von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 31.05.2019
Bunte Welten
Mit Olga Titus, Marion Ritzmann und Nadja Solari stellen drei sehr unterschiedliche Künstlerinnen im Kunstraum Kreuzlingen & Tiefparterre aus. Das Gemeinsame zu finden, ist die Aufgabe des Betrachters
Liest man Texte über Olga Titus, könnte man schnell den Eindruck einer irgendwie gehetzten Person bekommen. Hier zum Beispiel: „Wenn man so viele Pläne hat in der Kunst, dann muss man Gas geben, sonst wird man nicht fertig. Und viel umsetzen, sonst ist man ständig enttäuscht von sich selber“, sagte sie vor gut einem Jahr gegenüber thurgaukultur.ch anlässlich der Vergabe eines kantonalen Förderbeitrags an sie. Trifft man die Künstlerin mit malaysisch-indischen Wurzeln schliesslich persönlich, dann ist da gar nichts gehetztes oder gestresstes zu spüren. Im Gegenteil - sie wirkt sehr entspannt und offen: „Ich freue mich, dass ich hier mal wieder ausstellen kann“, sagt sie. Hier - das ist in dem Fall der Kunstraum Kreuzlingen. Zuletzt hatte sie 2009 in Kreuzlingen Arbeiten gezeigt. Damals hatte sie gerade den Adolf-Dietrich-Förderpreis der Thurgauischen Kulturstiftung erhalten.
Jetzt stellt sie im Tiefparterre des Kunstraums aus. Titel: „Fruta Infinita“. Olga Titus zeigt eine Reihe sehr neuer Arbeiten, es gibt drei Videoinstallationen dazu neue Varianten ihrer Paillettenbilder. Nirgendwo wurden sie aber bislang so schön inszeniert wie in Richard Tisserands Kunstraum. Anders als noch unlängst im Shed des Frauenfelder Eisenwerk, hängen die Arbeiten nicht einfach nur im Raum. Durch einen kleinen Motor an der Decke drehen sie sich um sich selbst. Vorder- und Rückseite tragen jeweils eigene Werke. Beleuchtet werden sie durch im Raum verteilte Spots und das gibt diesen ohnehin schon sehr ästhetischen Bildern nochmal einen ganz besonderen Glanz. Die Wirkung der Bilder verstärkt sich um ein Vielfaches, man entdeckt Dinge, Formen, Farbverläufe, die man sonst nie erkannt hätte.
Sind das Abbilder unserer zur Oberflächlichkeit neigenden Welt?
Die Motive entwirft Olga Titus am Computer. Gefertigt werden die Bilder mit den tausenden Pailletten industriell. Vorder- und Rückseite der einzelnen Pailletten sind unterschiedlich in Farbe und Farbstärke bedruckt. Fährt man mit den Fingern darüber, verändern sich die Arbeiten im Handumdrehen. Man kann das als blosse Spielerei abtun, man kann in Titus’ Bildern aber auch mehr sehen. Wenn man so will, sind sie Abbilder unserer zur Oberflächlichkeit und Glitzerhaftigkeit neigenden Welt. Durch das Moment der Interaktion, das die Künstlerin in diesen Arbeiten dem Betrachter gestattet, geht es aber darüber hinaus. Denn: So wie jeder das Bild mit einem Handstreich verändern kann, so könnte auch jeder zumindest seine eigene Welt verändern und sich aus der Glitzerhaftigkeit befreien. Alles, was es hier wie dort dafür braucht, ist ein Bürsten gegen den Strich.
Dass das Werk von Olga Titus unter die Oberfläche zielt, erkennt man am deutlichsten an ihren Videoarbeiten. Auch diese wirken auf den ersten Blick sehr bunt, sehr flirrend und visuell überladen. Aber auch hier gilt: Man sollte sich davon nicht reinlegen lassen. In der neuesten Arbeit, in der sie auch mit realen Bildern arbeitet, zeigt sich der tiefere Ansatz: „Do we invent identity?“ steht in einem Untertitel. Und kurz darauf schwirren unzählige bunte Teilchen übenden Bildschirm. Jedes folgt seinem eigenen Plan, keines berührt das andere. Es ist ein doppelt gelungenes Bild weil es den Zustand des Menschen individuell aber auch als Herdentier gut beschreibt. Einerseits kommt es wie eine Visualisierung des „Wer-bin-ich-und-wenn-ja-wie-viele-Gedankens“ daher, der viele Menschen in unserer Zeit beschäftigt. Und andererseits illustriert, wie sehr wir inzwischen alle aneinander vorbei leben ohne einander zu berühren.
Ist die Konsumkritik eine Verbindung zwischen den Werken?
Versteht man Olga Titus’ Werk in dieser Weise auch als eine sozial- und konsumkritisch, dann ergibt sich durchaus ein Anknüpfungspunkt zu dem, was eine Etage höher im Kunstraum gezeigt wird. Zum ersten Mal stellen dort die beiden Künstlerinnen Marion Ritzmann und Nadja Solari gemeinsam aus. „Fractional exitations“ lautet der Titel ihrer Kollaboration. Eine echte Besprechung der Arbeit kann dieser Text allerdings nicht leisten, da sie zum Zeitpunkt der Pressebesichtigung noch nicht fertig war.
So muss man sich auf das beschränken, was bereits augenfällig war: Herumliegendes Brot, glänzende Schokoriegelverpackungen mit der Aufschrift „Speed“, eine Müslipackung mit dem Namen „Tresor“ darauf. Es sind allesamt Elemente aus Nadja Solaris Arbeit. Sie setzt sich mit dem Kreislauf von Ökonomien auseinander, findet Inspiration in Supermärkten und versucht unsere konsumgeile Welt mit ihren eigenen Produkten ad absurdum zu führen.
Marion Ritzmann arbeitet weniger plakativ. Bei ihr geht es vor allem um Flächen, Linien, abstrakte Formen und geometrische Zeichen. Das Medium Zeichnung steht im Mittelpunkt. Ihre an Möbel erinnernden Skulpturen stehen im Raum und vermessen diesen gleichsam. Wie genau Solaris und Ritzmanns Arbeit nun ineinander greifen werden und ob das über die gemeinsame Klammer der angemalten Wände hinaus geht, liess sich zum Zeitpunkt der Pressebesichtigung noch nicht erkennen. Und irgendwie ist das ja auch ganz gut - so kann sich jeder Besucher selbst einen Reim darauf machen - oder auch nicht.
Termine: Beide Ausstellungen sind bis zum 7. Juli im Kunstraum Kreuzlingen & Tiefparterre zu sehen. Details: www.kunstraum-kreuzlingen.ch Führungen für Schulen auf Anmeldung: Rebekka Ray, Kunstvermittlerin: 079 2597070
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