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«Ein ganz wichtiger Teil des Thurgauer Kulturlebens»

«Ein ganz wichtiger Teil des Thurgauer Kulturlebens»
Stabübergabe: Daniela Lutz, neue Verwaltungsratspräsidentin thurgaukultur.ch, und Humbert Entress, Gründer und langjähriger Verwaltungsratspräsident von thurgaukultur.ch, haben sich zur Übergabe auf ein Gespräch in der Eisenbeiz in Frauenfeld getroffen. | © Claudia Koch

Ohne ihn würde es thurgaukultur.ch vermutlich nicht geben: Humbert Entress war einer der Gründungsväter unseres Kulturportals und von Anfang an Verwaltungsratspräsident der Thurgau Kultur AG. Nach 13 Jahren engagierter Arbeit tritt er nun ab. Und übergibt ab 1. Oktober 2021 das Verwaltungsrats-Zepter an die Anwältin Daniela Lutz. Die beiden kennen und schätzen sich schon lange. Im Interview sprechen sie nun gemeinsam über die Kultur im Thurgau, überholte Klischees sowie ihre Motivation und Ziele für thurgaukultur.ch.

Humbert, nach 13 Jahren als Verwaltungsrats-Präsident bei thurgaukultur.ch hörst Du auf. Warum eigentlich?

Humbert Entress: Ganz einfach: 13 Jahre sind eine lange Zeit und solche Aufgaben müssen auch immer wieder in neue Hände gehen. 13 Jahre sind da das Maximum.

Kannst Du mit einem guten Gefühl von Bord gehen?

Humbert Entress: Ich kann sogar mit einem extrem guten Gefühl abgeben. Und zwar aus zwei Gründen. Einerseits finde ich, dass das Projekt in einem guten Zustand ist. Weit besser als ich mir das vor 13 Jahren erträumt hätte. Ich finde thurgaukultur.ch ist mit den Mitteln, die wir zur Verfügung haben wirklich extrem gut aufgestellt. Es hat auch eine schöne Stellung bekommen als Sprachrohr der Kultur im Thurgau und als Diskussionsplattform. Und der zweite Grund, weshalb ich ganz locker abgeben kann, ist meine Nachfolgerin Daniela Lutz. Ich bin sehr sicher, dass das Projekt bei ihr in allerbesten Händen ist, bessere liessen sich aus meiner Sicht nicht finden.

„Ich staune immer wieder, wie vielfältig und lebendig die Thurgauer Kulturlandschaft inzwischen ist – und wie oft das nicht wahrgenommen wird.“

Daniela Lutz, designierte Verwaltungsratspräsidentin thurgaukultur.ch (Bild: Claudia Koch)

Blöde Frage vielleicht, aber was macht ein Verwaltungsratspräsident überhaupt?

Humbert Entress: Er präsidiert. (lacht) Ich hatte bei thurgaukultur.ch nie die typische Verwaltungsrats-Stellung. Am Anfang war ich im täglichen Betrieb auch sehr engagiert und bin das zum Teil bis jetzt geblieben. Ich mache zum Beispiel auch die Buchhaltung. Das hilft mir dabei mitzubekommen, was läuft. In erster Linie geht es vor allem um die strategische Ausrichtung: Wo wollen wir hin – und mit welchen Mitteln? Zu meiner Aufgabe gehört auch die Kontrolle, das alles richtig läuft - von den Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber ihren ArbeitnehmerInnen und KorrespondentInnen bis hin zu den Verträgen, den Finanzen und den Kontakten mit den Ämtern und unseren beiden Aktionärinnen.

Daniela, Du kommst neu hinzu und wirst neue Verwaltungsratspräsidentin. Was reizt Dich an der Aufgabe?

Daniela Lutz: Ich finde erstmal, es ist ein tolles Projekt. thurgaukultur.ch ist in einem guten Zustand. Ich habe das nicht die kompletten letzten 12 Jahre verfolgt, aber doch etwas intensiver, die letzten drei, vier  Jahre. Es passte für mich auch jetzt gut vom Timing her - ich war wieder bereit, eine neue Aufgabe zu übernehmen. Mich reizt dabei auch die spannende und herausfordernde Konstellation mit den beiden AktionärInnen Kanton und Kulturstiftung.

