von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 15.11.2018
Der Elefant im Raum
Welche Ausstellungskultur braucht eine Stadt? Eine Gesprächsrunde in Konstanz stellte spannende Fragen. Die Antworten blieben vage. Auch weil ein wichtiges Thema ausgeblendet werden sollte.
Eigentlich ist die Sache ja ganz einfach: Städte mit vielfältigem Kulturangebot sind lebenswerter als Städte, die das nicht haben. Kultur inspiriert, verschiebt Horizonte, ermöglicht neue Denkweisen, regt an und manchmal auch auf. Die Unesco hat das Thema vor zwei Jahren erkannt und einen 300-seitigen Bericht dazu verfasst. Eine der Lehren daraus: «Kultur ist die DNA einer Stadt. Kulturelles Erbe trifft hier auf zeitgenössische Kunst und Kultur. Zusammen sind sie der Herzschlag urbaner Weiterentwicklung und Innovation. In Städten kommen Menschen zusammen, um sich auszutauschen, Neues zu kreieren und produktiv zu sein. Städte sind Treiber menschlicher Entwicklung. Kultur muss deshalb integraler Bestandteil von Stadtentwicklungsstrategien sein, um urbane Räume nachhaltig zu entwickeln und ihren Einwohnern eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen»
Trotz dieser immer wieder bestätigten Erkenntnis, gibt es auch immer wieder Diskussionen darüber, wie Städte denn nun mit diesem schwer zähmbaren Ding namens Kultur umgehen sollen. Ein Beispiel dafür ist eine Podiumsdiskussion, die am Mittwochabend in Konstanz geführt wurde. Unter dem Titel „Welche Ausstellungskultur braucht eine Stadt?“ sollten vor allem zwei Dinge diskutiert werden. Erstens: Wie müssen Ausstellungen heute gemacht sein, damit sie ein Publikum finden? Zweitens: Wie viel Ausstellungsraum braucht eine Stadt? Explizit nicht gesprochen werden sollte hingegen über die spezielle Situation in Konstanz. Der Abend war als Ideensammlung gedacht, ohne gedankliche Anwendung auf den konkreten Ort. Eine schwierige Konstruktion in einer Stadt, die dringend ein neues Verständnis von Ausstellungskultur bräuchte und die über kaum geeignete Ausstellungsräume für zeitgenössische Kunst verfügt. Ergebnis dieser Konstellation war: So sehr sich die Ausrichtung der Gesprächsrunde bemühte, den Elefanten nicht zu sehen, er stand selbstredend immer im Raum.
Ist Eventisierung eine Tugend in der Not?
Dabei hatten die Organisatoren bei der Zusammenstellung des Podiums darauf geachtet, einen möglichst unbefangenen und frischen Blick auf das Thema von aussen zu bekommen. Zu den Diskutanten zählten Stefanie Hoch, Kuratorin am Kunstmuseum Thurgau, Roman Aebersold, Leiter Kooperationen und Sammlungsbetrieb Museum für Gestaltung Zürich, Christine Litz, Direktorin Museum für Neue Kunst Freiburg, Jan Behnstedt, Historiker an der Universität Konstanz und Gestalter von Lichtkunstprojekten im öffentlichen Raum sowie der zeitgenössische Künstler Markus Brenner. Moderiert wurde der Abend von Esther Leuffen vom SWR.
Eine der grossen Fragen stand gleich am Anfang: Wie verhalten sich Museen im Spannungsfeld zwischen Kunst und Event? „Beides geht zusammen, wenn man es ernst meint und nicht effekthascherisch“, sagte Christine Litz vom Freiburger Museum für Neue Kunst. Für den Zürcher Roman Aebersold ist eine gewisse Lautstärke, also ein gewisser Grad an Eventcharakter, fast schon zwingend, um sich im Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen überhaupt Gehör zu verschaffen. Aus einem einfachen Grund: „Unsere inhaltliche Arbeit, unsere Vermittlung von Themen kann ja nur dann funktionieren, wenn die Leute zu uns ins Museum kommen.“ Ähnlich argumentierte Jan Behnstedt. Events seien wie „trojanische Pferde“, sagte der Historiker. Als Beispiel nannte er dafür ein eigenes Projekt: „Für den vierten Konstanzer Zunftaufstand von 1429 und 1430 hätten sich auf Anhieb jetzt nicht so viele Leute interessiert. Wir haben ein Lichtkunstprojekt daraus gemacht und mit grossflächigen Fassadenprojektionen gearbeitet. So konnten wir das Thema an Leute vermitteln, die sich sonst nie im Leben dafür interessiert hätten.“ Stefanie Hoch vom Thurgauer Kunstmuseum war da etwas zurückhaltender. Für sie seien Events zwar auch eine Chance, Leute ins Museum zu holen, die sonst nicht kommen würden. Sie sehe diese Entwicklung aber auch kritisch: „Wir sollten wieder mehr Vertrauen in die Kunst und ihre ureigene Wirkungskraft haben.“
«Wir müssen Auseinandersetzung mit einem Thema wieder sexy machen.»
