich als in Asien, wo das öffentliche Leben bereits stillstand und all ihre Projekte abgesagt waren. Doch dann holte das Virus auch die Schweiz ein. Die Unterrichtsvertretung kann die 37-Jährige nur noch per Fernunterricht machen, das Kulturleben steht still.

Rahel Zoë Buschor pendelt schon seit zehn Jahren zwischen Asien und der Schweiz. Obwohl sie das ursprünglich überhaupt nicht vorgehabt hatte, erzählt sie. «Ich war schon immer ein Japanfreak, hatte aber überhaupt keinen Bezug zu China.» 2010 kam sie durch ein Austauschprojekt der Zürcher Hochschule der Künste ZhdK einen Monat nach China. «Dort habe ich zum ersten Mal eine Pekingoper gesehen und die hat mich total fasziniert. Ich wusste, ich will mehr davon sehen», sagt Buschor. Doch die Schule winkte ab: Ein Austauschjahr in China sei nicht möglich. Das hielt Buschor jedoch nicht davon ab: Sie organisierte sich den Austausch selber und absolvierte das letzte Jahr des Masterstudiums in Peking.

Schauspielende der Pekingoper behalten das Leben lang eine Rolle. Rahel Zoë Buschor studierte die Rolle des Affenkönigs. Sie gehört zum Typus der männlichen Krieger. Das wusste sie zu Beginn nicht: «Ich bin die einzige Frau Europas, und eine der wenigen auf der ganzen Welt, die den Affenkönig «SunWukong» spielen kann.» Bild: zVg

 

Faszination für die Pekingoper

Pekingoper? Noch nie gehört? Diese sehr alte Kunstform habe sich aus verschiedenen lokalen Opernstilen entwickelt, erklärt Rahel Buschor. «Die Pekingoper enthält gleichzeitig Elemente von Körpertheater, Musik, Akrobatik, Kampfkunst, Tanz und Schauspiel. Es ist ein Gesamtkunstwerk mit einer grossen Bandbreite an Disziplinen und bezieht auch Kostüme und Masken mit ein», schwärmt sie. Was sie als Tänzerin aber vor allem faszinierte, sind die enormen körperlichen Leistungen der Darstellerinnen und Darsteller. Sie sei aber nicht nur begeistert gewesen von der ersten Aufführung, die sie sah: «Es hat mir nicht nur gefallen beim ersten Mal. Manchmal tat es weh in den Ohren, weil es nicht nur schöne Klänge hat, sondern zum Teil auch ganz ganz hohe Töne.»

Trotzdem war sie begeistert, auch gerade deshalb, weil sie damals kein Wort des gesungenen Textes verstanden hatte. «Das Ganze war so virtuos und ausdrucksstark, dass es mich tief berührt und regelrecht in Bann geschlagen hat», erzählt sie. «Hier im Thurgau kann ich alles einordnen und das fällt dort gänzlich weg. Ich wusste nichts darüber.»

Paradiesvogel: Rahel Zoë Buschor in einer ihrer Inszenierungen in Asien. Bild: zVg

Eintauchen in die Kultur Chinas

Buschor war so angetan von der Sache, dass sie ihren in Zürich begonnenen Master in Musikpädagogik in Peking beenden wollte – und dann gleich vier Jahre blieb. Sie habe gemerkt, dass es viel Zeit brauche, mehr als gedacht, um in die Gesellschaft, das Leben und die Kultur Chinas einzutauchen. Nur schon das Erlernen der Basiselemente der Sprache, habe zwei Jahre gedauert, danach sei es aber richtig interessant geworden.

Mit der Zeit begann sie, mit lokalen Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten. An der Universtität in Peking hat sie den südkoreanischen Schauspieler und Regisseur Kim Hongsoo kennengelernt und begonnen, mit ihm Projekte umzusetzen. So kam sie nach Seoul, wo sie mit einer lokalen Tanzcompagnie als erstes die griechische Komödie «Die Vögel» inszenierte.

«Kunst kann sehr viel beitragen, zum friedlichen Zusammensein zwischen Menschen und Ländern.»

Rahel Zoë Buschor (Bild: zVg, Szene aus ihrem neuen Projekt «Lost & Found»)

Dass die Arbeit in Südkorea anders funktioniert als in der Schweiz ist leicht nachzuvollziehen. «Die künstlerische Arbeit hat etwas enorm Verbindendes, was Kulturen und Sprachgrenzen übersteigt. Über den Körper und die Bewegung ist es sehr einfach, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Kunst kann sehr viel beitragen, zum friedlichen Zusammensein zwischen Menschen und Ländern», so Buschor.

Sich inspirieren zu lassen und ihren Horizont zu öffnen waren Rahel Zoë Buschors wichtigste Ziele in Asien. Auch wenn vieles unbequem war. «Ich setze mich gerne mit Dingen auseinander, die ich nicht kenne, um daran zu wachsen und neues daraus zu kreieren.»