Kennen und schätzen sich schon lange: Daniela Lutz, neue Verwaltungsratspräsidentin bei thurgaukultur.ch, und Humbert Entress, langjähriger und nun scheidender Verwaltungsratspräsident. Bild: Claudia Koch
Zwischen euch beiden gibt es schon länger eine Verbindung.

Humbert Entress: In der Tat. Unsere Verbindung reicht weit zurück.

Daniela Lutz: Das sind sicher mehr als 35 Jahre.

Humbert Entress: Ich hätte auf mindestens 40 Jahre getippt.

Daniela Lutz: Wir haben beide Saxofon spielen gelernt, so haben wir uns kennengelernt. Es gab danach immer wieder ganz unterschiedliche Berührungspunkte: Politisch, im Naturschutz, in der Big Band. Aber anwaltlich haben wir nie miteinander zu tun gehabt. Zum Glück.

Weisst du noch, was du gedacht hast, als Humbert dich angerufen hat, um dir seine Nachfolge anzutragen?

Daniela Lutz: Er hat um einen Rückruf gebeten. Da habe ich gewusst, es muss um unbezahlte Arbeit gehen im Naturschutz oder in der Kultur. Das war mir klar.

„Warum kann man nicht selbstbewusster sein und sagen: Auch die Provinz lebt und auch in der Provinz gibt es Weltklasse!“

Humbert Entress, Gründer und langjähriger Verwaltungsratspräsident von thurgaukultur.ch

Ihr seid beide Anwälte. Wenn ihr ein Plädoyer für die Thurgauer Kultur halten müsstet, wie lautete dieses?

Daniela Lutz: Ich staune immer wieder, wie vielfältig und lebendig die Thurgauer Kulturlandschaft inzwischen ist – und wie oft das nicht wahrgenommen wird. Aber Kultur braucht auch viel Gespräch und Diskussion und das fehlt mir manchmal etwas. Ich habe jetzt lange in Zürich gearbeitet und dort ist alles so viel wahrnehmbarer, was an Kultur läuft. Ob das nur an der Grösse liegt, weiß ich aber auch nicht. Es ist einfach so dort: An jeder Ecke kommst du mit Kultur, Diskussionen und Kulturveranstaltungen in Berührung.

Humbert Entress: Lange galt das als Schimpfwort - die kulturelle Provinz. Es gab ja mal Bestrebungen, den Thurgau aus einem provinziellen Kulturleben in ein urbanes Kulturleben transformieren zu wollen. Das fand ich damals schon absurd und blöd. Auf der ganzen Welt hat es immer auch in ländlichen Gegenden gute Kultur gegeben, so auch im Thurgau. Warum kann man nicht selbstbewusster sein und sagen: Auch die Provinz lebt und auch in der Provinz gibt es Weltklasse! Ein Beispiel: Ich sass heute morgen im Auto und hörte ein Musikstück und dachte: Wow! Das ist ein unglaublich guter Groove und wer war es: Rätus Flisch mit Dr. Watson. Weltklasse wirklich! Und das ist ein Frauenfelder und der hat auch hier im Eisenwerk schon x-mal gespielt, das gibt es eben wirklich im Thurgau. Ich könnte viele andere so positive Erfahrungen schildern. Zur Kulturszene im Thurgau gehört übrigens auch, dass man sich intensiv austauscht. Es kennen sich alle und du gehst an irgendeine Ausstellung und triffst viele andere Künstler. Das ist in Zürich nicht so. Und da finde ich den Austausch wertvoll. Ich empfinde die Szene auch nicht so als in sich geschlossen, sondern empfinde sie als offen, aber intim und interessiert an dem, was der andere tut.

„Wer den Thurgau kennt, weiss, dass Kultur auch bei uns eine grosse Rolle spielt.“

Humbert Entress, Mitbegründer von thurgaukultur.ch

Das Bild des eher kulturfernen Kanton Thurgau hält sich beharrlich. Trifft es überhaupt noch?