Christine Litz, Direktorin im Museum für Neue Kunst Freiburg
Partizipation ist so ein anderer Modebegriff, der gerade Hochkonjunktur in Kulturbetrieben hat. Man will die Menschen mitnehmen, einbinden und ihnen mit allerlei technischem Schnickschnack ein besonderes Erlebnis bieten. Für Jan Behnstedt wird dieser Aspekt oft zu technisch gedacht: „Für mich hat Partizipation nicht nur mit Interaktivität zu tun, sondern auch mit den Themen, die in einer Ausstellung verhandelt werden. Museen sollten viel stärker aktuelle Gegenwartsfragen aufwerfen, damit die Besucher das Gefühl bekommen, dass sie an der Gesellschaft partizipieren, wenn sie Museen besuchen, weil dort Themen behandelt werden, die die Gesellschaft umtreiben.“
Ab da war man dann mitten in der Diskussion darum, wie sich Museen im 21. Jahrhundert aufstellen müssen, um auch in Zukunft relevant zu bleiben. „Wir sollten nicht irgendwelchen Trends hinterher laufen, sondern gesellschaftlich relevante Themen bearbeiten“, sagte Christine Litz. Es gehe darum, es wieder „sexy zu machen, dass man sich vertieft mit einem Thema beschäftigt“, so Litz. Roman Aebersold stimmte zu: „Wir müssen raus aus unseren üblichen kuratorischen Kategorien, wenn wir Ausstellungen machen. Besser wäre es, die Fühler auszustrecken und zu spüren, was die Menschen bewegt.“ Jan Behnstedt wünschte sich insgesamt mehr „Mut zur These“ bei Ausstellungsmachern. Diese Thesen dürften auch mal steil und provokant sein, „das eröffnet den Raum für Auseinandersetzung“, erklärte der Historiker.
«Ich sehe in Konstanz noch viel ungenutztes Potenzial.»
Stefanie Hoch, Kuratorin Kunstmuseum Thurgau
Es war dann Stefanie Hoch, die die Runde an die Titelfrage des Abends erinnerte: „Jede Stadt muss sich letztlich selbst die Frage beantworten, welche Ausstellungskultur sie braucht. Ich sehe aber gerade in Konstanz noch viel ungenutztes Potenzial“, sagte die Kuratorin des Kunstmuseums Thurgau und adressierte damit erstmals wieder den Elefanten, der da seit fast 90 Minuten im Raum stand: Die konkrete Lage der Ausstellungskultur in Konstanz. Das griff Jan Behnstedt auf: „Was in Konstanz vor allem fehlt ist ein Ort, der sich mit radikalem Gegenwartsbezug mit aktuellen Themen beschäftigt. An der Universität und der HTWG (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung) werden diese Themen erforscht und behandelt und es gibt in der Stadt keine Möglichkeit, das angemessen in Ausstellungen zu zeigen“, klagte er. Dabei wäre es doch an der Zeit aktuellen Themen wie Digitalisierung oder Künstlicher Intelligenz auch in Konstanz einen Reflexionsort zu geben.
In der Abschlussrunde stellte Moderatorin Esther Leuffen dann noch die Frage, welche Ausstellung, die Diskutanten am liebsten in dem von der Stadt Konstanz neu verantworteten „Turm zur Katz“ sehen wollten. Neben allerlei gut gemeinten, aber auch eher allgemein gültigen Vorschlägen zur Positionierung des Ortes („als sozialen und gesellschaftlichen Ort etablieren“; „klares, einzigartiges Profil entwickeln“; „Mut zu Sperrigkeit“, „Begeisterung vermitteln“) hatte dann Stefanie Hoch den wohl besten Vorschlag des Abends: „Ich würde einen Ort für Visionen und Konzepte daraus machen. Einen Ort, in dem man sich in Ausstellungen und Gesprächen darüber verständigt, wie man den grenzüberschreitenden Kulturraum Konstanz Kreuzlingen in den nächsten 20 Jahren gemeinsam gestalten möchte.“
Eine Vision: Der Kunstraum Konstanz Kreuzlingen. Wenn einer etwas hat, was ein anderer auch gerne hätte, kann man sich konkurrenzieren. Oder zusammenarbeiten. Warum sich Kreuzlingen und Konstanz gemeinsam beim Kunstraum engagieren sollten.
Der Visionär: Richard Tisserand hat den Kunstraum Kreuzlingen zu dem gemacht, was er heute ist - einer der aufregendsten Orte für zeitgenössische Kunst in der Ostschweiz. Seine neueste Idee: Grenzen sprengen. Und neue Kooperationen suchen. Gemeinsam mit der deutschen Nachbarstadt Konstanz könnte der Kunstraum noch mehr Strahlkraft entwickeln, findet Tisserand. Das komplette Interview gibt es hier.
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