von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 16.09.2024
Der Überzeugungstäter
Seit 30 Jahren führt Adrian Bleisch seine Galerie in Arbon. Die Jubiläumsausstellung zeigt bis 21. September auch einen Querschnitt des Ostschweizer Kunstschaffens der vergangenen 30 Jahre. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
In diesen Zeiten der grassierenden Selbstüberschätzung, in denen viele überzeugt sind, sie könnten alles, wenn man sie nur liesse, ist es sehr sympathisch, wenn einer auch mal offen sagt: „Nein, ich kann das nicht. Das sollen lieber andere machen.“ Und das ist dann vielleicht auch ein ganz guter Einstieg in einen Text über einen Menschen, der seit 30 Jahren eine Galerie in einer Kleinstadt am Leben hält, mithin also eigentlich ziemlich viel kann. Eines dann aber doch nicht.
Ob sein Kunstfaible nicht eigentlich daher komme, dass er selbst gerne Künstler wäre, fragt man also bei einem Besuch an einem Donnerstagnachmittag im September in der Galerie Adrian Bleisch den Namensgeber und Gründer dieser Thurgauer Kulturinstitution. Die Antwort. Erst ein Grinsen. Dann: „Nein, wirklich nicht. Ich habe schnell meine Grenzen gesehen in dem Feld“, sagt Bleisch bescheiden und damit ist dann zu dem Thema auch alles gesagt.
Vertrauen als Schlüssel für die Arbeit
Aber wie gesagt, 30 Jahre eine ambitionierte Kunstgalerie nicht nur zu betreiben, sondern lebendig zu halten an einem Ort an dem sie einem jetzt nicht per se die Bude einrennen, wenn man Kunst an die Wände hängt: Ist das vielleicht nicht die viel grössere Leistung als dasselbe in einer x-beliebigen Metropole mit durchreisendem, kunstaffinen Publikum?
Adrian Bleisch, freundliches Lächeln, hellgraue Hose, dunkelgrauer Pullover, die Haare mindestens 50 shades of grey, zuckt mit den Schultern. Solche Vergleiche interessieren ihn eigentlich nicht sonderlich. Klar sei es schön, wenn seine Arbeit Aufmerksamkeit erhalte. „Aber ich mache das alles vor allem, deshalb, weil ich Kunst für mein Leben immer noch als sehr bereichernd empfinde. Ich wollte nicht darauf verzichten“, so Bleisch.
Deshalb gibt es nun noch bis zum 21. September in der Jubiläumsausstellung „30 Jahre Galerie Adrian Bleisch“ 32 Werke von 30 Künstler:innen zu sehen mit denen Bleisch häufiger zusammen gearbeitet. Vertrauen zwischen Kunstschaffenden und Galerist ist ihm wichtig, deshalb ist die aktuelle Ausstellung auch ein Ausweis dieses Vertrauens, dieser Loyalität zwischen denjenigen, die Werke schaffen und demjenigen, der ihnen einen Schauraum gibt.
„Ich sehe mich als Dienstleister, ich möchte die Werke gut präsentieren“, erklärt der 56-Jährige seine Haltung. Die schönsten Momente seiner Arbeit seien immer die, wenn die Konzeption und Hängung einer Ausstellung aufgeht: „Das ist ein bisschen wie ein Puzzle, jedes Teil braucht seinen richtigen Platz. Der Moment, in dem alles zusammenpasst ist für mich immer besonders“, sagt Bleisch.
Konzept der Jubiläumsausstellung ist stimmig
Tatsächlich wirkt die Jubiläumsausstellung in sich stimmig. Zu sehen sind unter anderem Arbeiten von Rachel Lumsden, Co Gründler, Matthias Bosshart, Roland Iselin, Andrea Vogel, Daniel Gallmann, Ute Klein, Sarah Hugentobler und Roland Dostal. Farbe, Stimmung, Stil, Thema - Adrian Bleisch hat eine schlüssige Komposition für die ihm zur Verfügung gestellten Arbeiten gefunden. Am Ende ist es nicht nur eine Jubiläumsausstellung einer einzelnen Galerie, die Auswahl der Werke und Künstler:innen gibt auch einen ziemlich guten Einblick in die Entwicklung des Ostschweizer Kulturschaffens der vergangenen 30 Jahre.
Dabei hätte Adrian Bleischs Lebensweg auch ganz anders verlaufen können. Am Lehrerseminar in Zug hat er angefangen Ausstellungen zu organisieren. Das gefiel ihm so gut, dass er beschloss, Kunstgeschichte zu studieren. Aber dann wurde er Vater und entschied sich für den wirtschaftlich sicheren Weg und wurde Lehrer. Bis heute arbeitet er als Pädagoge, inzwischen als Schulleiter in Amriswil. Wenn aber jemand zusätzlich zu seinem nervenaufreibenden Job als Lehrer, sich auch noch ein zeitintensives Hobby wie das des Galeristen-Daseins zulegt, dann kann man sich schon fragen, woher dieser Wille und dieses Interesse an der Kunst kommt.