Humbert Entress: Ich denke nicht, dass das ein spezielles Image ist, das mit der Thurgauer Kultur zu tun hat, sondern eher mit dem Hinterwäldlerischen, das man dem Thurgau zuschreibt. Für viele hört immer noch die Schweiz hinter Winterthur auf und irgendwann fängt Deutschland an, aber dazwischen ist ein bisschen Niemandsland. Wer den Thurgau aber kennt, weiss, dass Kultur auch bei uns eine grosse Rolle spielt. Schön, wenn thurgaukultur.ch diesen Reichtum auch greifbarer machen kann.

Daniela Lutz: Das ist schon so. Ich merke, dass auch mit meinen zwei Bürostandorten in Zürich und Kreuzlingen, da ist eine grosse gedankliche Distanz dazwischen. Für viele ist Kreuzlingen näher bei Augsburg als bei Zürich, viele Zürcher waren auch noch nie in der Gegend.

Im guten Austausch: Humbert Entress und Daniela Lutz im Gespräch über Thurgauer Kultur und thurgaukultur.ch. Moderiert wurde das Gespräch von Redaktionsleiter Michael Lünstroth. Bild: Claudia Koch
Bei allem, was in den vergangenen Jahren in der Thurgauer Kultur geschehen ist, muss man allerdings auch festhalten, dass der Kanton bei den Ausgaben für Kultur im Kantonsvergleich nach wie vor im hinteren Mittelfeld liegt.

Humbert Entress: Das stimmt. Wenn man betrachtet, was hier kulturell läuft, müssen wir uns überhaupt nicht verstecken. Aber im Thurgau geschieht viel mehr ehrenamtlich und unbezahlt als in anderen, insbesondere städtischen Kantonen. Das haben wir schon vor 30 Jahren moniert. Die Kultur-Ausgaben sind in der Tat noch immer weit hinter dem, was sein könnte.

Daniela Lutz: Das ist aber auch wieder ein bisschen die Thurgauer Bescheidenheit. Klar sind es politische Realitäten, man ist aber auch extrem zurückhaltend beim Fordern. Man macht sehr viel ehrenamtlich, das ist schon speziell.

„Wir machen Kultur sichtbar. Dadurch fördern wir sie auch, weil so ein Gespräch darüber entsteht, es gibt Diskussionen, Auseinandersetzungen darüber. Ich glaube, das braucht es heute vielleicht mehr denn je.“

Daniela Lutz, Verwaltungsratspräsidentin thurgaukultur.ch

Also ziehen wir das Fazit: Es gibt noch Luft nach oben bei der Finanzierung von Kultur…

Daniela Lutz: Das gibt es definitiv.

Humbert Entress: Ja, auf jeden Fall.

„Die Kultur-Ausgaben sind in der Tat noch immer weit hinter dem, was sein könnte.“

Humbert Entress, scheidender Verwaltungsratspräsident thurgaukultur.ch

Daniela, wie nimmst Du thurgaukultur.ch heute wahr?

Daniela Lutz: Es ist ein ganz wichtiger Teil des Thurgauer Kulturlebens. Wir machen Kultur sichtbar. Dadurch fördern wir sie auch, weil so ein Gespräch darüber entsteht, es gibt Diskussionen, Auseinandersetzungen darüber. Ich glaube, das braucht es heute vielleicht mehr denn je.

Humbert, ist es in etwa das, was euch bei der Gründung 2008 vorschwebte?