Jetzt, nach zehn Jahren in beiden Welten, kehrt Rahel Zoë Buschor vermehrt in die Schweiz zurück. «Es ist so ein Gefühl: Seit ich weg bin, fühle ich mich hier wieder mehr zuhause. Das hier ist sozusagen mein Boden, hier möchte ich mich wieder mehr niederlassen», sagt sie. «Im Vergleich zu Peking, mit über 21 Millionen Einwohnern, ist die Schweiz ja mega klein. Ich will mich nun wieder stärker vernetzen und schauen, was es für Möglichkeiten gibt.»

«Es ist so ein Gefühl: Seit ich weg bin, fühle ich mich hier wieder mehr zuhause.»

Rahel Zoë Buschor, Tänzerin

Sie kann sich auch vorstellen, eine Produktion im Thurgau zu machen. «Der Thurgau interessiert mich. Es gibt hier viele kleine und besondere Orte, die wenige Leute kennen. Auch landschaftlich interessiert mich der Thurgau. Ich kann mir vorstellen, etwas draussen zu machen.»

Ihre Begeisterung für die Bewegung gibt sie auch in Workshops weiter – an Tänzerinnen und Schauspielende, aber auch an Laien und Kinder. «Jeder hat irgendwo ein Talent, vielleicht weiss man noch nicht einmal davon. Doch beim spielen, reden oder sich bewegen werden diese Talente offenbar. Nur schon durchs liegen oder sitzen: Man kann auf 1000 Arten sitzen!», meint Buschor.

Wie die Coronakrise ihr neues Stück verändert hat

Auch bei ihrem neusten Projekt, für das sie nun den Förderbeitrag des Kantons Thurgau erhält, will sie eine Gruppe von Erwachsenen und Kindern miteinbeziehen. Das Projekt startete letztes Jahr in Peking und wird von ihr nun zu einem abendfüllenden Programm ausgebaut. Die Bewegungssprache des Stücks bedient sich Elementen der Pekingoper sowie zeitgenössischen und experimentellen Bewegungen.

Durch die Coronakrise habe sich die Perspektive des Stücks jedoch etwas verändert: «Lost & Found ist gerade hochaktuell, die meisten Menschen sind davon betroffen. Viele haben etwas verloren, sind am Kämpfen und konnten dadurch aber auch Neues finden und daran wachsen. Das ist der thematische Kern des Stücks.»

Video: Rahel Zoë Buschor als SunWuKong (Bejing 2015)

 

Die Förderbeiträge und die Serie

Die Auszeichnung: Der Kanton vergibt einmal jährlich persönliche Förderbeiträge an Kulturschaffende aus dem Thurgau, die mit einem überzeugenden Vorhaben in ihrer Karriere einen Schritt weitergehen möchten. Die Förderbeiträge sind mit je 25 000 Franken dotiert. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, die sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt. Auch in diesem Jahr sei die Anzahl und Qualität der eingegangenen Bewerbungen hoch gewesen, teilt das kantonale Kulturamt mit. Die Ausgezeichneten wurden von der Fachjury aus 51 Bewerbungen ausgewählt.

 

Die Gewinner 2020 auf einen Blick: Ausgezeichnet werden in diesem Jahr: Rahel Zoë Buschor, Tänzerin (Sulgen), Markus und Reto Huber, bildende Künstler (Zürich), Julia Langkau, Autorin (Bern), Rhona Mühlebach, bildende Künstlerin (Dettighofen), Max Petersen, Musiker (Winterthur) sowie Andri Stadler, bildender Künstler (Luzern).

 

Die Serie: In einer Porträtserie stellen wir alle GewinnerInnen der diesjährigen Förderbeiträge vor. Die Folgen erscheinen in loser Reihenfolge.

 

Teil 1 der Serie: «Literatur kann uns Hoffnung geben»: Interview mit der Autorin Julia Langkau

Teil 2 der Serie: «Spagat zwischen zwei Welten»: Porträt der Tänzerin Rahel Zoë Buschor

Teil 3 der Serie: «Der Grenzgänger»: Porträt des Musikers Max Petersen

Teil 4 der Serie: «Expedition in die Dunkelheit»: Porträt des Fotografen Andri Stadler

Teil 5 der Serie: «Die Natur als politischer Ort»: Porträt des Künstler-Duos Huber.Huber

Teil 6 der Serie: «Auf der Suche nach Wildnis»: Porträt der Videokünstlerin Rhona Mühlebach

 

Das Dossier: In unserem Themendossier zu den kantonalen Förderbeiträgen werden alle Episoden der Serie gebündelt. Dort finden sich auch Porträts zu früheren PreisträgerInnen.

 

Dafür hat Rahel Zoë Buschor den Förderbeitrag bekommen

«Lost & Found» ist eine Studie über den modernen Menschen. In einem Zeitalter der schier unbegrenzten Möglichkeiten, was hält dich davon ab, diese zu nutzen? Mit Humor und der Naivität eines Kindes begeben sich zwei Wesen auf den Weg, all das Unbegrenzte wiederzuentdecken: das unverschämte Lachen, die verträumte Kindheit, die grenzenlose Freude, die stundenlangen Minuten, die tragenden Flügel, die Zuversicht, das Glück.

 

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