Wie das Elternhaus sein Kunstinteresse prägt
Die Prägung stammt wohl aus der Kindheit. „Meine Eltern haben manchmal auch Bilder gekauft. Wir haben uns darüber auch kritisch auseinander gesetzt. Ich habe nicht immer verstanden, weshalb sie viel Geld für ein bisschen Farbe auf Leinwand ausgegeben haben“, blickt Adrian Bleisch zurück. Er wollte verstehen, was es auf sich hat mit dieser Kunst und begann sich selbst fortzubilden. Er las über Kunst, Epochen, Stile und einzelne Künstler:innen. „Das hat mich fasziniert“, beschreibt der 56-Jährige seinen Einstieg in die Kunstwelt. Danach liess ihn die Kunst nie wieder los, er hatte immer das Gefühl, dass ohne sie sein Leben ärmer wäre.
Als sich 1994 die Räume im Arboner Bohlenständerhaus auftaten, ergriff er schliesslich die Chance zur Galeriegründung. Programmatisch ist seine Galerie nicht festgelegt, aber es gibt doch einen sehr klaren Fokus auf Künstler:innen aus der Ostschweiz. „Es gibt hier einen so grossen Reichtum an vielseitigen Werken, da muss man gar nicht weit reisen. Ich bin immer wieder überrascht, wie abwechslungsreich die Szene hier ist“, sagt Bleisch.
Kunst muss etwas auslösen, findet der Galerist
In seinen heutigen Räumen an der Grabenstrasse kann er Künstler:innen fast optimale Bedingungen bieten. Klassischer white cube mit viel Sichtbarkeit nach aussen wegen der hohen und breiten Fensterfronten. Kein Wunder, dass sich Bleischs Programm der vergangenen Jahre liest wie das Who is Who der Ostschweizer Kunstszene: Christoph Rütimann, Ute Klein, Rachel Lumsden, Alex Hanimann, Jan Kaeser, Valentin Magaro, David Bürkler, Andrea Vogel, Roland Iselin, Max Bottini, Sarah Hugentobler, Ernst Thoma, Co Gründler - sie alle haben schon bei Bleisch ausgestellt.
Wichtigstes Kriterium bei der Auswahl von Künstler:innen sei die Qualität. „Es muss gut sein“, sagt der Galerist. Was genau das bedeutet? „Es muss mich packen, es muss Dinge neu denken und Sichtweisen verschieben. Die zentrale Frage ist: Hat jemand etwas zu erzählen, oder nicht?“, erklärt der 56-Jährige. Dabei gehe es dann gar nicht darum, ob ihm etwas ästhetisch gefalle. Es gebe auch Werke, die stelle er aus, weil sie ihn irritiert haben. Dieser Moment, in dem Kunst etwas in ihm auslöst, sei entscheidend. Das könne Zuneigung sein, aber auch Verstörung.
Wenn ihn ein Werk überzeugt hat, dann holt Bleisch Briefpapier und Stift heraus und formuliert ganz klassisch einen handgeschriebenen Brief. „Für mich ist das auch eine Form der Wertschätzung und Respektbekundung gegenüber den Künstler:innen. Diese Zeit ist es immer wert“, sagt der Galerist. In diesen Briefen bittet er dann um einen Termin für einen Atelierbesuch. Erst im persönlichen Gespräch stelle sich heraus, ob es zu einer Zusammenarbeit kommt. „Es muss einfach passen. Auch zwischenmenschlich“, sagt Bleisch.
Wirtschaftlich riskant, künstlerisch notwendig
Ob er nach inzwischen 30 Jahren einen kritischeren Blick auf die Kunst entwickelt habe? Bleisch überlegt kurz und sagt dann: „Nicht unbedingt kritischer, aber erfahrener. Trotzdem versuche ich mir meine Neugier für Neuentdeckungen zu bewahren.“ Tatsächlich gibt er nach wie vor auch regelmässig Künstler:innen eine Chance, die noch keine Einzelausstellungen vorzuweisen haben.
Wirtschaftlich riskant, aber künstlerisch unbedingt notwendig, findet der Galerist. Ohne neue Künstler:innen, ohne neue Einflüsse würde die Kunst schliesslich stehen bleiben „und das würde mich wahrscheinlich ziemlich schnell langweilen“, sagt der 56-Jährige. Die Werke, die er ausstelle, seien eben keine Spekulationsobjekte, „ich sehe sie eher als geistige Kapitelanlage“, fügt er an.
Der Mut der Künstler:innen
Vielleicht ist es am Ende ja das, was den Galeristen und Überzeugungstäter Adrian Bleisch antreibt: Dass er im Innersten davon überzeugt ist, dass eine Welt ohne Kunst eine schlechtere Welt wäre. Oder wie er es formulieren würde: „Schauen Sie, es braucht wahnsinnigen Mut, Kunst zu machen und damit meine ich jede Form von Kunst. Wer sich so auf eine Bühne stellt, der macht sich angreifbar. Mich berührt das immer wieder, wie Künstler:innen diesen Mut aufbringen und sich dem stellen. Dafür einen Raum zu bieten, empfinde ich als sehr befriedigende Aufgabe.“
Finissage am Samstag, 21. September
Die Ausstellung endet am Samstag, 21. September. Geöffnet von 13 bis 16 Uhr. Um 15 Uhr hält Peter Stohler, Direktor Kunstmuseum Kanton Thurgau, eine Laudatio.
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