Humbert Entress: Ich finde, das Projekt ist viel besser und vielfältiger geworden als ich es damals zu hoffen wagte. Ich habe grosse Freude daran, wie sich thurgaukultur.ch entwickelt hat. Es war damals ein sehr mutiger Schritt, den der Regierungsrat des Kantons und der Stiftungsrat der Kulturstiftung gegangen sind. Das war Neuland, das hatte vorher noch nie jemand gemacht - es war wirklich ein Pilotprojekt. Und es startete in einer Zeit, in der sich abzeichnete, dass die privaten Medien wie die „Thurgauer Zeitung“ ihre Kulturberichterstattung massiv kürzen würden. Dann fand ich es die exakt richtige Antwort zu sagen, wenn die privaten Anbieter das nicht mehr wollen oder können, dann nimmt man es selber in die Hand und gestaltet etwas Attraktives. Insgesamt ist das heute ein absolut gelungenes Projekt, auf das all jene stolz sein können, die damals den Weitblick hatten, es zu finanzieren. Der Regierungsrat hat hier, wie auch schon mit der Kulturstiftung vor 30 Jahren, einen echten Markstein gesetzt.

Daniela, wo muss thurgaukultur.ch noch besser werden?

Was ich mich noch Frage ist, ob man den Dialog zwischen Redaktion und Publikum noch verbessern kann. Die Frage, die wir uns da stellen müssen lautet: Können wir es schaffen noch ein Stück wegzukommen von der reinen Konsumation unserer Beiträge hin zu mehr Austausch und Dialog? Dabei muss man dann auch gut beobachten, wie viel Lust die Leute an digitaler Kommunikation noch haben, nach der Pandemie. Aber ein Ziel könnte es sein, hybride Formate so weiterzuentwickeln, dass sie auch ohne Pandemie attraktiv sind.

„Können wir es schaffen noch ein Stück wegzukommen von der reinen Konsumation unserer Beiträge hin zu mehr Austausch und Dialog?“

Daniela Lutz, Verwaltungsratspräsidentin thurgaukultur.ch (Bild: Claudia Koch)

Zum Schluss: Was sind deine Ideen, Visionen, Pläne für thurgaukultur.ch und die weitere Entwicklung?

Ich trete in grosse Fussstapfen. Ob ich langfristig den starken operativen Teil beibehalte, wie Humbert das tat, das weiss ich noch nicht. Im Moment scheint es mir auch von der journalistischen Ausrichtung zu passen. Was sicher ein Thema sein wird, ist die technische Weiterentwicklung und Aktualisierung. Ebenso die Frage, was man betreffend Zusammenarbeit und Synergien tun kann, zum Beispiel mit Nachbarprojekten wie Saiten in St. Gallen. Uns hier weiter zu vernetzen wird sicher eine der Hauptaufgaben der nächsten Jahre sein. Und natürlich Sarah Lüthy, die Geschäftsleiterin und Dich als Redaktionsleiter an Bord zu halten.

 

 

Mehr über die Entstehung von thurgaukultur.ch

In der Medienbranche reden gerade alle darüber, ob der Staat Medien mehr fördern sollte. Im Thurgau hat man das mit der Erfindung von thurgaukultur.ch vor 13 Jahren einfach gemacht. Die Geschichte eines Pionierprojektes.

 

Überblick zu unseren Finanzen


Finanziell waren wir 2020 folgendermassen aufgestellt: Unser Budget beträgt rund 260’000 Franken. Davon stammen 190‘000 Franken aus dem Lotteriefonds und 50‘000 Franken von der Kulturstiftung. Die Eigenfinanzierung wird mit Insertionen, Kulturpartnerschaften und freiwilligen Beiträgen erwirtschaftet.

 

Unser Stellenetat umfasst übrigens total 123%-Stellenprozente.  Diese verteilen sich folgendermassen:

 

Redaktionsleitung (Michael Lünstroth): 60%, Geschäftsleitung (Sarah Lüthy): 50%, Agenda-Redaktion (Anja Mosima): 13%.  Zahlreiche freie AutorInnen arbeiten auf Auftragsbasis für unser Magazin. Pro Monat haben wir übrigens ein Budget von 2600 Franken für Geschichten unserer freien AutorInnen, das sind 31'200 Franken im Jahr. Und auch das machen wir transparent: Unsere Honorare liegen zwischen 200 und 250 Franken pro Beitrag, je nach Aufwand eines Textes.

 

Mehr Inside-Infos im öffentlichen Jahresbericht 2020: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/was-uns-2020-bewegt-hat-4857

 

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