von Andrin Uetz, 22.11.2021
Die Wiederentdeckung der Textilindustrie
Was passiert, wenn man Kunst und Mode, Textilindustrie und Design zusammenbringt? Ziemlich viel, wie ein neues interkantonales Projekt in Arbon zeigt. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Bereits zum dritten Mal hat die „Textile und Design Alliance (TaDA)” drei Kulturschaffende für drei Monate nach Arbon gebracht. Das Projekt wird von den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen und Thurgau getragen.
Das Ziel: Die Vernetzung von Kunst und Textilindustrie. Für das „Artist in Residence Program” hätten sich seit der ersten Ausschreibung 2020 bereits rund 600 Bewerber:innen aus aller Welt gemeldet, erklären die Initiator:innen. Bei einem Medienanlass wurde das Projekt vorgestellt.
Kunst, Design, Industrie und das Dazwischen
An sich liegt in der Verbindung von Kunst und Mode, von Textilindustrie und Design nichts besonders Neues oder Innovatives. Zumindest auf den ersten Blick. Dennoch betont die Leiterin des Kulturamt Thurgau Martha Monstein in ihrer kurzen Eröffnungsrede die Einzigartigkeit des Projekts.
Hier könnten Kulturschaffende tatsächlich mit der Textilindustrie zusammen arbeiten, und auf eine Infrastruktur und ein Know-how zurückgreifen, welche in der Geschichte der Region tief verankert ist. „Die Partnerfirmen sind extrem wichtig für das TaDa-Programm. Denn obwohl sie normalerweise kaum etwas mit Kunst zu tun haben, bilden sie hier die Schnittstelle von der Kunst zur Wirtschaft und Forschung“, sagt Martha Monstein.
Auch die St. Galler Regierungsrätin Laura Bucher, der Appenzeller Regierungsrat Alfred Stricker und der Arboner Stadtpräsident Dominik Diezi verweisen in ihren jeweiligen Grussworten auf die Bedeutung der Textilindustrie für die Region, auf deren historische und gesellschaftliche Relevanz und auf das Innovationspotenzial der Verbindung von Kunst und Industrie.
Handwerk, Haptik, Farbe und schmutzige Hände
Was naturgemäss in Worten erst mal abstrakt und etwas nach Wirtschaftsjargon klingt, wurde dann sehr schnell greifbar und visuell. In der Textildruckerei demonstrierte Martin Schlegel das Siebdruckverfahren einer Zusammenarbeit mit dem belgischen Textildesigner Benjamin Mengistu Navet.
In den drei Monaten seiner Residenz in Arbon entwickelte dieser unter anderem ein komplexes Muster, welches mit vier Farben in aufwendiger Hand- und Maschienenarbeit gedruckt wird. Sowohl Schlegel als auch Navet schwärmen davon, wie sich Praxis und Design gegenseitig inspirierten, und vieles erst aus dem Versuch, dem Ausprobieren an der Maschine entsteht.
Benjamin Mengistu Navet hat in der Textildruckerei Arbon mit einem digital erstellten Muster experimentiert, das mechanisch reproduziert wird. Durch diese Kombination entstehen neue Möglichkeiten. Mit der Firma Tisca erarbeitete er einen Entwurf aus lateinischen und äthiopischen Buchstaben. Dieses tritt mit den technischen Besonderheiten des Webens in Beziehung. Das Ergebnis ist ein doppelseitiger Stoff, eine Seite in Schwarz-Weiss, die andere in leuchtenden Farben.
Fetisch und Survival
Zweite Station der Medienkonferenz ist im TaDA-Atelier, welches sich in der ehemaligen Sauerer Damenumkleide im ZIK befindet. Dort sind Arbeiten der Berliner Künstlerin Andrea Winkler zu sehen, und die Künstlerin erzählt etwas über ihren Arbeitsprozess während den drei Monaten in Arbon.
Winkler arbeitet schon länger mit Textilien im skulpturalen Kontext. So hat sie beispielsweise in ihrer Arbeit “Erlkönig” (2020) einen SUV mit Daunenmaterial überzogen, was auf ebenso spielerische wie beängstigende Weise die Fetischisierung des “Survival of the Fittest” im Neoliberalismus durch die Kombination der Statussymbole Moncler-Daunenjacke und SUV auf die Spitze treibt.
