von Manuela Ziegler, 14.07.2025
Durchbrennen mit Opa

Das Kreuzlinger See-Burgtheater präsentiert mit der Inszenierung „Honig im Kopf“ eine beeindruckende Auseinandersetzung mit dem sensiblen Thema Alzheimer. Die Premiere der Tragikomödie brachte das Publikum zum Lachen und Weinen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Ein Pfarrer, schwarz gekleidete Menschen, ein Sarg: Die Handlung beginnt mit einer Trauerfeier und kündigt die Tragik der Geschichte an. Das Stück „Honig im Kopf“, eine Bühnenadaption des gleichnamigen Films von Hilla Martinek und Till Schweiger, erzählt die Geschichte des liebenswerten Grossvaters Amandus Rosenbach, der nach und nach seinen Verstand verliert und dabei das Familienleben auf den Kopf stellt. Im Verlauf der Inszenierung rückt die innige Beziehung zwischen dem Grossvater und seiner Enkelin in den Mittelpunkt.
Allmählicher Verfall
Alles habe begonnen mit dem Tod ihrer Grossmutter Margarethe, so erzählt es die elfjährige Tilda zu Beginn am Bühnenrand im Rampenlicht sitzend. Schon bei seiner Grabrede schwärmt Grossvater Amandus reichlich deplatziert vom grossen Busen seiner verstorbenen Frau.
Die Anzeichen mehren sich bald, dass in seiner geistigen Welt einiges durcheinandergerät. Er meldet seine verstorbene Gattin bei der Polizei als vermisst, und deponiert seine Essenssachen im Bücherregal. Die Besetzung der Rolle mit Luigi Prezioso, der an der Zürcher Oper sowie in diversen Filmproduktionen engagiert war und mit „Karls Kühne Gassenschau“ tourte, ist ein Glücksgriff.
Seine Verwirrung und Hilflosigkeit sind authentisch, wenn er der Schwiegertochter Sarah einen Rosenstrauss übergibt, der aus seinem versehentlichen Radikalschnitt ihrer Rosenhecke übrigbleibt. Er hadert damit, dass er zum „Idiot“ wird.
Eindrucksvoll übersetzt ist das etwa in der Szene bei Doktor Ehlers, wo ihm gleich vier Ärzte gegenübersitzen. Die Frage, was neun plus drei sei, kontert er jedoch humorvoll mit: «Was, Sie wissen das nicht?».
Funktionieren ist alles
Die Schwiegertochter Sarah, in deren Haus er mittlerweile eingezogen ist, weil sein Sohn Niko das wollte, zeigt wenig Verständnis für das abnorme Verhalten von Amandus. Sie rastet schliesslich aus, als bei seinem Backversuch nicht nur ihre High-Heels, sondern fast auch das Haus in Flammen aufgehen. Temperamentvoll tritt die 35-jährige Zürcherin Eva Maropoulos in ihrer Rolle auf, sie spielte bisher an verschiedenen Theaterhäusern der Schweiz.
Mehr als einmal fordert sie ihren Gatten Niko auf, der Krankheit seines Vaters ins Auge zu sehen, auch weil ihr leistungsorientierter Agenturjob ein nicht funktionierendes Familienmitglied nicht zulässt. Mit Niko tritt ihr nicht minder karrieregeiler Erfolgsmann auf, gänzlich überfordert, seiner Frau und seinem dementen Vater gerecht zu werden.
Der aus dem deutschen Freiburg stammende Georg Melich war lange Zeit Mitglied des Konstanzer Theaterensembles und verkörpert den smarten Macho wie Till Schweiger im Film. Die Konfliktlage spitzt sich zu und bleibt doch komisch dank Amandus ungewollter Tabubrüche. So erntet er die grössten Lacher, wenn er Sarah auf ihren Seitensprung anspricht.
Der Spielort: Das Theaterstück wird im Seeburgpark Kreuzlingen aufgeführt, direkt am Bodenseeufer. Die Zuschauertribüne ist überdacht, sodass die Aufführungen bei jeder Witterung stattfinden können, außer bei Dauerregen oder Sturm.
Die Termine: Die Aufführungen finden vom 10. Juli bis 5. August 2025 statt, jeweils um 20:30 Uhr. Die genauen Termine sind:
Juli: 15., 16., 17., 18., 19., 22., 23., 24., 25., 26., 29., 30., 31.
August: 2., 3., 4., 5.
Die Aufführungen dauern ca. 2 Stunden.
Die Tickets: Tickets können online über die Website des Theaters erworben werden, inklusive Platzwahl.
Die Preise sind wie folgt:
Kategorie A (1.–8. Reihe): CHF 55.-
Kategorie B (9.–10. Reihe): CHF 49.–
Ermässigt (In Ausbildung, Kulturlegi, Bühnenschaffende): CHF 25.–
Für Gruppen ab 20 Personen gibt es eine 10-prozentige Ermässigung. Neu ist die Aktion „Vier gewinnt!“: U30-Jährige können für den Preis eines regulären Tickets bis zu vier Personen unter 30 Jahren mitbringen.