Auch ihre Arbeiten in Arbon verdichten Outdoor- und Sportkleidung zu prekären Skulpturen, welche etwas Dysfunktionales und Beunruhigendes haben, und in ihrer Versehrtheit gleichsam autark wirken, wie verletzte Menschen oder gefallene Engel.
Die leuchtende Textur des Digitalen
In der TaDA-Wohnung baute die New Yorker Künstlerin Sonia Li mit Teppichen und Vorhängen von Tisca, sowie mit Materialien von Lobra – beides Partnerfirmen von TaDA – eine interaktive Installation.
Die Besuchenden waren eingeladen die Schuhe auszuziehen und sich in einem leuchtenden, farbenfrohen, mit Videoprojektionen von digitalen Collagen und Klängen angereicherten Traumort, welcher etwas an ein Zelt erinnerte, zu begeben. So verbindet Li buddhistisches Gedankengut und Mitgefühl (compassion) mit Elementen der Virtual Reality sowie den haptischen Qualitäten der Textilien und des Teppichs.
Bemerkenswertes Detail: Aus dem Kunstrasen-Teppich von Tisca wurden mit Lasertechnik Kräuterformen geschnitten, die sowohl in den Schweizer Alpen als auch im Himalaya wachsen. «Li verbindet so unterschiedliche Kulturen und führt die Materialien einer neuen Ästhetik zu», heisst es in einer Medienmitteilung des TaDA.
Schutz und Geborgenheit
Zumindest beim Autor dieses Textes stellte sich beim Besuch sofort ein Gefühl der Ruhe und Geborgenheit ein, und so lässt sich doch die Frage stellen, ob hier nicht etwas vom Kern der Textilindustrie, und auch von deren Innovationspotenzial getroffen wird: Liegt das Wesen der Kleidung nicht darin, Schutz und Geborgenheit zu gewährleisten?
Und wenn das so ist, würde es sich nicht lohnen, hier etwas genauer auf Produktionsverfahren und auf Qualität zu achten? Vielleicht gibt es ja eine Renaissance der Ostschweizer Textilindustrie, wenn mehr Leute bereit sind, für gute und lokal produzierte Kleidung einen angemessenen Preis zu zahlen.
Das Förderprogramm «Textile and Design Alliance»
TaDA – Textile and Design Alliance ist ein Kulturförderprogramm. Es ermöglicht die künstlerische Auseinandersetzung mit der Ostschweizer Textil- und Designkultur und stärkt damit die regionale Identität. Eine Anbindung an die Praxis und an die in der Region verankerten Textilunternehmen ist ein zentrales Element von TaDA und trägt sowohl für die Kulturschaffenden als auch für die Firmen Früchte. TaDA bietet jährlich sechs bis acht nationalen und internationalen Persönlichkeiten einen Arbeitsaufenthalt in der Schweiz an.
Die Residents entwickeln innovative Projekte in den Bereichen Kunst, Design, Architektur, Literatur, performative Künste oder in transdisziplinären Kontexten. Textil- und Design-Unternehmen aus der Ostschweiz stellen den Kunstschaffenden als Programmpartner ihr Know-how und ihre Technologie zur Verfügung. Die Residents erhalten so die Möglichkeit zur praktisch-künstlerischen Arbeit und zur angewandten Forschung. Die Partner zählen ihrerseits auf den kreativen Austausch mit den Eingeladenen. Anlässlich der mehrtägigen Veranstaltung «TaDA Spinnerei» werden die Arbeitsresultate der Öffentlichkeit vorgestellt.
Das Kulturförderprogramm TaDA wurde von den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, St.Gallen und Thurgau gemeinsam lanciert. Mitglieder der Trägerschaft sind die drei Ämter für Kultur.
Nächste Aktivitäten von TaDA: Am 26. November 2021 findet von 14 bis 21 Uhr die «TaDA Spinnerei» statt. Nach einem Besuch in der Textildruckerei Arbon stellen die drei aktuellen Residents im Textilmuseum St.Gallen ihre Arbeiten vor. Am anschliessenden Roundtable diskutieren Peter Trinkl, Saurer AG, René Rossi, Empa, und Martin Leuthold, Textilgestalter, vor Ort über Trends im textilen Bereich. Das Inputreferat von Nina Bucher, GIM (Gesellschaft für innovative Marktforschung), fokussiert auch auf Megatrends.
Mehr zum Programm auf der Website: https://tada-residency.ch/de/
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