Ein Kind erkennt, worauf es ankommt
Tilda läuft als Schlüsselkind der Eltern mehr oder weniger mit und ist glücklich, den Opa um sich zu haben. Sie findet es lustig, dass er Heidi Klum im Fernsehen Küsse zuwirft, und Kaffeepulver ins Wasser kippt. Nicht nur in ihrem Outfit aus Sneaker, Jeans und Hoodie hebt sie sich vom urbanen Look der Eltern ab. Sie ist, als Handpuppe verkörpert, und liebevoll geführt und gesprochen von Rahel Wohlgensinger und Moira Albertalli, beeindruckend in ihrem Einfühlungsvermögen.
Tilda sieht mit dem Grossvater zigmal das Fotoalbum seiner Venedig-Reise mit der Oma an, weil er dann glücklich ist. Sie bringt ihm Liebe und Verständnis entgegen, wo die Erwachsenen versagen. Als der Opa ins Heim soll, flüchtet sie mit ihm nach Venedig – es ist ein Höhepunkt des Stück, bei der manche Zuschauer eine Träne verdrückt. Der Regisseur Giuseppe Spina rückt Tilda immer wieder ins Rampenlicht, wo sie mit humorvollen Kinderblick die Handlung kommentiert.
In den übrigen Rollen agieren die versierte Sabina Deutsch als Sarahs Mutter Vivien, die versucht, die Wogen zwischen den Eheleuten zu glätten und als dreiste Polizistin das Publikum auf ihrer Seite hat. In weiteren Rollen überzeugt auch die Puppenspielerin Moira Albertalli, sowie Intendanz-Mitglied Simon Engeli, der als Pfarrer und Doktor Ehlers gleichermassen glänzt.
Bilder einfach und stark
Direkt am Seeufer stehen ein riesengrosser Fernseher, ein ebensolches Kofferradio sowie eine orangerote Schreibtischlampe und gruppieren sich um ein überdimensioniertes aufgeschlagenes Buch. Das Bühnenbild ist so klar wie wirkungsvoll. Der Bildschirm erweitert die Kulisse nach Bedarf: Mal kreuzt ein Schiff in Echtzeit auf dem Bodensee, mal zeigt er ein Selfie von Tilda und dem Opa, oder den Teppichflor des heimischen Wohnzimmers.
Zusammen erschafft das siebenköpfige Ensemble schnell wechselnde Bühnenbilder wie Arztpraxis, Hotelrezeption oder Bahnhofsschalter und bezieht auch die umliegende Natur, wie etwa die angrenzende Hecke zum Rosenschnitt mit ein.
Die musikalische Live-Begleitung von Jurij Drole (Geige), Amelie Lisa (Klavier), Rafel Haldenweg (Kontrabass) und Simon Engeli (Drums) mit bekannten Songs der Fünfzigerjahre, wie „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ und dem italienischen „Volare“, transportiert das Lebensgefühl der damaligen Zeit.
Botschaft des Mitgefühls
Rund sieben Milionen Zuschauer:innen hatte der erfolgreiche Film in den deutschen Kinos. Die Fallhöhe ist also riesig, der sich die noch junge Intendanz aus Simon Engeli, Giuseppe Spina, und Rahel Wohlgensinger gestellt hat. Seit der Übergabe der Theaterpionier:innen Astrid Keller und Leopold Huber sind sie nun zum zweiten Mal am Start.
Unter der Regie von Guiseppe Spina gelingt es nicht nur, auf behutsame und humorvolle Weise zu zeigen, wie die geistige Welt eines Menschen mit Alzheimer sich verändert, sondern auch wie schwer es für die Angehörigen ist, damit klarzukommen. Die Eltern, die vor allem ihren schicken Mercedes und ihr Gartenfest mit Riesenfeuerwerk im Blick haben, sind als hippe Oberschicht freilich überzeichnet, wenn auch nicht so stark wie im Film, und stehen doch stellvertretend für eine Gesellschaft, die mit den Herausforderungen der Pflege überfordert ist.
Im Angesicht seiner persönlichen Erfahrung mit seinem dementen Vater habe sich Spina des Themas angenommen, meint er beim Premierenempfang. In den kommenden zwei Jahrzehnten soll sich die Zahl der Demenzpatienten in der Schweiz verdreifachen. Das Stück fordert das Publikum auf, über Empathie und gesellschaftliche Verantwortung nachzudenken.
Im Rahmenprogramm: Spezielle Veranstaltungen über Demenz
Während der diesjährigen Spielzeit gibt es auch zwei Impuls-Matinées (im Gastrozelt des See-Burgtheaters), die sich mit der Krankheit Demenz beschäftigen. Die erste fand am 13. Juli statt.
3. August 2025, 10:30 Uhr: Die terz Stiftung im Gespräch mit Regisseur Giuseppe Spina
Dauer: ca. 60 Minuten, Barbetrieb ab 10 Uhr und Austausch bis 12:30 Uhr
Eintritt frei, Kollekte zugunsten der terzStiftung
terz ist eine schweizerische gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Stiftung in Berlingen. Sie engagiert sich für Menschen in der nachberuflichen Lebensphase und setzt sich für generationenverträgliche Lösungen ein. An dieser Matinée wird die Stiftung sich und ihre Tätigkeiten vorstellen und in einem persönlichen Gespräch mit dem Regisseur Giuseppe Spina über Demenz aus der Sicht der Familienangehörigen sprechen.

Von Manuela Ziegler
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